Neuhausen/Schwabing:Jugend ohne Freiraum

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Tänzer, Kunststudierende und Schüler haben in der Halle 23 im Kreativquartier einen Ort gefunden, an dem sie sich ausprobieren und vernetzen können. Das Geld, das ein städtisches Unternehmen dafür verlangt, haben sie nicht

Von Ellen Draxel, Neuhausen/Schwabing

Der Termin war kurzfristig anberaumt. Drei oder vier junge Leute, meinte Ulrich Gläß, Gründer des Kunst- und Berufsqualifizierungsprojekts International Munich Art Lab (IMAL) und Konzeptgeber des Kunstraums "Gabriele", würde er vielleicht zusammentrommeln können. Es kamen fast 20. Trotz brütender Hitze und freiem Nachmittag. So wichtig ist es ihnen, von sich und ihren Bedürfnissen zu erzählen. Der Öffentlichkeit zu zeigen, dass die Jugend Räume zur freien Entfaltung braucht. Bezahlbare, im Idealfall kostenlose Räume.

Nun sitzen die 17- bis 24-Jährigen im Schatten auf dem Asphalt im Kreativquartier, in der Nähe der Halle 23, ihrem Wunschobjekt. Dieses Gebäude an der Dachauer Straße 110 a, auf dem Papier 3800 Quadratmeter bespielbare Fläche, soll bis Ende 2028 für kulturelle, künstlerische, soziokulturelle oder kultur- und kreativwirtschaftliche Nutzungen zur Verfügung stehen. Interessenten können sich bis zum 4. Juli beim städtischen Kompetenzteam Kultur- und Kreativwirtschaft bewerben. Doch die Nutzung kostet: 8,25 Euro pro Quadratmeter im Erdgeschoss als "Richtwert" und vier Euro für den ersten Stock und den Keller. Dazu die Nebenkosten. Weil die Halle aus brandschutzrechtlichen Gründen nur als Ganzes vergeben wird, kommen auf den Mieter dann rund 35 000 Euro monatlich zu.

Geld, das die gemeinnützige Organisation Imal nicht hat und die jungen Leute schon gar nicht. Aber dringenden Platzbedarf haben sie, denn stadtweit fehlen massiv Räumlichkeiten für diese Altersgruppe.

"Wir brauchen Space, um uns ausleben zu können", sagt Gustaf Kobus. Der 19-Jährige ist Breakdancer und gehört zu einer Community von 25 Jugendlichen, zumeist Schüler, die sich regelmäßig zum Üben treffen. Das geht nur an einem Ort, wo es auch mal laut werden kann, denn zum Tanzen gehört Musik. Valeria Saplev und Ilka Sander, die neben der Tanzcrew sitzen, studieren beide an der Akademie der Bildenden Künste - auch sie benötigen Platz zum Kreativsein. "Wir sind 45 Schüler in der Klasse, aber in unserem Raum an der Akademie können nur acht arbeiten." Ähnliches berichtet Amrei Fürst, Studentin der Designschule. Wie alle hier durfte sie von September 2020 bis Februar 2021 vom Zwischennutzungsprojekt an der Gabrielenstraße 3 profitieren - wofür sie "super dankbar" ist. Damals begann sie an einer großflächigen Leinwand zu arbeiten, eine Gestaltungs-Chance, für die ihr in ihrem Zehn-Quadratmeter-WG-Zimmer die Kapazität gefehlt hätte.

Reparaturbedürftiges System: Ulrich Gläß kümmert sich um neue Räume für Jugendliche, aber auch um Räder beim Repaircafé im Kreativquartier. (Foto: Catherina Hess)

Inzwischen fährt sie aber "sehr auf Sparflamme", macht fast nichts. Denn, fragt sie sich, "wo soll ich mit der Leinwand auch hin?" Anmieten kann Fürst nichts, ihr bleibt gerade mal genug Geld zum Essen übrig. Die Holzbildhauer-Schüler Tim Hammer, Bruno Haas und Jim Backe sind sogar jeden Tag nach Schulschluss um 17 Uhr noch in die "Gabi" gefahren, weil sie sich dort künstlerisch ausleben konnten. "Es kitzelt mich, weiterzumachen, aber dafür braucht es einen Ort", sagt Backe.

Zu erleben, was "so ein Raum alles mit einem machen kann", welche Möglichkeiten sich dank dieses Angebots plötzlich auftun, wissen auch Emma Eggert, Sabrina Gill und Julie Bender. Eggert durfte in der "Gabriele" eine Dunkelkammer ausprobieren und weiß seitdem, was ihr Spaß macht. Sie will Fotografin werden. Gill studiert evangelische Theologie, schuf in der "Gabi" aber auch "riesige, Sammelsurium-große Chaos-Collagen". Nun stehen die fünf Material-Boxen im Zimmer ihrer Schwester, ungenutzt. "Der Austausch war ultra-nice", aber jetzt fehlt der 23-Jährigen die Motivation, weiterzumachen. Sie hat "komplett aufgehört". Und Bender, die eine sieben auf sechs Meter große Fassade der "Gabriele" kunstvoll bemalt hat, weil sie im Austausch mit anderen die Energie verspürte, sich solch ein Projekt zuzutrauen, muss sich inzwischen wieder mit DIN-A3-Bildern begnügen. "Für jeden, der hier sitzt, kommen zwei andere, die mangels Räumlichkeiten, zu viel Bürokratie und unbezahlbarer Kosten schon aus München weggegangen sind", weiß Joshua Neumann. Der 24-Jährige ist Teil des Common Ground-Kollektivs, das sich mit der Aktivierung und Inhalten von Freiräumen und Zwischennutzungen auseinandersetzt.

Es ist die Inspiration durch andere junge Künstler, die vernetzende Atmosphäre, die in solch einem Konglomerat, wie es die "Gabriele" war, anspornt - weshalb Gläß und "Gabriele"-Projektkoordinatorin Katharina Zink das Konzept gerne in der Halle 23 fortführen würden.

"Eigentlich", sagt Bildhauerin Zink, "bräuchte es so etwas in jedem Stadtviertel". Räume, die von der Stadt kostenlos für Jugendkultur zur Verfügung gestellt werden. Räume für soziale Aktivitäten, Bildungsprojekte und Diversität. Ulrich Gläß fordert das für die Halle 23 schon seit Monaten, und die anfänglich verlangte Summe pro Quadratmeter wurde zwischenzeitlich auch deutlich reduziert. Aber die Miete sei "immer noch viel zu teuer", ärgert sich der studierte Sozialarbeiter.

Die Krux an der Sache ist das Konstrukt: Das ehemalige Gebäude der Stadtentwässerung gehört seit November 2019 der Münchner Gewerbehof- und Technologiezentrumsgesellschaft (MGH), und dieses städtische Tochterunternehmen, zuständig für das gesamte Kreativlabor, muss wirtschaftlich agieren. "Die MGH hat die Aufgabe, hier Geld zu generieren, weil wir auf diesem Gelände Sanierungskosten von 20 bis 25 Millionen Euro haben", erklärt MGH-Chef Rudolf Boneberger. "Gut, wir stehen auf 100 Millionen Euro, aber davon können wir nichts abbeißen."

Gläß dagegen findet, es sei Aufgabe der Kommune, älteren Jugendlichen und jungen Erwachsenen unentgeltlich einen kommerzfreien Raum für die kulturelle Bildung anzubieten. Alle anderen sozialen, künstlerischen und soziokulturellen Projekte im Kreativquartier, weiß er, nutzten Hallen kostenfrei oder die Stadt übernehme die Miete. Da sollte dies "gerade auch bei der angestrebten Nutzung analog geschehen". Zumal im Umfeld von Leonrodplatz und Kreativquartier aktuell mindestens weitere 1038 Neubauwohnungen geplant seien. "Zu warten, bis Wohnraum mit auch jugendlichen Bewohnern und Bewohnerinnen entsteht und dann zu reagieren, hat immer wieder zu Problemen an informellen Treffpunkten und im Sozialraum geführt", argumentiert Gläß. Der dann erforderliche nachträgliche und immer wiederkehrende Einsatz von Streetworkern, AKIM und Regsam wie aktuell an der Friedenheimer Brücke, Gerner Brücke und Hirschgarten spreche hier "eine deutliche Sprache". Vor wenigen Tagen erst hat der Imal-Gründer deshalb einen Antrag bei der Bürgerversammlung gestellt mit der Aufforderung an den Stadtrat, "die benötigten Mittel bereitzustellen". Die Unterstützung der Neuhauser dafür bekam er.

© SZ vom 30.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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