Neue Heimat:Culture Clash im Nahverkehr

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In der Münchner U-Bahn tut jeder so, als sei er allein. (Foto: Catherina Hess)

Öffentliche Verkehrsmittel verraten viel über die Bewohner einer Stadt. Unser syrischer Kolumnist fühlt sich in der Münchner U-Bahn manchmal einsam, doch es gibt auch Vorteile.

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Es gibt Dinge, die ich mir im Bus aus Rücksicht auf meine Mitpendler lieber verkneife. Das Verspeisen von Zwiebelfladen mit Huhn zum Beispiel, so lecker das auch ist. Zu den ungeschriebenen Pendlergesetzen gehört auch, direkten Kontakt mit seinen Mitfahrern zu vermeiden. Überall darf der Blick hängen bleiben: Zeitung, Smartphone, Werbeplakat. Aber die Augen der anderen sind tabu. Jeder tut so, als sei er allein.

In der S-Bahn kann man schlafen, ein Buch lesen, Vokabeln lernen. Dumm nur, wen man sein Vokabelheft vergessen und das Buch ausgelesen hat. In solch ausweglosen Situationen versuche ich manchmal, die Zeitung meines Sitznachbarn mitzulesen. Leider habe ich dabei keinen Einfluss auf das Umblättern der Seiten. Und meistens schaut einen der Nachbar irgendwann streng an. Wenn man mit verdrehtem Kopf erwischt wird, ist das ein delikater Moment.

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Um den Kosmos des Münchner Bus-, S- und U-Bahn-Systems zu verstehen, hilft eine syrische Sozialisation nicht zwingend. Früher in Rakka arbeitete ich zeitweise als Bus-Schaffner. Ich ging durch die Reihen und sammelte von den Passagieren Geld ein. In Münchens Bussen hingegen kommt niemand an den Platz - und wenn, dann will er keine Münzen sehen, sondern ein gestempeltes Ticket. Welch großer Aufwand. Und welch großer Mist, wenn man den Wunsch des Schaffners nicht erfüllt - dann reichen keine Münzen mehr, sondern nur noch große Scheine.

In Syrien war eines sehr praktisch. Wenn ich zu spät kam, wartetet der Bus auf seinen Kontrolleur. In München warten die Busse hingegen nie. Es wartet stets nur der Passagier auf den Bus - gäbe es fürs Münchner Fahrplanwesen zehn Gebote, wäre dies das erste.

In den ersten Monaten hier hatte ich ein Problem: Es war mehr als irritierend für mich, mit Hunden in Zugabteilen und Bussen zu reisen. Ich versuchte die Lage zu retten, indem ich den eifernden Blicken der Haustiere auswich, und mich ans andere Ende des Waggons setzte. Wenn ein Hund mitten im Weg lag, stellte das mein Nervenkostüm arg auf die Probe - weil ich es so nicht kenne.

Auf meinem Arbeitsweg steige ich immer am Ostbahnhof in die U-Bahn um. Die U-Bahn-Fahrer senden dann ihre Botschaften über den Lautsprecher - immer in gepflegtem Bairisch, manchmal sogar mit Humor. "Mia ham grad Happy Hour: Der Zug hat 18 Türen und ned nur die ersten zwoa!", ist einer der Sprüche, die ich mir gemerkt habe. Manche lachen dann, sind für einen kurzen Moment offen für andere. In syrischen Bussen und Bahnen ist es einfacher, Kontakt aufzunehmen, da die Mitfahrenden nicht mit Laptop und Smartphone beschäftigt sind. Nur darf dort ein Mann nie eine junge Frau ansprechen, das würde als Affront gesehen werden. Genau wie ein Hund im Zug.

Mein eigenes Verhältnis zu Hunden hat sich stark ins Positive gewandelt. Es ging mit einem Streicheln los, mittlerweile sitze ich im Zug und habe es gar gerne, wenn ein Hund in meiner Nähe ist. Der erste Eindruck ist eben nicht zwingend der richtige. Auch nicht beim Münchner Bahn-Passagier: Eines Morgens saß ich einer Studentin gegenüber, die mir immer wieder in die Augen sah. Vor dem Ausstieg schenkte sie mir ein Porträt von mir, das sie gerade gezeichnet hatte. Ich erkannte mich wieder.

© SZ vom 01.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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