Kulturpolitik:Münchner Museen im Wandel

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Rappelvoll war das Ernst-von-Siemens-Auditorium in der Pinakothek der Moderne, als in der Reihe "Denkraum Deutschland" Natalie Amiri und Düzen Tekkal über "Macht und Ohnmacht im Iran" redeten. (Foto: Erwin und Johann Rittenschober)

Museen sollen und wollen gesellschaftliche Relevanz beweisen. Doch wie geht das? Beispiele aus der Pinakothek der Moderne, dem Haus der Kunst und der Kunsthalle.

Von Susanne Hermanski

"Dürfen wir noch mehr von unseren Leuten reinholen?" Die junge Frau aus dem Team der Aufsichten der Pinakothek der Moderne hat rote Wangen. "Ihre Leute", das sind andere junge Menschen, von denen viele Migrationshintergrund haben, und die sonst eher selten andächtig vor irgendwelchen Ölschinken zu finden sind. Miro Craemer, der Kurator der Reihe "Denkraum Deutschland", nickt. Eigentlich ist die Veranstaltung, die inmitten lauter zeitgenössischer Kunstwerke zum Thema "Love & Peace, Kunst Konflikt & Frieden" stattfindet, schon rappelvoll. Aber ein paar Stehplätze finden sich mit gutem Willen immer noch. Schließlich geht es hier und heute wirklich um was: um den Kampf der iranischen Frauen und wie sie unterstützt werden können. Es sprechen die Münchner Journalistin Natalie Amiri und die Berliner Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal, beide im Moment vielgehörte, wichtige Stimmen in diesem Deutschland.

Das Format erfüllt alles, was sich Museen heutzutage auf die Fahnen schreiben: Niedrigschwelligkeit, Aktualität, gesellschaftliche Relevanz. Und es steht exemplarisch für einen Wandel, der auch die Münchner Museumslandschaft gerade umwälzt. Noch sind beileibe nicht alle Häuser so weit. An manchen herrscht weiterhin die ewige Dreieinigkeit von "Sammeln, Forschen, Ausstellen". Schon wenn es ans "Vermitteln" ihrer Inhalte geht, wird die Sache zäh. Da sind dann bestenfalls kundige Kunsthistorikerinnen in ihren Dauer- und Wechselausstellungen unterwegs, die klassische Führungen und in den Ferien Kinderkurse anbieten.

Ein lebendiges, brummendes, ja energiegeladenes Haus - wie es die Pinakothek in der Woche des "Denkraums" war, oder wie es das Haus der Kunst ist, wenn dessen Direktor Andrea Lissoni zu Terrassen-Performances, der Musikreihe "Tune" oder oder zum Forum "Past Statements - Present Futures" ruft- das sieht anders aus. Da wimmelt es, da quasselt es, ja, da lärmt es auch schon mal. Die Pandemie und der rigorose Lockdown-Kurs der Politik für Museen - in denen sich doch eigentlich so einfach Abstand halten lässt - hat dieser neuen Lebendigkeit als Weckruf gedient. Dass die "gesellschaftliche Relevanz" von Kunst und Kultur nicht nur eine Behauptung sein darf, kein intellektuelles Konstrukt der immer weniger werdenden Bildungsbürger, war plötzlich offenkundig.

Der Künstler Maximilian Gutmair zeichnet live im "Salon Différance" zum Thema "Queeres Leben in Deutschland" in der Pinakothek der Moderne. (Foto: Erwin und Johann Rittenschober)

Die sich heute als Avantgarde dieser Bewegung erweisen, haben dafür schon vor der Pandemie in ihren Museen die Weichen gestellt. Das gilt für die staatlichen Institutionen ebenso wie für die privatwirtschaftlichen. Allen voran ist da die "Kunsthalle" zu nennen. Im engeren Sinne ist sie kein Museum, weil sie über keine eigene Sammlung verfügt, trotzdem gehört sie zu den bekanntesten Kunsthäusern Deutschlands. Obwohl das Haus von der Hypo-Kulturstiftung unterstützt wird, ist es anderem ökonomischem Druck ausgesetzt als staatlich oder städtisch getragene Häuser. Jahrzehntelang stand es für Blockbuster-Ausstellungen, mit prominenten Namen der Klassischen Moderne wie Picasso oder Monet. Seit 2012 ist Roger Diederen Direktor der Kunsthalle; er hat zwischen seine Kassenschlager wie die Ausstellungen mit der Modefotografie von Peter Lindbergh stets unkonventionelle Themen und Formate gemixt.

Zu seinen verblüffendsten Taten gehörte es aber, das Faust-Festival in München anzustoßen. Daran beteiligten sich 2018 mehr als 200 Münchner Kulturinstitutionen und Einzelkünstler, alle waren eingeladen mitzumachen, keiner wurde ausgeschlossen. Seine eigene Ausstellung zum Thema "Faust" war ein Teil davon, höchstens ein Primus inter pares. Nächstes Jahr von Februar bis Oktober soll ein ähnlicher Coup der Partizipation noch einmal wiederholt werden, mit dem großen "Flower Power Festival". Doch den endgültigen Turnaround weg vom Blockbuster-Haus, hin zum Kunsthaus ohne die Begrenzung der eigenen vier Wände markiert die aktuelle Schau, die Roger Diederen mit seiner Kunsthalle stemmt: "JR Chronicles".

Sie macht die Kunst und die Anliegen des französischen Street Art Virtuosen JR (Jahrgang 1983) weithin sichtbar in München. Ganz dessen Werken entsprechend, die jedermanns Blick auf die Welt verändern, Grenzen überwinden und Brücken zwischen den Menschen bauen sollen. Dafür ließ Diederen von 100 Personen ein Riesentransparent gegen Putins Überfall auf die Ukraine auf dem Odeonsplatz ausrollen und einen Fotobus durch München fahren. Der lichtete viele begeisterte Mitmacher ab, deren Porträts schließlich in der Fußgängerzone der Theatinerstraße ebenso voluminös plakatiert wurden wie im Gasteig HP8.

Für das nächste Jahr gibt es freilich auch im Haus der Kunst und in der Pinakothek wieder Projekte mit entsprechender Stoßrichtung - so sie sich finanzieren lassen, denn der Kampf um die Mittel innerhalb der Institutionen ist härter denn je. Miro Craemer vom "Denkraum Deutschland" - etwa will ein Thema aufgreifen, das die Gesellschaft hierzulande ebenso heftig trifft wie jeden einzelnen: das Altern. Was das mit Kunst zu tun hat? - Alles.

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