Rory O'Flanagan erinnert sich noch genau an die Reaktion seiner Freunde aus Belfast, als er sie vor vielen Jahren zu seiner Hochzeit in den Münchner Westen einlud. "In eine katholische Kirche sollen wir gehen?", entrüsteten sich die Protestanten damals. "Kommt nicht in Frage." Ähnliches berichten Ortrud und Manfred Richter. 1967 traten die Lochhausener vor den Traualtar - sie als Katholikin, er der evangelischen Konfession angehörend. "Alle sagten uns, macht nur das nicht. Sogar innerhalb der Familie."
Ökumene, die heute gelebte Offenheit und Toleranz der Christen untereinander, war Mitte des vorigen Jahrhunderts noch alles andere als selbstverständlich. Vorurteile erschwerten das Zusammenleben, der Aubinger Klaus Bichlmayer weiß noch, wie er als katholisch erzogener Schüler immer an der evangelisch-lutherischen Adventskirche in Neuaubing vorbeiging. Bis ihn irgendwann doch die Neugier übermannte und er in das Gotteshaus reinspitzte - "nach dem Motto: Was machen die da eigentlich?"
Bichlmayer ist Gründungsmitglied des Ökumenischen Rates Aubing-Neuaubing-Westkreuz-Lochhausen, O'Flanagan und die Richters waren lange aktive Mitglieder. In den vergangenen 50 Jahren fungierte der Kreis als Austauschplattform von insgesamt sieben evangelischen und katholischen Gemeinden im Münchner Westen, zuletzt war auch die rumänisch-orthodoxe Metropolie in Aubing mit im Boot. Dem in München einzigartigen Gremium ist es wesentlich zu verdanken, dass das Verständnis der Menschen füreinander im Stadtbezirk in den vergangenen Jahrzehnten gewachsen ist.
Impulsgeber und Initiator des im Mai 1973 gegründeten Rates war Alois Brem. 1964 hatte der in Nürnberg geborene und unter anderem vom jungen Joseph Ratzinger unterrichtete Geistliche die Pfarrstelle von St. Quirin in Aubing angetreten, das ökumenische Gedankengut war ihm vertraut, seine Eltern gehörten verschiedenen Konfessionen an. "Er hatte positive Erfahrungen gemacht und wollte Paaren, denen es wie seinen Eltern ging, Steine aus dem Weg räumen", sagt O'Flanagan, der dem Rat als Pfarrgemeinderatsvorsitzender von St. Lukas am Westkreuz von 1986 bis 2002 angehörte.
Ging es anfangs vorrangig darum, sich besser kennenzulernen, etablierte sich der Ökumenische Rat in den folgenden Jahren als Organisationskomitee zahlreicher Veranstaltungen und auch als Richtungsgeber. 92 Sitzungen mit Pfarrgemeinderatsvorsitzenden und Vertrauensleuten, Ökumene-Beauftragten und jeweils einem Seelsorger der Pfarreien fanden in den 50 Jahren im halbjährlichen Rhythmus statt - unterbrochen lediglich durch die Corona-Pandemie. Die Sitzungsleitung wechselte alphabetisch. Eine, wie Bichlmayer betont, "sehr demokratische Einrichtung", die neben gemeinsamen Gottesdiensten, ökumenischen Wochenenden, Vorträgen und grundlegenden kirchlichen Debatten auch fünf Kirchentage organisierte.
"Da haben Hunderte mitgearbeitet"
Von letzteren mit einer brechend vollen Neuaubinger Kirche St. Konrad, in der die Gottesdienste stattfanden, anschließenden langen Festzügen nach Aubing und Feierlichkeiten bis in die Nacht schwärmen die Ratsmitglieder bis heute. "Das war Wahnsinn", erinnert sich Ursula Geierhos an die letzte Veranstaltung 2020, die sie als Vorsitzende des Pfarrgemeinderats von St. Quirin mitorganisierte. "Da haben Hunderte mitgearbeitet, ein unglaublicher Aufwand."
Als wichtigsten politischen Erfolg kann der Ökumenische Rat die Aufhebung der Residenzpflicht des Aubinger Friedhofs für sich verbuchen - eine Errungenschaft, für die das Gremium jahrelang kämpfte. Die Aufhebung ermöglicht es nun auch Freihamern, in Aubing bestattet zu werden, denn der neu entstehende Stadtteil mit seinen 30 000 Neubürgern erhält keinen eigenen Friedhof.
Inzwischen allerdings, sagt Pfarrer Michael Bischoff von der Adventskirche, funktioniere Ökumene im Münchner Westen völlig unabhängig vom Ökumene-Rat. "Die Ziele des Rates, Ökumene zu fördern und die Kirchengemeinden zusammenzubringen, haben sich mittlerweile selbst überholt." Die Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden werde durch viele engagierte Ehrenamtliche außerhalb des Rates und "durch ein nahezu freundschaftliches Verhältnis zwischen den Pfarrerinnen und Pfarrern, Seelsorgerinnen und Seelsorgern aus beiden Konfessionen" getragen.
Im Oktober beschloss das Gremium seine Auflösung
Ohne Ökumene, betont Bischoff, gehe kirchliche Arbeit heutzutage gar nicht mehr: "Wir müssen zusammenarbeiten, um überhaupt noch wahrgenommen zu werden." Gemeint sind Aktionen wie der Weltgebetstag, gemeinsame Taizé-Gebete, Gottesdienste, Kinderbibeltage, die ökumenische Gräbersegnung, der Helferkreis für Flüchtlinge oder der St. Martinsumzug.
Im Oktober beschloss das Laiengremium daher auf Anraten von Bischoff und Pfarrer Stefan Maria Huppertz, dem Leiter des Pfarrverbands München-West, einstimmig seine Auflösung. Das sei auch "eine Frage des Personals", sagt Manfred Richter vom Gemeindezentrum Bartimäus in Lochhausen. Denn viele der ehemaligen Ratsmitglieder seien "altersmäßig einfach nicht mehr in der Lage, die Arbeit im Rat zu stemmen". Und jüngere Menschen ließen sich zwar für einzelne Projekte gewinnen, aber nicht langfristig.
Einverstanden mit dieser Entscheidung sind allerdings nicht alle. Klaus Bichlmayer etwa, 50 Jahre lang dabei und die letzten zehn Jahre Sprecher des Rates, fände es wichtig, diese Institution weiterbestehen zu lassen. Es brauche dieses "Gerüst", meint er, um Ökumene mit Leben zu füllen - "ohne Menschen, die einspringen, fällt irgendwann alles in sich zusammen". Auch O'Flanagan fände es "jammerschade, wenn solch eine Einrichtung enden würde". Lehrerin Hiltrud Starke von der Adventskirche, als Vertrauensfrau von 1995 bis 2012 im Rat tätig, glaubt, dass es "ein oberstes Gremium braucht, das Veranstaltungen organisiert". Und Eberhard Werner, bis 2019 für die Adventskirche im Rat aktiv, hebt die "wichtige Funktion" des Rates hervor, Ansprechpartner in den anderen Gemeinden zu haben. Er ist überzeugt: "Entweder halten die Laien das Fähnchen hoch - oder wir gehen als Kirchen unter."
An Christi Himmelfahrt findet zu Ehren der ehrenamtlich Engagierten um 10.30 Uhr in St. Konrad ein ökumenischer Festgottesdienst mit vielen ehemaligen und aktuellen Pfarrerinnen und Pfarrern aus dem Münchner Westen statt. Die Hoffnung bei den ehemals Aktiven ist, dass im Rahmen dieser Feierlichkeiten am 18. Mai "einer aufsteht und doch noch sagt: Wir machen weiter".