Saisonbeginn am Volkstheater:Zeit im Spiegel

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Jakob Immervoll und Lukas Darnstädt sind am Münchner Volkstheater die Zofen. (Foto: Sebastian Arlt)

Das Volkstheater startet mit "Die Zofen" und "Das große Heft" - und macht es sich damit zum Glück nicht leicht.

Von Yvonne Poppek

Wie anfangen? Populär, politisch, polemisch? Sicher sind es keine einfachen Fragen vor jeder Theatersaison, wenn es darum geht, den Start zu planen. Vergangenes Jahr packte das Münchner Volkstheater zuerst Heinrich Bölls "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" auf die große Bühne, um dann doch recht abgefahren mit dem Stück "Pussy Sludge" weiterzumachen, in dem die Protagonistin permanent onaniert und dabei Erdöl aus ihrer Vagina fließt.

Dieses Jahr ist der Saisonbeginn komplett anders: Die erste Premiere ist am 29. September Jean Genets Einakter "Die Zofen" aus dem Jahr 1947. Die zweite wird die Romanadaption "Das große Heft" von Ágota Kristóf am 1. Oktober sein, erschienen 1986. Es geht um Themen wie Abhängigkeit, Herrschaft, Klassismus, Krieg, um Fragen nach Identität. Das ist kein Einstieg, der es sich leicht macht. Vielmehr spürt man hier das Bedürfnis, auf die Fragen unserer Zeit eingehen zu wollen. Und die liegen offenbar tiefer, sind ernster.

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Genet also. "Die Zofen" schrieb er unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges und des Holocaust. Drei Figuren gibt es darin, die Gnädige Frau und die beiden Zofen Claire und Solange. Die Zofen lieben und hassen die Gnädige Frau. Deren Mann haben sie durch anonyme Briefe ins Gefängnis gebracht und verehren ihn als Verbrecher. Gemeinsam planen sie, die Gnädige Frau umzubringen und üben dies in Rollenspielen. Permanent wird bei Genet deshalb die Perspektive gewechselt, eigene und fremde Identität verschwimmen. Genet wünschte sich, dass alle drei Rollen von Männern gespielt werden. Im Volkstheater wird das auch der Fall sein: Jakob Immervoll, Lukas Darnstädt und Silas Breiding stehen in der Inszenierung von Lucia Bihler auf der großen Bühne.

Bihler habe sich gewünscht, diesen Text zu inszenieren, sagt Dramaturgin Rose Reiter. Sie wolle von Herrschaft und Abhängigkeit erzählen. Bihler, 1988 in München geboren, hat für solche expliziten Blicke auf Texte oft mit starken Konzepten und Bildern überzeugt. 2023 war sie zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Der Abend erzähle eine tragische Geschichte, habe aber auch viele lustige Momente, sagt die Dramaturgin.

Der zweite Abend befasst sich mit Kindheit und Krieg

Zwei Tage später kommt dann "Das große Heft" in der Regie von Ran Chai Bar-zvi auf die Bühne 2. In dem Roman der ungarisch-schweizerische Autorin Kristóf geht es um Zwillingsbrüder, die im Krieg zur Großmutter aufs Land geschickt werden. In Kinderspielen härten sie sich ab, wollen weder durch Worte noch durch Gewalt verletzbar sein. Ihre Übungen werden immer brutaler und ihre Stellung im Dorf wird immer unantastbarer.

Gerade vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine holt das Volkstheater ein Thema auf die Bühne, das auf schwelende Fragen reagiert. Was sind die Auswirkungen des Krieges? Was bedeutet er für eine Kindheit? "Das Buch auf die Bühne zu bringen, ist nicht leicht", sagt Dramaturg Leon Frisch. Psychologischer Realismus oder gar ein dokumentarischer Ansatz würden nicht funktionieren. Auf der Bühne, auf der lediglich Panzersperren als einzige Elemente existieren, teilen sich deshalb zwei Schauspielerinnen und drei Schauspieler den Text der beiden Brüder, die Nebenrollen sind klar zugeordnet.

Die Lösung, die der Regisseur gefunden hat, holt das Thema also auf eine abstraktere Ebene, zugleich entstehe über das Spielerische ein "ästhetischer Sog", sagt der Dramaturg. Gleichwohl: Es ist kein pures Unterhaltungstheater. Aber das kann in diesen Tagen auch nicht alles sein.

Die Zofen , Premiere: 29. September, 19.30 Uhr; Das große Heft , Premiere: Montag, 1. Oktober, 20 Uhr, Münchner Volkstheater, www.muenchner-volkstheater.de

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