Münchner Momente:Früher war mehr Bierschnee

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Einst war München weiß, weiß vom Bierschnee, der aus den Schloten der Brauereien flockte. Nun erinnert sich niemand mehr an diese Zeit

Von Anna Hoben

Es gab eine Zeit, da roch in München der Schnee nach Bier. Wie lange mag das her sein, 20, 30 Jahre? Der Bierschnee fiel zum Beispiel am Nockherberg, wo Paulaner braute. Flocken rieselten herab und bildeten eine dünne Decke, ganz wie richtiger Schnee. Auch bei Augustiner soll er gesichtet worden sein, oder eher: geschnuppert. Denn was den Bierschnee zum Bierschnee machte, das war - abgesehen von seiner Erscheinung um Brauereien herum - vor allem sein leicht malziger Geruch. Wenn noch einer nach dem einen Argument gesucht hat, warum früher alles besser war: dies vielleicht?

Was genau es mit dem Bierschnee auf sich hat, ist im Jahr 2016 gar nicht mehr so leicht herauszufinden. Wer heute zum ersten Mal den magischen Klang dieses Wortes hört, verfällt also vielleicht erst mal in nostalgisch-fantastische Euphorie und sieht sich im Tagtraum eine mit Bierschnee bedeckte Piste hinabwedeln (schneefarben statt bierfarben sollte sie aber schon sein); ab und zu eine Handvoll von dem süffigen Weiß würde das Warten aufs Après-Ski verkürzen. Oh Winterwonderland!

Die wirkliche Lösung des Bierschnee-Rätsels ist dann doch etwas profaner - und unappetitlicher. Es handelte sich dabei um sogenannten Industrieschnee, ein vom Menschen verursachtes Wetterphänomen, das relativ selten auftritt. Bei einer bestimmten Wetterlage wird es durch Emissionen von Industrieanlagen verursacht. Und das waren in München eben vor allem Brauereien. Luftfeuchtigkeit, so erklären es Meteorologen, kondensiert an kleinen Schmutzteilchen; sinkt die Temperatur unter null Grad, gefriert das Gemisch und fällt zu Boden. Man könnte das Zeug also auch als gefrorenen Feinstaub bezeichnen.

So wie früher der Christbaum intensiver glitzerte, weil da bekanntlich mehr Lametta war, so glitzert auch Industrieschnee intensiver. Das liegt an seiner Struktur: feine Nädelchen statt sechseckiger Kristalle. Nun ist aber nicht alles Gold, was glänzt, und nicht jede weiße Decke, die glitzert, ist Schnee.

Mit dem Weggang vieler Brauereien aus der Stadt scheint der Bierschnee weitgehend verschwunden zu sein. Kommen jetzt also nicht nur schneefreie, sondern auch noch bierschneefreie Winter auf uns zu? Vielleicht ist das ja gut so. Jene, die sich noch an ihn erinnern - hatten die nicht auch gesagt, dass er ganz schön abgestanden gerochen habe?

© SZ vom 20.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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