Münchner Kommunalwahl:Wahlkampf mit Hut

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Vergangenes Jahr kellnerte er auf der Wiesn, jetzt will er Oberbürgermeister werden: Wolfgang Zeilnhofer-Rath. (Foto: Stephan Rumpf)

Er hat sich als Sozialarbeiter um Stricher gekümmert und betreibt eine stadtbekannte Bluesbar. Nun kämpfen Wolfgang Zeilnhofer-Rath und seine Wählergruppe Hut mit Leuchtaufklebern und DJ-Battles um den Einzug in den Stadtrat. Ein Treffen mit Münchens wohl ungewöhnlichstem Oberbürgermeisterkandidaten.

Von Anna Fischhaber

Überlebt hat nur die Geyerwally. An der Decke glitzern Girlanden, an den Wänden hängen alte Werbeschilder. Abends treffen sich hier Arbeiter und Künstler zum Bier. An diesem Morgen steht ein Mann vor der Elvis-Pappfigur und sagt: "Wir haben extrem begrenzte Mittel, aber ein saugeiles Konzept." Er zeigt nach oben. Die Fenster über dem Bierstüberl im Erdgeschoss sind so dreckig, dass kaum Licht durchkommt. Das Haus steht etwas abseits von "Downtown Glockenbach", dort, wo Wohnraum so knapp ist wie nirgends sonst in München. Trotzdem wohnt in der Geyerstraße 17 seit Jahren niemand. Die Besitzer wollen offenbar nicht sanieren, aber verkaufen wollten sie auch nicht.

Nun hat die Wählergruppe Hut in das Geisterhaus zu seiner ersten Pressekonferenz geladen. Man will vor allem mit dem Thema Wohnen bei der Münchner Stadtratswahl punkten. Ein Parteiprogramm gibt es nicht, und eine Partei wollen die etwa 40 Mitglieder auch nicht sein. Statt Plakaten verteilen sie neongelbe Aufkleber mit einem Hut, der nachts leuchtet, und Flyer mit dem Slogan: "I want your Unterschrift".

Bis zum 3. Februar müssen sich 1000 Münchner eintragen lassen, damit die Wählergruppe bei der Kommunalwahl antreten darf. Während andere Parteien vor dem Rathaus um Stimmen buhlen, lädt Hut lieber zum Weißwurstfrühstück, zur Kinderdisko oder zum Tanztee. Sogar einen DJ-Battle im Indieclub Atomic Café hat die Wählergruppe schon zu Werbezwecken organisiert. Knapp 900 Stimmen hat sie so gesammelt - der Hut ist in München derzeit fast so erfolgreich wie die Piraten.

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Die AfD hat es geschafft, Piraten und Wählergruppe Hut sind kurz davor: Wer bislang noch nicht im Stadtrat sitzt, muss bis Montag 1000 Unterschriften sammeln, um antreten zu dürfen. Für andere Parteien dürfte es dagegen knapp werden.

Von Dominik Hutter

Der Wahlkampf passt gut zu Wolfgang Zeilnhofer-Rath. Der große Mann, der fast immer einen Hut trägt, ist Wirt, Türsteher, Sozialarbeiter für Stricher. An diesem Tag steht er selbstbewusst zwischen all den Kuriositäten in der Geyerwally und erklärt, dass er der neue Oberbürgermeister werden will.

"Wenn ich mich mit den anderen Kandidaten vergleiche, bin ich mindestens gleichwertig", sagt er ein paar Tage später in einer dunklen, verrauchten Küche. "Ich will probieren, ob man es von unten schaffen kann." Die Küche gehört zu einer Galerie am Glockenbach, von hier aus organisieren Zeilnhofer-Rath und der Hut ihren Wahlkampf. Im Schaufenster liegen bunte Kopfbedeckungen. Ein Passant klopft, will wissen, was das sein soll, der Hut? Zeilnhofer-Rath lacht. "Wir wollen in den Münchner Stadtrat", sagt er.

"Andere kaufen sich ein Auto"

Der 52-Jährige hat kürzlich eine kleine Erbschaft gemacht, von der er leben kann. "Andere kaufen sich ein Auto. Ich fahre Fahrrad und will Oberbürgermeister werden", sagt er. Warum er sich das antut? Der gebürtige Münchner ist ein neugieriger Mensch. Wenn er von seinem Leben erzählt, wird klar, dass es kaum etwas gibt, das er noch nicht ausprobiert hat.

Wolfgang Zeilnhofer-Rath hat physikalische Technik und Sozialpädagogik studiert, eine Ausbildung zum Schlosser und zum Gestalter gemacht. Nach dem Studium zog er nach Berlin und ins sozialistische Budapest. Hier eröffnete er ein Kulturcafé, erlebte den Zusammenbruch des Ostblocks und verlor viel Geld. Zurück in Deutschland schuftete er bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth als Bühnentechniker und kellnerte auf dem Oktoberfest. Er war alkohol- und drogensüchtig, seit sieben Jahren trinkt er nichts mehr.

Inzwischen ist er wieder Sozialarbeiter, als Mann der Straße kümmerte er sich um die Menschen, über die die CSU sagt: "Wer betrügt, der fliegt." Zeilnhofer-Rath lernte andere Roma kennen. Roma, die am Bahnhof in München ihren Körper verkauften, weil das die einzige Möglichkeit war, an Geld zu kommen. "Ich hatte davor auch Vorurteile", sagt er. "Aber diese Menschen haben das gleiche Recht, hier zu wohnen wie alle Engländer."

Der Mann ist ein guter Erzähler. Vielleicht, weil er Rhetorikunterricht für den Wahlkampf nimmt. Vielleicht, weil er seit mehr als 30 Jahren nebenbei im Nachtleben arbeitet. Als DJ, als Türsteher, als Wirt. "Tür ist Psychologie", sagt Zeilnhofer-Rath. Eine Nacht lang stand er sogar vor dem P1. Er ist stolz darauf, dass er in all den Jahren nie wirklich eine abbekommen hat. Und nie wirklich zuschlagen musste.

Zuletzt hat er den "Wolf" mit aufgebaut. Eine Bluesbar, die oft so voll ist, dass sich die Gäste bis an die Eingangstür drängeln. Wolfgang Zeilnhofer-Rath sitzt noch immer am liebsten an der Tür und versucht, dort für Ruhe zu sorgen. München ist eine Stadt, die sich schwer tut mit ihrem Nachtleben. Vor allem in der Innenstadt, wo viele Kneipen auf immer reichere und ruhebedürftigere Nachbarn treffen. "Manchmal frage ich mich schon, ob wir wirklich eine Millionenstadt sind", sagt Zeilnhofer-Rath. Er sprach im Bezirksausschuss vor und merkte: Wer etwas bewegen will, muss in den Stadtrat.

"Hut ist, wenn im Rathaus der Bürgerwille zählt, nicht das Parteibuch", heißt es nun auf den Flyern in Anlehnung an die CSU-Kampagne. Die Buchstaben HUT stehen für humanistisch, unabhängig, tolerant. Die Wählergruppe versteht sich als eine Plattform, die Bürgerinitiativen vernetzt. Maximilian Heisler vom "Bündnis bezahlbares Wohnen" und Andreas Dorsch vom "Bündnis Gartenstadt München", die sich - wenn auch aus unterschiedlichen Motiven - gegen den Mietwahnsinn engagieren, kandidieren auf der Stadtratsliste. Aber auch Julia Pollert von der Stiftung "Gesellschaft macht Schule".

Ein paar Freunde von Zeilnhofer-Rath haben sich ebenfalls aufstellen lassen. Lebenskünstlerin Petra Perle etwa. Im Rathaus hat man die neue Wählergruppe durchaus registriert - und spricht von "sympathischem Unfug".

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Jón Gnarr wurde mit einem Gaga-Programm zum Bürgermeister von Reykjavik. Jetzt, da ihn alle ernst nehmen, hört er auf. Eine Begegnung in Berlin.

Von Alex Rühle, Berlin

Ein wenig erinnert der Hut an die "Best Parti" in Island. Jón Gnarr, Komiker und ehemaliger Schulversager, gründete aus Wut über die etablierten Politiker mit ein paar befreundeten Künstlern die Partei. Er versprach einen Eisbären für den Zoo und Gratishandtücher in Schwimmbädern, die Isländer wählten ihn zum Bürgermeister von Reykjavik.

"Der Stadtrat hat seine Aufgabe vergessen"

Auch Zeilnhofer-Rath kann ziemlich wütend werden, wenn er über die etablierten Parteien redet. Er merkt jetzt gar nicht mehr, dass er die Zigarette in seiner Hand nicht angezündet hat. "Viele etablierte Politiker nehmen die Bürger nicht ernst", sagt er. Oder: "Eigentlich sind Politiker schizophrene Wesen, sie vertreten jemanden, den sie gar nicht kennen." Oder auch: "Der Münchner Stadtrat hat seine Aufgabe vergessen."

Was er anders machen will? An der Stelle wird es ziemlich vage. Zeilnhofer-Rath will aus erster Hand berichten, was hinter den so oft verschlossenen Türen im Stadtrat verhandelt wird. Und er will wieder die Bürger vertreten. Fragt sich nur: Welche? Mehr als 60 ziemlich unterschiedliche Bürgerinitiativen vertritt der Hut inzwischen. Für einen Außenseiter wird das allerdings kaum reichen, um Oberbürgermeister im saturierten München zu werden. Trotz des Geisterhauses in der Geyerstraße und der knappen Wohnungen.

Der Mann mit Hut hat allerdings gute Chancen, einen Sitz im Stadtrat zu ergattern. Vielleicht kleben dann bald Leuchtaufkleber im Münchner Rathaus.

© SZ vom 31.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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