München nach dem Zweiten Weltkrieg:Eine Kindheit in Trümmern

Lesezeit: 3 min

Die durch Bomben zerstörte Münchner Innenstadt. (Foto: Staatsarchiv)

In der Dokumentation "Ruinenschleicher und Schachterleis" sprechen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen über die Nachkriegsjahre in München - und darüber, welche Erlebnisse sie bis heute prägen.

Von Patrik Stäbler

Hinter den Interviewten sieht man Vasen in Vitrinen, hölzerne Schrankwände und Fenster mit Gartenblick, dazu bunte Aquarelle, Bücherrückenreihen und einen Notenständer. Kurzum, es ist ein Blick in die Wohnzimmer der Nachkriegsgeneration, so wie es heute in zig deutschen Reihenhäusern und Eigentumswohnungen aussieht. Die Menschen vor dieser Kulisse sind mit ihren Gedanken und Worten jedoch in einer früheren Zeit. Bei einer von Bomben zerstörten Münchner Innenstadt, bei US-Soldaten, die Cola und Kaugummis spendieren, bei der Sprachlosigkeit ihrer Eltern über deren Nazi-Vergangenheit und bei der Hoffnung auf einen Neuanfang. Und: bei Schachterleis, Ruinenschleicher und Schiebewurst.

Letztere, so erzählt eine Zeitzeugin vor der Kamera, sei eine Methode des Brotessens während der kargen Nachkriegsjahre gewesen. "Wir haben ein Radl Wurst aufs Brot gelegt und das mit jedem Bissen weiter nach hinten geschoben, sodass man wenigstens den Geruch der Wurst in der Nase hatte." Bei diesen Worten lächelt nicht nur die Frau auf der Leinwand, sondern sie sorgen auch für Heiterkeit im Saal des Rio Filmpalasts in Haidhausen, wo an diesem Sonntag die Dokumentation "Ruinenschleicher und Schachterleis" Premiere feiert.

Der Film, der anhand der Erinnerungen von knapp 30 Zeitzeuginnen und Zeitzeugen auf das München der Nachkriegsjahre zurückblickt, ist in mehrerlei Hinsicht ein besonderes Werk - allen voran wegen seiner Entstehungsgeschichte. So stammt das Werk von den "ältesten Jungfilmern der Stadt München", wie es der langjährige BR-Journalist Ulrich Klenner in seiner Anmoderation formuliert. Nämlich: Michael von Ferrari, früher Umweltreferent der Gemeinde Haar, Angelika Wimbauer, eine pensionierte Realschullehrerin, und Lutz Eigel, promovierter Biologe und ebenfalls im Ruhestand. Dieses Trio lernte einander 2019 kennen, als es beim Evangelischen Bildungswerk den Kulturführerschein absolvierte - ein Angebot für Menschen im Ruhestand, die sich in den Bereichen Musik, Film, Theater, Museum und moderne Kunst weiterbilden wollen.

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Schon damals hatte Michael von Ferrari die fixe Idee eines Zeitzeugenfilms über das München der Nachkriegsjahre im Kopf, und mit seiner Begeisterung steckte er die beiden anderen an. Dass sie alle fachfremd waren, habe sie damals nicht abgeschreckt, sagt Angelika Wimbauer. "Natürlich ist es mutig, dass wir uns in eine Branche hineinwagen, die voll mit Profis ist. Aber wir wollen mit unserem Film ja auch keine Palme gewinnen. Sondern uns geht es vor allem um den Spaß an der Freud."

Wobei das Projekt schon bald über das hinauswuchs, was die Hobbyfilmer anfangs geplant hatten. Drei Jahre lang arbeiteten sie ehrenamtlich - "mit viel Idealismus, Unterstützung von Filmprofis, 28 Zeitzeuginnen und Zeitzeugen und zahlreichen Geldgebenden", wie sie es selbst formulieren. 21 von 25 Bezirksausschüssen bezuschussten das Projekt, ebenso der Bezirk Oberbayern und die Stadt München. Deren Kulturreferent Anton Biebl lobte bei der Premiere das "hohe bürgerschaftliche Engagement". Und er betonte: "Dieses Filmprojekt macht die Stimmen von damals hörbar."

Schauspieler Udo Wachtveitl als Sprecher der Dokumentation

Tatsächlich verzichtet die Dokumentation weitgehend auf geschichtliche Daten oder Einordnungen, sondern setzt voll und ganz auf die Worte jener Münchner Kindl, die aus ihrer Jugend in einer anfangs noch zerstörten Stadt erzählen. Da geht es etwa um Fahrten mit dem Ruinenschleicher, wie die Tram 37 seinerzeit genannt wurde, da sie auf ihrem Weg vom Nordbad zum Ostbahnhof zahllose Kriegsruinen passierte. Der andere Part des Filmtitels, das Schachterleis, geht auf die erste künstliche Eisbahn in Deutschland zurück, die sich im Lehel befand. Sie bot damals gerade für Jugendliche eine willkommene Abwechslung, ebenso wie das Oktoberfest, das bis 1948 noch als Herbstfest firmierte. "Fünfzehn Pfennig hat die Tram zur Wiesn gekostet. Dort konnte man für fünfzig Pfennig ins Teufelsrad und den ganzen Tag bleiben. Danach ging's für fünfzehn Pfennig wieder nach Hause", erzählt ein Zeitzeuge. "Für achtzig Pfennig war das ein toller Wiesn-Tag."

Im Film "Ruinenschleicher und Schachterleis" sprechen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen über die Nachkriegsjahre in München. (Foto: Staatsarchiv)

Doch es sind nicht nur schöne Erinnerungen, die in dem Film zur Sprache kommen. Auch das Schweigen der Eltern, sobald es um die Nazi-Zeit ging, ist vielen Zeitzeugen noch präsent. Ebenso die raue Erziehung, bei der Prügel und Strafen an der Tagesordnung waren. Liebe und Zuneigung dagegen hätten seine Eltern kaum einmal gezeigt, erzählt ein Zeitzeuge. "Mit fällt es deshalb heute noch schwer, wenn ich jemand umarmen muss." Gerade derlei persönliche Erinnerungen machen "Ruinenschleicher und Schachterleis" durchaus sehenswert - insbesondere für Münchnerinnen und Münchner. Wie dem in Pasing geborenen Schauspieler Udo Wachtveitl, bekannt als Tatort-Kommissar Franz Leitmayr. Er tritt in dem gut einstündigen Dokumentarfilm als Sprecher auf - übrigens ebenfalls ehrenamtlich.

"Ruinenschleicher und Schachterleis - München nach 1945" ist am Mittwoch, 25. Oktober, im Kulturzentrum Trudering zu sehen. Weitere Vorführungstermine stehen auf www.muenchen-zeitreisen.de .

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