Wohnhaus in Harlaching:Wenn die Wände plötzlich Risse haben

Lesezeit: 4 min

Vor fünf Wochen waren die Bagger auf das Grundstück angerückt. Inzwischen ruhen die Arbeiten. (Foto: Stephan Rumpf)

Nach dem Abriss einer Doppelhaushälfte fühlt sich Familie Schefels nicht mehr sicher in den eigenen vier Wänden. Eine Fassade hat sich geneigt, die Mauern zeigen erste Schäden auf. Der Bauherr jedoch sieht keine Gefährdung.

Von Julian Raff, Harlaching

Der Unwettersommer lässt viele Münchner mit Bangen auf die Wetterprognose blicken, für Margit und Wilhelm Schefels verstärkt er eine belastende Situation, die nun albtraumhaft geworden ist: Die Südfassade ihrer Doppelhaushälfte an der Bezoldstraße, nahe beim Perlacher Forst, ist um fünf, sechs Zentimeter nach außen gekippt. Durch den Spalt zwischen Wand und Dachgiebel könnte ein Erwachsener bequem die Hand stecken. Die Lücke, inzwischen provisorisch mit Folien und Bauschaum abgedichtet, entstand spätnachmittags am Montag, 26. Juli, als sich die Bagger einer auf dem südlichen Nachbargrundstück tätigen Abbruchfirma an das Gebäude herangefressen hatten.

Für die 76-jährige Harlachingerin und ihren 84-jährigen Ehemann ein Schock, aber kein ganz unerwarteter. Dass der Abriss technisch und juristisch heikel werden würde, zeichnete sich ab: Die baugleichen Doppelhaushälften, obwohl in den 1930er Jahren zeitversetzt gebaut, sind nur durch eine einzige ("einschalige") Kommunwand voneinander getrennt, die wohl komplett auf dem südlichen, nun freigeräumten Grundstück liegt. Mit dem Abbruchschaden spitzt sich ein Konflikt um Baudichte, Abstände und nachbarliche Rücksichtnahme zu, dessen Ausgangslage in Münchner Gartenstadtvierteln fast schon als alltäglich gelten kann, auch wenn es die Folgen nicht sind.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Das Kinderhilfswerk Unicef, dem die verstorbene Nachbarin das Haus vermacht hatte, verkaufte dieses im Oktober vorigen Jahres an den Harlachinger Bauunternehmer Sükrü Alibaba, dessen Asko Invest GmbH im Viertel vor allem durch den Bau eines großen Wohn- und Geschäftshauses an der Naupliastraße bekannt ist. Der Geschäftsmann hat das 630 Quadratmeter große Grundstück nach mehr als dreijähriger Suche im Viertel privat erworben, um dort für sich und seine Familie zu bauen.

Kein Spekulationsobjekt also, dennoch schöpft Alibaba, wie er offen einräumt, die Baumasse mit einer Geschossfläche von 420 Quadratmetern voll aus. Mit einem dreigeschossigen Flachdachhaus steht direkt südlich ein Referenzobjekt, das eine dichte Bebauung ermöglicht, wenn auch, wegen der direkt angebauten Doppelhaushälfte der Schefels, keine drei Vollgeschosse, sondern zwei Stockwerke und ein abgeschrägtes Dachgeschoss mit zwei großen Gauben. Die Lokalbaukommission (LBK) genehmigte dies am 21. Dezember 2020 per Vorbescheid. Eine zwei bis drei Stockwerke hohe Wand, die ihren Garten nach Süden hin auf gut fünf Metern Breite abriegelt, wollten die Schefels dennoch nicht hinnehmen und klagten.

Margit Schefels und ihr Sohn Clemens fürchten das Schlimmste für ihr Haus. (Foto: Stephan Rumpf)

Dass sein Vorhaben nicht allzu gut ankommen dürfte, war Alibaba klar, weshalb er dem Ehepaar Schefels bereits früh angeboten hatte, ihr Grundstück zu kaufen beziehungsweise gegen eine Neubauwohnung einzutauschen. Für die Bauzeit habe er ihnen einen Hotelaufenthalt angeboten, oder sogar alternativ seine eigene Harlachinger Wohnung, für die er seinerseits Ersatz aufgetrieben hätte. Margit Schefels bestreitet dies nicht, konnte und kann sich aber keinen Umzug vorstellen, der aus gesundheitlichen und persönlichen Gründen vor allem ihrem Mann schwer zusetzen würde, wie sie sagt. Auch für sie und die beiden Kinder gilt aber: "Es ist ein kleines, schäbiges, altes Haus, aber wir lieben es."

Unterdessen genehmigte die Behörde am 4. Februar den Abbruch des südlichen Reihenhäuschens. Die ungewöhnlich heiklen technischen Bedingungen waren zu dieser Zeit womöglich keinem der Beteiligten klar. Aufgrund der Coronabeschränkungen habe er keine behördliche Einsicht in die Bauunterlagen erhalten, erklärt der Bauherr. Auch eine Anfrage bei den Nachbarn führte demnach nicht weiter, sei es wegen der belasteten Kommunikation, sei es, weil die entsprechenden Unterlagen schlicht nicht mehr existieren. Die beiden Doppelhaushälften wurden, nach Margit Schefels Kenntnis, von zwei Cousins 1936 und 1938 errichtet. Die nördliche, später errichtete Hälfte entstand dabei ohne eigene Trennwand. Obendrein wurde das Dach-Tragwerk nicht ordentlich mit der Mauerkrone verzahnt, sondern "stumpf" angebaut, wie erst die von beiden Seiten zugezogenen Statiker feststellten. Auch angesichts anderer Details, wie vertauschter Wasser- und Stromanschlüsse, könnte man vom architektonischen Pendant siamesischer Zwillinge sprechen, so wenig, wie die Bauherren einst auf Trennung der Einheiten geachtet hatten. Nicht so genau nahmen sie es wohl auch bei der Grenzziehung, jedenfalls liegt die Mauer wohl mehr oder weniger weit auf Alibabas Seite, was ihn natürlich nicht dazu berechtigt, das Nachbarhaus zu gefährden. Eine durchgerechnete "Abrissstatik", wie sie der gegnerische Anwalt forderte, hält der Unternehmer, selbst ausgebildeter Statiker, nach wie vor für unnötig. Sie werde nur für Hochhäuser gebraucht und dort, wo tragende Wände gefährdet seien.

An den Wänden wie hinter dem Regal zeigen sich nach dem Abriss die ersten Schäden. (Foto: Stephan Rumpf)

Vor fünf Wochen rückten jedenfalls die Bagger an und brachen zunächst die Garage ab. Am Montag, 5. Juli, versuchte Schefels' Anwalt schließlich, den weiteren Abriss per einstweiliger Verfügung zu stoppen. Nachdem das Gericht diese aber nicht bestätigte, zogen die herbeigerufenen Polizeibeamten gegen 16.30 Uhr wieder ab. Am Montag, 26. Juli, kam es nun zum Schaden an der Wand, den Alibaba zwar einräumt, aber als Panne abtut, schließlich seien ja nur ein paar Dachziegel heruntergefallen, da die Abbruchtrupps den vereinbarten Überstand von einem Meter nicht belassen hätten. Das Abkippen der Wand gefährdet das Gebäude seiner Auffassung nach nicht und lasse sich korrigieren, vorerst durch eine "Vernadelung" mit Stahlstangen, in der Bauphase dann mit einem mobilen Spezialgerüst. Die Kosten liegen bei rund 20 000 bis 30 000 beziehungsweise 80 000 Euro. Der Unternehmer schlägt vor, den Gesamtaufwand von mehr als 100 000 Euro unter den Parteien aufzuteilen. Nach wie vor sieht er sich nicht verpflichtet, den Nachbarn auf seinem Grund "eine Wand zur Verfügung zu stellen".

Margit Schefels hat wenig Vertrauen in die Kompetenz der jungen Abbrucharbeiter, die beispielsweise keine Helme getragen hätten. Sie ist sich aber dennoch nicht so sicher, ob am Montag auf der Baustelle wirklich nur ein Unfall passiert ist. Vielmehr vermutet sie, der Bauunternehmer wolle nach wie vor einen Verkauf durchdrücken, um ein lukratives Mehrfamilienhaus zu errichten. Ein Verdacht, den Alibaba weit von sich weist, schließlich arbeite er, im besten Einvernehmen mit Behörden und Nachbarn, anderswo an weit größeren Projekten und habe solche Methoden sicher nicht nötig. Auf dem zweiten Grundstück habe er, im Fall eines Verkaufs, die zweite Hälfte eines Mehrgenerationenhauses mit insgesamt drei Wohneinheiten geplant. Schefels hält er vor, sie habe sich beim Abbruch unnötig unkooperativ verhalten, um die Nachbarbebauung an sich zu verhindern.

In die wechselseitigen Mutmaßungen wird sich kaum mehr Klarheit bringen lassen, außer vor Gericht, sofern dort relevant. Die LBK hat jedenfalls am Dienstag einen Abbruch- und Baustopp verfügt, was Alibaba gelassen nimmt, so etwas könne "schon mal passieren". Die Aussicht auf einen Rechtsstreit erfreut Margit Schefels nicht, allerdings sei ein solcher wohl besser als die Ohnmacht angesichts vollendeter Tatsachen, nach dem Motto: "Unser Anwalt versucht - sich an Gesetzesregeln haltend - zu handeln, er (Alibaba) handelt."

© SZ vom 31.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusWohnen in München
:Der letzte Mieter

25 Jahre lang hat Stefan Sasse in der Türkenstraße 50 in München gewohnt. Dann wurde ihm gesagt: Bitte ausziehen, der Eigentümer hat Großes vor. Was macht man da? Chronik einer Gentrifizierung.

Von Benjamin Stolz

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: