Neues "Kreisky"-Album "Atlantis":Abgebrühte Idealisten

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Typisch österreichisch sind bei Kreisky um den Wahl-Münchner Franz Wenzl (2. von rechts) nur die schwarzen Pointen. Und die Udo-Jürgens-Bademäntel. (Foto: Ingo Pertramer)

Den Wahlmünchner Franz Adrian Wenzl kennen viele als Austrofred. Mit seiner Wiener Band "Kreisky" macht er seit Jahren Pop für Schwarzseher. Nun gibt es ein neues Album, und "Atlantis" ist varianten- und fintenreich wie nie.

Von Michael Zirnstein, München

Die Natur kann überfordern, gerade wenn Großstädter aufs Land fahren. Dann sehen sie nur "kilometerweit Weizen" wie im gleichnamigen Song der Wiener Band Kreisky um den Wahlmünchner Sänger Franz Adrian Wenzl: Monokultur, sich feindlich formierende Erntemaschinen, Dieselgeruch und "mehr Himmel, als gut für uns ist". Der Ausflug ins Grüne oder eben ins Gelbe wird da zum Horror-Trip von Joseph Conradscher Güte ("Das Grauen, das Grauen") und führt zu Thomas Bernhard'scher Schwarzseherei: "Diese Mähdrescher sind gegen uns, ich weiß es, ich weiß es!", singt Wenzl als einer der beiden "Ausgelieferten".

Okay, kapiert, die Natur - im weitesten Sinne - ist seltsam, aber Algorithmen sind es auch. "Youtube" schlägt als dazu passendes Video "Emotionale und entspannende Musik aus Kriegs- und Dramenfilmen" mit einem Bild von Mel Gibson als schottischem Freiheitskämpfer in "Brave Heart" vor. Schlachtfelder gibt es da auch, ansonsten ist das ziemlich weit hergeholt. In seiner noch berühmteren Rolle als Austrofred, ein Freddy-Mercury-Wiedergänger auf Österreichs Erden, ist Wenzl eher ein Spotttölpel denn ein Volksheld, und sein präpotentes Musizieren bei Kreisky war auch nie zur Beruhigung ausgelegt.

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"Wir wollten zackige Musik machen im Gegensatz zur weichen deutschsprachigen Pop-Musik der Nullerjahre", sagt Wenzl über die Anfänge im Jahr 2001. Mit ihrem selbstbewussten Auftreten gelten sie, zusammen mit Ja, Panik, als Wegbereiter des neuen Austro-Pop-Wunders um Gruppen wie Wanda oder Bilderbuch. Für deren Massenerfolg waren die "Großmeister des Grant" aber zu widerborstig, so auch im Szene-Hit "Scheiße, Schauspieler". Kritikerlob wie "die übellaunigste Band der übellaunigsten Hauptstadt" verhilft einem selten zu Sendezeit im Mainstreamradio. Das hatten Kreisky eh nie im Sinn. Dazu passt, was sie am Ende des neuen Albums "Atlantis" (Wohnzimmer Records) singen: "Wenn einer sagt, mach' es wie wir, so machen es die meisten - sag: Nein, das kann und das will ich mir nicht leisten!"

Anfangs musste er losbrüllen, sagt Wenzl. "Wenn die Gitarre schrill ist, gibt es nicht viele Arten, dazu zu singen, da musst du drübersägen. Aber dann brauchst du auch einen Grund zum Schreien." Als "politisch ausgerichteter Mensch" gefiel er sich in der Kunstfigur des Wutbürgers, "der im Park auf Tauben losgeht und sich über Alltagsbeschwerlichkeiten aufregt". Diese "dankbare narrative Haltung" des Zeterns, die im bissigen Wiener Humor von Georg Kreisler bis "Mundl" Tradition hat, befriedigt Wenzl aber längst auch nicht mehr allein. Die "Atlantis"-Platte ist varianten- und fintenreich wie nie. "Unter anderem, weil der Wutbürger nicht mehr lustig ist, sondern mit seinen absurden Vorstellungen auf die Straße geht oder durchaus schon Präsident der USA war", sagt Wenzl.

Musikalisch ist da auf einmal viel Schönes zu hören

Manchmal ist er sogar richtig happy. Etwa im "Coming of Age"-Roadsong "Lonely Planet". In dem lässt er die (Aus-)Schwärmerei der Interrail-Ära aufscheinen, als man sich 17-jährig in kalten Jugendherbergszimmern "beschissen, aber frei" fühlte, im Süden aufregende Entdeckungen machte von auf der Straße herumliegenden Männern, die nicht tot waren, sondern Siesta machten, und der Mutter daheim dann via Skype (ein Kniff, das ganze von der Nostalgie ins Heute zu heben) zu berichten, wie "geil" es hier sei. "War es nicht toll, als Jugendlicher irgendwo hingefahren zu sein, alles aufgesaugt zu haben, ohne es gleich einzusortieren und kleiner zu machen?", fragt Wenzl rhetorisch, um es natürlich gleich zu relativieren: "Auf der andere Seite hat es mit 44 schon Vorteile, wenn man Situationen beurteilen und sich zurücknehmen kann." Zum Glück hält er sich auf "Atlantis" nicht zurück, sondern blickt diesmal "auf der Suche nach etwas Verschollenem" in ungewohnter "Cheesiness" weit um sich. Oft kommt er dabei auf die Jugend zu sprechen, aber trotz Titeln wie "ADHS" und "Ein Fall fürs Jugendamt" gar nicht altväterlich.

Es gehe ihm um das Spiel "zwischen Abgebrühtheit und Idealismus". Was abstrakt und intellektuell klingt, ist so zugänglich und erzählerisch wie noch nie bei Kreisky, auch mal g'spinnert wie in "Abfahrt, Slalom, Super-G". Da liegt ein Mann abgestellt in einem Krankenhausbett, von allen Freunden verlassen bleibt ihm ein Fernseher und darin ein Interview mit dem Ski-Ass Marcel Hirscher, dem er sich auf einmal sehr verbunden fühlt, was eine seltsam erotische Komponente bekommt: "Weich und weiß, ich übergieße dich mit Milch". Wer da gedanklich nicht gleich vom engen Skianzug zum Spandexkostüm des Austrofred (neues Buch im April) springt, dem fällt zumindest dieser elegant gleitende, fast poppige Refrain auf.

Musikalisch ist da auf einmal viel Schönes zu hören, vom ZDF-Mehrteiler-tauglichen Keyboard im Titelstück "Atlantis" bis zur Ethno-Spacerock-Orgie in "Meine Zunge ist leer", in der nur noch Klaus Mitter auf seinem "zweckdienlich zerfahrenen Schlagzeug" die Spur hält. Man wolle kein "One-Trick-Pony" mehr sein, sagt Wenzl. Das liegt auch am neuen Bassisten Helmuth Brossmann, der den angestammten Gitarristen Max Offenhuber zum einem Wettrüsten mit Effektgeräten angestachelt habe. Da kommt für Wenzl "David-Bowie-Feeling" auf, wenn die Stromgitarre wie ein betrunkenes Saxofon zum Tröten-Solo ansetzt. Genauso überraschend ist im selben filmreifen Stück "Kilometerweit Weizen" der inhaltliche Sprung in eine Traumsequenz, in der Wenzl mit Roboter-Stimme einen Außerirdischen aus dem Kornkreis gibt. "Wir kommen in friedlicher Absicht", blechert er und reicht die grüne Tentakel zum Gruß. Happy End? Die beiden überforderten Großstädter stiefeln das Alien nieder und treten ihm in den Bauch, "wieder und wieder und wieder und wieder". Die Menschen mögen nun netter erscheinen bei Kreisky, aber ihre Natur bleibt grausam.

© SZ vom 11.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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