München:Wie wir die Welt sehen

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Im Schauraum in Schwabing schärfen junge Fotoschüler ihren Blick für das Wesentliche

Von Ellen Draxel

Die Hand sieht aus, als rage sie tief aus dem Wasser empor. Dabei hat Anna Gilg beim Fotografieren einfach ihre Finger über eine Pfütze gehalten und auf den Auslöser gedrückt. Andere aus dem Fotokurs der 14-Jährigen haben zum Thema Regen eine nasse Blüte inszeniert, Tropfen an einer Glasscheibe abgelichtet oder die Spiegelung von Straßenschildern im Wasser festgehalten. Ähnlich breit gefächert sind die Interpretationen beim Motto Sommer: Der 13-jährige Moritz Hummel assoziiert die warme Jahreszeit mit nackten Beinen, für Flavia Schickor bedeutet Sommer helle Sonne und blaues Meer, für Josef Meier die Arbeit von Bienen.

Blickwinkel, das zeigt eine Ausstellung, die von diesem Samstag, 19. November, an im Schauraum des Rückgebäudes der Therese-Studer-Straße 9 zu sehen ist, sind subjektiv. So persönlich wie der Charakter, einzigartig wie jeder Mensch. Kaum ein Medium transportiert die gefilterte Sicht auf die Welt besser als ein Foto. "Beim Fotografieren kann man sich selbst ausdrücken", sagt Miriam Zieglmeier. "Das reizt mich." Die 16-Jährige weiß, wovon sie spricht. Seit zwei Jahren fokussiert die Schülerin Ausschnitte ihres Lebens mit der Kamera. Wie die anderen sechs jungen Fotokünstler, deren Arbeiten auf großen Fahnen im Ausstellungsraum zu bewundern sind, hat auch Miriam bei Bettina Lindenberg gelernt. "Alle Jugendlichen haben bei mir einen sechsstündigen Grundkurs absolviert, bei dem ein bisschen Fotogeschichte, vor allem aber technische Basics gelehrt wurden", erklärt die Fotografin. Wie mache ich Porträts? Wie funktionieren Makro-, wie Nachtaufnahmen? "Die meisten wussten zu Beginn nur, wo der Einschaltknopf ist", sagt Lindenberg lachend. Inzwischen beherrschen ihre Schüler Belichtungszeiten, kennen die Serienbildfunktion, Frosch- und Vogelperspektive, beachten die Drittelregel. "Der Horizont", erklärt Anna, "sollte immer im oberen oder unteren Drittel platziert und gerade sein".

"Die Welt, wie sie uns gefällt" ist der Titel der aktuellen Ausstellung. Für einige der Elf- bis 16-Jährigen ist es bereits ihre zweite Vernissage, das erste Mal im Frühjahr hatten sie ihr Quartier fotografisch vorgestellt. Bis auf Anna wohnen alle jungen Fotografen am Ackermannbogen, auch Bettina Lindenberg.

Diesmal also erweiterte die Gruppe ihren Radius, fotografierte gemeinsam Fauna und Flora im Olympiapark, und dann konnte jeder für sich losziehen und aufnehmen, was ihm so gefiel. Ein halbes Jahr ließ die Fotografin Lindenberg den Kindern Zeit, zu den Themen Selbstportrait, Sommer, Regen, Abstrakt, Bewegung, Farbe und Nacht ihre ganz individuellen Motive zu finden. "Jeder", sagt sie, "hat einen anderen Zugang: Der eine mag Details, der andere favorisiert die Weite. Manche machen gern Bilder von Menschen, andere präferieren Landschaften oder abstrakte Dinge". Lindenberg gab bewusst nichts vor, alle sollten selbst mit ihren Kameras experimentieren. Wichtig war ihr nur, bei den Jugendlichen den Blick für das Wesentliche zu schärfen. "Was will ich zeigen? Was Nahes? Was Skurriles? Was Typisches?" Sie sollten nicht nur einfach den Auslöser drücken, sondern ihr Objekt bewusst ins Visier nehmen. "Die Kunst des Sehens geht in der heutigen Zeit der Digitalfotografie zunehmend verloren", bedauert die 52-Jährige.

Zehn Bilder zu jedem Thema präsentierten die Schüler am Ende vor den der Gruppe, aber nur eines davon schaffte es in die Ausstellung. Teils "sensationelle Aufnahmen", loben sowohl Lindenberg als auch die Verantwortlichen im Graphisoft Center, das die Drucke sponserte. Theresa Niebler beispielsweise weiß jetzt, dass sie "abstrakte Sachen mag", auch alle anderen haben ihre Vorlieben gefunden. Bis auf die Jüngste, Franzi Rotter: Die Elfjährige überlegt "eher weniger", was sie vor die Linse nimmt. "Manche Fotos", sagt sie, "kommen einfach raus".

Den Alltag, Stimmungen und Erinnerungen festhalten, das motiviert die jungen Fotografen nun dazu weiterzumachen. Dafür wagen sie sich auch bei vermeintlich schlechtem Wetter vor die Tür oder stehen im Winter früh auf, um unberührten Schnee zu dokumentieren. Im Rucksack haben sie jetzt immer ihre Spiegelreflex-Kameras dabei. Miriam, die 16-Jährige, weiß bereits, dass sie einmal Fotografin werden will. Beim Wettbewerb "Deutscher Jugendfotopreis" gewann sie den zweiten Preis, unter 6000 Bewerbern. Auch einen Praktikumsplatz im Bundespresseamt hat sie schon in Aussicht.

Eröffnet wird die vom Kulturbüro des Ackermannbogenvereins veranstaltete Ausstellung am kommenden Samstag, 19. November, zwischen 16 und 18 Uhr. Vom Fußweg aus sind die Bilder rund um die Uhr bis zur Finissage am 18. Februar zu sehen.

© SZ vom 19.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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