Theater:"Uns hat die Realität eingeholt"

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Ein Leben im permanenten Zustand des Krieges - das ist die finstere Vision dieser "Johanna von Orleans". (Foto: Judith Buss Fotografie)

Es herrscht Krieg in Schillers "Jungfrau von Orleans". Wie lässt sich ein solches Stück derzeit auf die Bühne bringen? Regisseur Nikolas Darnstädt probiert dies am Donnerstag im Münchner Volkstheater.

Von Yvonne Poppek, München

Johanna von Orleans ist nicht zimperlich. Bei Friedrich Schiller kennt sie kein Erbarmen. Auch wer um Gnade fleht, muss letztlich sein Schwert wieder in die Hand nehmen und kämpfen. Ohne Hoffnung übrigens. Frankreich und England sind im Krieg. Belagerung, Schlachten, Verwundete, Tote, all das kommt vor in der "Jungfrau von Orleans", uraufgeführt 1801 in Leipzig. War die "romantische Tragödie" zu Schillers Lebzeiten einer seiner größten Theatererfolge, so steht das Stück heute eher selten auf dem Spielplan. Die Frage drängt sich auf: Wie setzt man das Werk heute, in Kriegszeiten, auf der Bühne um? Das Volkstheater hatte das Stück schon im September angekündigt für die erste Spielzeit im neuen Haus, nun kommt es als Bearbeitung unter dem Titel "Johanna von Orleans" am Donnerstag, 14. April, in der Regie von Nikolas Darnstädt heraus.

"Uns hat die Realität eingeholt", sagt Darnstädt in einem Gespräch eine Woche vor der Premiere. Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, sei es schwer gewesen, auf die Proben zu gehen. Allerdings: Genau weil es in der "Jungfrau von Orleans" um Krieg gehe, sei es möglich gewesen, sich damit auseinanderzusetzen. Wobei Darnstädt sofort präzisiert: "Ich will keine Sache machen, die so klar ist." Es werde bei ihm nicht ein gutes und ein böses Volk geben, also keine Schwarz-Weiß-Zeichnung. Ebenso wenig sind die verfeindeten Parteien auf der Bühne die Ukraine und Russland. Aber der Krieg ist auch nicht draußen vor der Tür. Wie auch.

Der Regisseur inszeniert das Stück als Fantasy-Epos

Darnstädt, Jahrgang 1994, hat für seine Inszenierung in das Stück eingegriffen. Nicht nur, dass er Textanteile des Fünfakters gestrichen hat, er hat auch neue Verse hinzugefügt. Seine "Johanna von Orleans" habe er in eine Fantasy-Welt überführt, sagt er. Das Setting ist eine Insel, auf der sich zwei Schwertdynastien bekämpfen. Krieg herrscht schon seit 1000 Jahren, ihn wird es immer geben. Und das allein schon aus kapitalistischem Interesse, am Krieg wird verdient. Ohne den bewaffneten Kampf, keine Einnahmen, eine bittere Bilanz. "Der Kapitalismus ist kein Heilmittel des Krieges, sondern er hat eine ähnliche Form. Er hat auch ein Unterdrückungselement", sagt Darnstädt.

Als Darnstädt mit dem Volkstheater überein kam, Schillers Tragödie zu inszenieren, gab es noch keinen Krieg in Europa. Die Ausgangslage für die Inszenierung war also eine andere. Schiller, sagt er, sei neben Kafka und Dostojewski sein Lieblingsautor, alle drei stehen für ihn für die Größe der Gefühle. "Schillers Figuren sind immer lebendig", sagt der Regisseur. An der "Jungfrau von Orleans" habe ihn nicht das religiöse Thema interessiert, sondern, dass es einen vorherrschenden gesellschaftlichen Status Quo gebe. Hier komme Johanna als andersartig hinein. Sie sei fremd, ein Rätsel, was dann auf ihre Ausgrenzung hinauslaufe in dem Moment, in dem sie nichts mehr nützt.

Einander nicht zu verstehen, ist etwas Schönes

Darnstädt möchte hier den Punkt machen: Fremd sein, einander nicht zu verstehen, sei an sich etwas Schönes. Gleichzeitig möchte er die Welt als gemacht und veränderbar begreifbar werden lassen. Dafür schafft er auf der Bühne eine Fantasy-Welt, setzt die Künstlichkeit gegen die Realität, um diese eben auch nur als eine Möglichkeit unter vielen erscheinen zu lassen. Der Krieg in der Ukraine habe seine Setzung nicht verändert, sagt der Regisseur. Ein paar Sachen haben sie umgestellt, manches gewinne aus der Situation heraus stärker an Bedeutung, als das vorher der Fall war. Die Wahrnehmung hat sich eben verschoben. Und dann drängen sich Fragen auf, wie: Warum rotten sich Menschen in Gruppen zusammen? Warum wollen sie dominieren?

Regisseur Nikolaus Darnstädt stellt sich mit seiner ersten großen Inszenierung am Volkstheater vor. (Foto: Annelie von Klitzing)

Nikolas Darnstädt hat mit "Johanna von Orleans" seine erste Inszenierung am Volkstheater. Das Haus traut dem 27-Jährigen die große Produktion zu. Die sehr große Offenheit des Volkstheaters für neue, junge Impulse von außen wird hier wieder deutlich sichtbar. Dabei hat das Haus an der Tumblingerstraße schon einen Darnstädt im Ensemble, den Bruder Lukas Darnstädt. Er steht in "Johanna von Orleans" in der Rolle des Dauphin Karl auf der Bühne. Und er zeichnet für die Musik verantwortlich. Bis auf eine Ausnahme habe er immer mit seinem Bruder zusammengearbeitet bei seinen Inszenierungen, sagt Nikolas Darnstädt. Er brauche ihn als Koproduzenten. Ihre gemeinsame Arbeit erweitern sie nun erstmals mit einem Stück mit dem Thema Krieg - heute mehr als sonst eine Herausforderung.

Johanna von Orleans, Premiere: Donnerstag, 14. April, 19.30 Uhr, Volkstheater

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