Feiertag:Väter sind die Männer, die auf ihrer Tour Fahrradhelme tragen

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Bei gutem Wetter lässt sich besonders gut beobachten, wie die Münchner sich ihre Stadt nach der Corona-Abgeschiedenheit zurückerobern, etwa beim Anstoßen auf der Brücke. (Foto: Catherina Hess)

Von Christi Himmelfahrt ist eigentlich nur noch die Fahrt übrig geblieben. Der Radler ist die Gattung und das Radler das Getränk des Tages.

Von Julian Hans

Die Schlange vor dem Kiosk an der Reichenbachbrücke reicht schon am Mittag bis über die Isar. Kein Wunder: Hier ist der optimale Einstieg in eine Radtour am Wasser und der Kiosk bietet Vatertagsgrundversorgung: Bier und flache Sprüche. Das Bier gibt es in Hunderten Variationen an der Kasse, die Sprüche drehen sich im Postkartenkarussell davor: "Wenn ich erwachsen bin, möchte ich so werden wie Papa", steht auf dem sepiafarbenen Bild eines Bubi im altertümlichen Rock. "Oh, beides geht nicht", lautet die Antwort. Haha. Oder wie wäre es mit dem: "Eltern sein ist wie Spannbettlaken zusammenlegen - keiner weiß, wie es geht".

Schwer zu sagen, wer an diesem sonnigen Feiertag einfach nur unterwegs ist, um sich mit Tausenden anderen nach langer Abgeschiedenheit in den eigenen vier Wänden die Stadt zurück zu erobern. Oder wer tatsächlich nach, ähem, alter Väter Sitte Vatertag feiert. Denn inzwischen soll es ja durchaus denkbar sein, dass Väter auch Freude dabei empfinden, Zeit mit ihren Kindern und sogar mit ihren Frauen zu verbringen und nicht unbedingt auf eine Gelegenheit warten, um mit ihresgleichen Bierkisten im Leiterwagen durch die Landschaft zu kutschieren.

Immerhin ein sicheres Indiz gibt es, wenn man sich umsieht: Väter sind die Männer, die auf ihrer Tour Fahrradhelme tragen. Die jungen Männer in den kurzen Cargo-Hosen, die am Ufer sitzen, laut rülpsen und aus sicherer Distanz berlinernd junge Frauen in Badekleidung bewerten ("leck mich doch am Arsch, ist das geil"), träumen derweil wohl noch von den ersten Schritten zur Vaterschaft.

Von Christi Himmelfahrt ist eigentlich nur noch die Fahrt übrig geblieben. Der Radler ist die Gattung und das Radler das Getränk des Tages. In der Frühsommerluft mischen sich der Duft der ersten Holunderblüten mit den Abgasen der mit viel Hingabe auf Hochglanz polierten Chopper und Cabriolets. Ein Herr fährt in vollem Aufputz mit Trachtenhut und Wadlstrümpfen auf einer weißen Vespa durchs Tal wie ein motorisierter Prinz. Das Weisse Bräuhaus hat zur Feier des Tages eine Blaskapelle engagiert. Die sitzt weit genug entfernt, dass kein Aerosol aus der Tuba zu den Gästen herüberwehen könnte, die hinter der rot-weißen Absperrkette ihr Weißbier trinken, serviert von vorschriftsmäßig maskierten Kellnerinnen. Das Leben kehrt zurück in die Stadt, die Lebenslust muss erst wieder geübt werden.

© SZ vom 22.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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