Umstrittene Straßennamen:Ehre, wem keine gebührt

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Willy Messerschmitt (links) war schon während der NS-Zeit ein bedeutender Flugzeugkonstrukteur. (Foto: Scherl/SZ Photo)

Grausame Kolonialherren, Dichter mit Nazi-Vergangenheit: Das Stadtarchiv hat eine Liste mit 45 Straßennamen erstellt, bei denen akuter Handlungsbedarf besteht - nicht immer geht es dabei aber um eine Umbenennung.

Von Jakob Wetzel

Nein, sehr lang oder besonders prominent ist die Messerschmittstraße in Moosach nicht. Sie ist eine Parallelstraße zur Hanauer Straße und misst etwas mehr als 200 Meter. Wenn nur der Name nicht wäre: Die Straße ist benannt nach Willy Messerschmitt, der einerseits als Pionier der Luftfahrt gilt, der aber andererseits im Nationalsozialismus den Einsatz von Zwangsarbeitern verlangte und es begrüßte, dass KZ-Häftlinge an den Flugzeugen arbeiten mussten; viele starben dabei. Ist es trotzdem richtig, jemanden wie Messerschmitt mit einem Straßennamen zu ehren? Oder gehört der Name aus dem ehrenden Andenken der Stadt getilgt?

Das Münchner Stadtarchiv sieht dazu zumindest "erhöhten Diskussionsbedarf": Die Messerschmittstraße steht auf einer "Shortlist", die das Archiv am Montag bekannt gegeben hat. Bereits seit 2016 macht das Stadtarchiv gewissermaßen Inventur: Damit nicht immer von Neuem über einzelne Straßennamen diskutiert werden muss, überprüfen Historikerinnen und Historiker im Auftrag des Stadtrats sämtliche Straßen darauf, ob sie nach einer problematischen Person benannt sein könnten. Insgesamt gibt es derzeit laut Sigrid Koneberg vom Kommunalreferat knapp 6300 Straßen. Und der aktuelle Stand ist: Bei 372 von diesen sehen die Wissenschaftler wenigstens "möglicherweise" Handlungsbedarf.

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Nicht immer geht es dabei um eine Umbenennung. In den meisten Fällen könne man etwa daran denken, eine erklärende Tafel anzubringen, heißt es. Bei 45 Straßen dagegen, darunter auch die Messerschmittstraße, sei der Handlungsbedarf akut. Diese seien nach Personen benannt, bei denen der Verdacht bestehe, dass ihr Handeln "in einem eklatanten Widerspruch zu fundamentalen und überzeitlichen humanitären und demokratischen Grundwerten stehen könnte", heißt es vom Stadtarchiv. Zu einzelnen Straßennamen äußert sich das Stadtarchiv nicht. Es geht unter anderem um mutmaßliche Rassisten und Antisemiten, um Kolonialverbrecher, Militaristen, Nationalsozialisten oder auch Holocaust-Verharmloser.

Die alphabetische "Shortlist" enthält einige Namen, über die in der Stadt bereits diskutiert wird, etwa die Alois-Wunder-Straße in Pasing oder den Kißkaltplatz in Schwabing, benannt nach einem Ortsbürgermeister und einem Versicherungsmanager mit Nazi-Vergangenheit. Besonders viele Diskussionen kommen der Liste nach wohl auf Bogenhausen zu: In diesem Bezirk liegen gleich zehn Straßen mit mutmaßlich problematischen Namen, angefangen mit der Agnes-Miegel-Straße, die an eine ins Nazi-Reich verstrickte Heimatdichterin erinnert, bis hin zur Wißmannstraße, die einem grausamen Kolonialbefehlshaber gewidmet ist.

Richard-Strauss-Straße

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(Foto: imago images)

Sie ist einer der prominentesten Einträge auf der "Shortlist" des Stadtarchivs: Die Richard-Strauss-Straße in Bogenhausen (und der Richard-Strauss-Tunnel unter ihr) ist ein Teilstück des Mittleren Rings. Benannt worden ist sie abschnittsweise 1915 und 1958 nach dem spätromantischen Münchner Komponisten Richard Strauss; nicht zuletzt die Arabellastraße und der Arabellapark sind nach einem seiner Werke benannt. Doch Strauss war von 1933 bis 1935 Präsident der Reichsmusikkammer - also ein offizieller Repräsentant des nationalsozialistischen Staates.

Ludwig-Thoma-Straße

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(Foto: dpa)

Dieser Straßenname bewegt die Gemüter bereits: Ludwig Thoma ist einer der berühmtesten bayerischen Schriftsteller. Speziell in München hat er sich mit der Geschichte von Alois Hingerl, dem grantelnden "Münchner im Himmel", bleibenden Ruhm erworben. Doch derselbe Mann verfasste gegen Ende seines Lebens antisemitische Hetzartikel für den Miesbacher Anzeiger. Die meist anonym veröffentlichten, prominent auf der ersten Seite platzierten Texte richteten sich oft auch gegen die Reichsregierung und die SPD. Nach Thoma ist in Pasing seit 1947 eine knapp 130 Meter lange Straße benannt, außerdem eine städtische Realschule.

Elly-Ney-Weg

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(Foto: Fotostudio Schafgans in Bonn)

Die Benennung dieses knapp 140 Meter langen Weges in Obermenzing liegt nicht lange zurück: Er erhielt seinen Namen erst 1994. Patronin Elly Ney war eine international anerkannte Pianistin und Beethoven-Interpretin, aber auch eine überzeugte Nationalsozialistin, die sich willig vom Regime instrumentalisieren ließ und von diesem profitierte. Sie starb 1968 in Tutzing. Wie es sein könne, dass noch 1994 eine Straße nach ihr benannt wurde? Die Stadt lässt Kandidaten für Straßenbenennungen vorab von Gutachtern prüfen. Intensiv sähe man aber erst seit den 1990er-Jahren hin, sagt Manfred Heimers vom Stadtarchiv. Zuvor sei man mit der Frage "auf eine für uns nicht nachvollziehbare Weise etwas lockerer umgegangen".

Nachtigalstraße

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(Foto: imago images)

Gustav Nachtigal war ein Star seiner Zeit: Die Reisen des Afrikaforschers von 1869 an unter anderem an den Tschadsee und durch den Sudan erregten in Deutschland Aufsehen. Nachtigal selbst profilierte sich als leidenschaftlicher Kritiker der Sklaverei. Doch 1884 entsandte Bismarck den Wissenschaftler als Reichskommissar nach Westafrika. Nachtigal schuf daraufhin die Schutzgebiete Togo, Kamerun und Südwestafrika, heute Namibia. Sein Name steht damit nicht zuletzt für den eigentlichen Beginn der deutschen Kolonialherrschaft. In München ist seit 1925 eine Straße in Neuhausen nach Gustav Nachtigal benannt.

Martin-Heidegger-Straße

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(Foto: imago stock&people)

Wie sehr seine philosophischen Gedanken und seine politischen Überzeugungen voneinander zu trennen sind, das ist seit Jahren Teil wissenschaftlicher Debatten. Unstrittig aber ist: Martin Heidegger war nicht nur einer der einflussreichsten Philosophen des 20. Jahrhunderts, sondern auch ein früher Anhänger Adolf Hitlers und ein begeisterter Nationalsozialist. Von 1933 bis 1945 war er Mitglied der NSDAP. In den vergangenen Jahren wurden noch dazu weitere seiner Schriften publiziert, die voller antisemitischer Stereotype stecken. In München ist seit 1983 ein Sträßchen nahe der S-Bahn-Haltestelle Langwied nach Heidegger benannt.

Robert-Koch-Straße

Der Name steht gerade heute wie kaum ein zweiter für die Wissenschaft und für den Kampf gegen die Corona-Pandemie: Robert Koch. Nach dem Mitbegründer der Mikrobiologie ist seit 1912 das heutige Robert Koch-Institut in Berlin benannt. Und auch im Lehel trägt seit 1931 eine Straße seinen Namen. Doch der Medizin-Nobelpreisträger von 1905 hat eine Schattenseite: Im deutschen und im britischen Kolonialreich in Afrika führte er 1906 Experimente an Menschen durch, um die Schlafkrankheit zu erforschen - Versuche, wie er sie in Deutschland nur an Tieren hätte anstellen können. Den Tod der Afrikaner nahm er dabei in Kauf.

Hella-von-Westarp-Straße

Die Hella-von-Westarp-Straße in Riem ist nicht alleine: Auch die Teuchert- und die Deikestraße, zwei Parallelstraßen, stehen auf der "Shortlist" des Stadtarchivs von "Straßennamen mit erhöhtem Diskussionsbedarf". Alle drei münden in die Linnenbrüggerstraße, auch sie ist Teil der Liste. Und alle erinnern sie an Mitglieder der völkisch-antisemitischen Thule-Gesellschaft, die als Vorläuferin der Nazis gilt. Westarp und die anderen wurden 1919 von Soldaten der Münchner Räterepublik erschossen; die Nazis verklärten sie später zu Märtyrern und ehrten sie mit Straßennamen. Viele Ehrungen der Nazis wurden nach 1945 wieder getilgt. Diese nicht.

Was mit diesen Straßen geschieht, ist offen - bei den Listen handle es sich nur um Diskussionsgrundlagen, betont der kommissarische Leiter des Stadtarchivs, Manfred Heimers. Und es gehe bei den Namen ja um mehr als nur um Orientierungshilfen in der Stadt, sagt Andreas Heusler vom Stadtarchiv. Menschen würden sich mit den Namen ihrer Straßen identifizieren, Umbenennungen seien deshalb grundsätzlich schwierig. Und die Namen seien auch Spiegel der Stadtgeschichte. Besser, als diese Spuren einfach zu tilgen, sei es, die Debatten lebendig zu halten. Man arbeite daran, entsprechende Formate zu finden.

In den nächsten Monaten sollen nun Fachleute städtischer Institute sowie Stadträte über die Namen auf der "Shortlist" diskutieren; danach, wohl ab Ende 2022, kämen die verbleibenden 327 Namen auf der "Longlist" an die Reihe, sagt Heusler. Diskutieren sollen auch die Münchner in mehreren Runden. Die erste an diesem Donnerstagabend im Neuen Rathaus ist schon ausgebucht, sie kann nur noch online verfolgt werden. Ob eine Straße umbenannt wird, entscheidet am Ende der Stadtrat.

© SZ vom 28.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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