Ukrainer in München:"Wenn die Russen angreifen, kommt man nicht mehr zurück"

Lesezeit: 4 min

Auch wenn Lviv an der Westgrenze der Ukraine liegt, ist dort der Konflikt sehr präsent. (Foto: Markiian Lyseiko/dpa)

8000 Menschen aus der Ukraine leben, studieren und arbeiten in München. Mit Angst um ihre Familien und die Zukunft ihres Landes blicken sie auf den Konflikt mit Russland an der Ostgrenze ihrer Heimat.

Von Andrea Schlaier

Als sich Nadiia Khomanchuk vor zwei Wochen am Flughafen von Lviv von ihren Eltern verabschiedet hat, lagen sie sich weinend in den Armen. "Weil man nicht vorhersehen kann, wie es weitergeht. Alle haben Angst." Die 28-Jährige ist im ehemaligen Lemberg, im äußersten Westen der Ukraine, aufgewachsen. Alle zwei, drei Monate fliegt die Doktorandin vom Erdinger Moos aus zu ihrer Familie. Seit 2014 ist sie eingeschrieben an der Ukrainischen Freien Universität München, der einzigen ausländischen Hochschule, an der in ihrer Muttersprache gelehrt wird. Doch angesichts der weltweiten Sorge vor einer russischen Aggression im Osten des Landes bekommt der Abschied ein anderes Gewicht.

Nadiia Khomanchuk studiert in München. (Foto: Privat)

"Ich habe meine Mutter, meinen Vater verlassen mit der Sorge, dass ich nicht weiß, wann ich sie wiedersehe." Nur theoretisch lebe ihre Großfamilie weit weg von der Krisenregion an der Grenze zu Russland. "Als ich über Weihnachten daheim war, haben viele schon nach Kellern und Bunkern Ausschau gehalten, in denen man sich vor Bomben retten könnte." Die Kriegsgefahr sei nicht mehr abstrakt. "Außerdem ist mein Vater beim Militär", erzählt Nadiia Khomanchuk, "er müsste gleich in den Krieg ziehen".

"Wir sind alle besorgt, ein Teil unserer etwa 300 Studierenden ist gerade dort", erzählt Yanina Lipski, Kanzlerin der Ukrainischen Freien Universität, die ihren Sitz an der Barellistraße in Nymphenburg hat. "Da derzeit die Lehrveranstaltungen online stattfinden, sind manche gar nicht in München." Wenn der Kriegsfall eintrete, "müssten wir dafür sorgen, dass sie ihr Studium hier vor Ort fortsetzen können." Etliche der Studierenden, die an der Isar geblieben sind, sagt Lipski, "waren vergangenen Sonntag bei der Demonstration zur Unterstützung der Ukraine auf dem Marienplatz dabei" .

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Etwa 150 Menschen protestierten dort gegen Krieg und Gewalt in ihrem Heimatland und riefen Deutschland auf, Waffenlieferungen von anderen Nato-Mitgliedsstaaten an die Ukraine nicht länger zu blockieren. "Es ist wichtig, dass solche Aktionen stattfinden", sagt Konsul Dmytro Shevchenko vom Generalkonsulat der Ukraine in München. "Wir müssen den Einheimischen hier zeigen, was uns bewegt." 8000 Ukrainer lebten in der Landeshauptstadt, etwa 26 000 in ganz Bayern. "München ist seit vielen Jahren das größte Zentrum der Diaspora im Ausland." Seit 1989 besteht die Städtepartnerschaft mit Kiew.

"Wenn was passiert, dann im Februar!"

Die Bedrohungslage "ist nicht was ganz Neues für uns", gibt der Diplomat zu bedenken. "Seit 2014 läuft im Osten der Krieg, und die Leute haben gelernt, ihren normalen Alltag daran anzupassen." Gleichzeitig beobachte er, wie viele Landsleute, die in München leben, aktuell überlegten, "Familienangehörige zu sich einzuladen". Nur für eine "Periode", sagt Shevchenko. Was er meint: "Wenn was passiert, dann im Februar!" Seine eigene Familie lebe auf der Krim und damit seit acht Jahren in der Okkupation.

Ukrainer in München: Pfarrer Wolodymyr Viitovitch, Lesya Shramko-Kerres und Andrij Nesmasznyi (von links) in der Kathedrale Maria Schutz und St. Andreas an der Schönstraße 55. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Dienstagabend an der Untergiesinger Schönstraße: Pfarrer Wolodymyr Viitovitch zelebriert die Messe im goldenen Gewand mit dem Rücken zum Volk. Der Altarraum, ein einziges Schimmern: im Zentrum die mit goldenen Mosaiksteinen besetzte Apsis, in der die Mutter Gottes zwischen Himmel und Erde schwebt. Ein voller, warm wiegender Gesang füllt den Kirchenraum von der Empore herunter, wo Kantor Andrij Nesmasznyi die gesamte Feier mit seiner Stimme begleitet. Die Kirche Maria Schutz und St. Andreas ist das Zentrum für katholische Ukrainer des byzantinischen Ritus in Deutschland und Skandinavien. Aber nicht nur. Für die etwa 2500 Gemeindemitglieder ist dieser Ort samt angegliedertem Pfarrzentrum ein Stück Heimat, gesellschaftlicher Treffpunkt.

Hier kommt man sonntags nicht nur zu Borschtsch und Wareniki zusammen, sondern verbindet sich miteinander im Frauenverein, bei den Pfadfindern, dem Bund der Ukrainischen Studenten oder dem Dachverband der ukrainischen Organisationen in Deutschland (DUOD). Und nach dem Dienstagabend-Gottesdienst kommen hier auch Pfarrer Viitovitch, Kantor Nesmasznyi und Lesya Shramko-Kerres zusammen.

Es geht in dem Besprechungszimmer schnell hoch her. Nesmasznyi ist beim Dachverband engagiert, die studierte Politikwissenschaftlerin Shramko-Kerres sitzt im Vorstand und macht gleich klar: "Bei uns wird immer über Politik gesprochen. Egal aus welchem Teil der Ukraine man kommt, alle haben die gleiche Sorge." Ob es nun ihre eigenen Eltern seien, die nahe der polnischen Grenze in Drohobytsch lebten und sie gebeten hätten, sie aktuell nicht zu besuchen: "Wenn die Russen angreifen, kommt man nicht mehr zurück." Oder ob es Freunde aus den östlichen Regionen seien, die ihre Eltern mahnten, das Auto voll getankt und immer Geld in der Tasche zu haben, "damit sie sofort zur Flucht aufbrechen können". Als am Montag die Pressekonferenz zwischen US-Präsident Biden und Kanzler Scholz lief, haben sie die virtuelle Vorstandssitzung des DUOD dafür unterbrochen.

Weil es jetzt um Gas und eine neue Weltordnung gehe, stehe die Ukraine auf einmal wieder im Fokus

Was die drei und wohl viele in der Gemeinde aufbringt, ist die westliche Lesart des Konflikts. Verhandelt werde keine Ukraine-Krise, kein Bürgerkrieg, hier gehe es um die dritte größere Aggression Russlands: "Wir haben seit acht Jahren diesen Hybrid-Krieg, die Russen haben die Krim annektiert, russische Söldner sind im Donbas, jeden Tag stirbt jemand", hebt Lesya Shramko-Kerres an und Viitovitch macht weiter: "Menschen haben ihre Arbeit, ihre Heimat verloren, Industriegebiete sind zerstört, die Wirtschaft ist zurückgeworfen."

Weil es jetzt um Gas und eine neue Weltordnung gehe, stehe die Ukraine auf einmal wieder im Fokus. Bitterkeit macht sich breit. Bohdan Dzyurakh, Apostolischer Exarch der Ukrainisch Griechisch-Katholischen Kirche in Deutschland und Skandinavien mit Sitz in München, hat kürzlich in einem Brief die Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz aufgefordert, sich über "zuverlässige Quellen" zu informieren.

"Im Ausland sind wir alle Ukrainer", sagt Andrij Nesmasznyi, "Parteien spielen keine Rolle, Religion auch nicht." Das sieht auf der anderen Seite der Stadt, in der Siedlung Ludwigsfeld, Valentin Smoktunowicz, Pfarrer der ukrainisch-orthodoxen Kirche, genauso. Nesmasznyi ist Enkel einer Zwangsarbeiterin im Zweiten Weltkrieg. Er gehört zur ersten Generation der Ukrainer, die in Deutschland zur Welt gekommen und aufgewachsen sind. "Wir sind alle betroffen."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusGlaube
:Wenn man nicht so ist, wie die Kirche einen gern hätte

Michael Brinkschröder war Messdiener, studierte Theologie und ist homosexuell. Im Studium wollte er herausfinden, woher die Homophobie in der Kirche stammt. Das alles, obwohl er selbst Diskriminierung erfuhr. Über einen, der die Institution trotz allem nicht aufgeben will.

Von Linus Freymark

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: