Münchner Momente:Der Senf zum Glas

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Thomy hat sein Senfglas seit neuestem mit einem Schraubverschluss versehen. Und wo sollen künftig die Trinkgläser herkommen?

Glosse von Stephan Handel

Als hätte nicht gereicht, was dieses Jahr alles passiert ist - eine richtig schlechte Nachricht, eine Katastrophe in den letzten Tagen, macht erst recht alles grauenvoll und die vergangenen zwölf Monate zum Vergessen: Der Senf-Abfüller Thomy hat an seinen Gläsern einen Schraubverschluss angebracht!

Um das ganze Ausmaß dieses Desasters zu verstehen, muss man wissen, dass die Thomy-Senfgläser neben dem Zweck der Senf-Aufbewahrung einen zweiten, noch viel nachhaltigeren hatten - sie waren, wenn sie erst einmal geleert waren, perfekt als Trinkgläser, gut zu halten, mit genau der richtigen Füllmenge, gelegentlich mit lustigen Comic-Figuren (Biene Maja, Schlümpfe) bemalt und vor allem nicht teuer, so dass sie ohne Probleme auch tapsigen Kinderhänden anvertraut werden konnten.

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So war das ja lange Zeit in deutschen Haushalten: Die "guten Gläser" kamen nur heraus, wenn Besuch kam oder Weihnachten war, den Rest des Jahres trank man aus einem bunt zusammengewürfelten Sortiment der unterschiedlichsten Behältnisse, und niemand wäre auf die Idee gekommen, beim Decken des Abendbrot-Tisches auf stilistisch einheitliches Design zu bestehen.

Gut, mittlerweile gibt es Ikea, so dass sich auch die prekärste Schwabinger Studenten-WG mit dem Trinkglas Ivrig - vier Stück für 9,99 Euro - eindecken kann. Das reicht aber nie im Leben heran an die Befriedigung, sich sein eigenes Geschirr sozusagen eressen zu haben. Wie oft musste es wohl im Durchschnitt Wiener mit Senf geben, bis wieder mal ein Glas leer war und zu den anderen in den Hängeschrank wandern konnte? Das war ein stolzer Vorgang, denn da entstand eine Ausstattung, die nicht einfach, Kommerz, Kommerz, zusammengekauft, sondern die tatsächlich vom Mund abgespart war.

Der Hersteller begründet seinen Schritt damit, dass es vielen Kunden zu kompliziert war, den bisherigen Blechdeckel jedes Mal vom Glas zu fieseln. Das klingt nicht sehr glaubwürdig - viel komplizierter wird es nun, das leere Senfglas eben nicht mehr nachhaltig weiternutzen zu können, sondern es samt seinem vermaledeiten Schraubgewinde dem Recyclingprozess zuzuführen.

Wenn Thomy nur ein bisschen Ehre und Traditionsbewusstsein im Leib hätte, würde es den Schritt rückgängig machen und das Glas mit dem Schnappdeckel wieder einführen. Denn nicht immer führen Neuerungen zu Verbesserungen, und wenn man schon zu etwas seinen Senf dazugeben will, dann doch aus einem Glas, das auch nach der Leerung noch einen Wert hat.

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