Theater:Liebe deinen Nachbarn

Lesezeit: 2 min

"Entweder ... oder?", eine brillante Farce über Vorurteile und Antisemitismus im Theater ... und so fort.

Von Egbert Tholl

Treffen sich zwei Nachbarn im Treppenhaus. Der eine wohnt schon lange hier, der andere seit ein paar Jahren. Sie sollten sich kennen, zumindest so, wie man sich halt von Begegnungen im Treppenhaus kennt. Aber da gibt es eine Frage, die den Nachbarn A beschäftigt: "Sind Sie Jude?"

Jean-Claude Grumberg, französischer Drehbuchautor, Schriftsteller und Schauspieler, begann 1961, Theater zu machen, ein paar Jahre später wurde sein erstes Stück aufgeführt, "Michu", es ging um Antisemitismus. Das Thema ließ ihn nicht mehr los, er hatte als Kind die Nazis in Frankreich erlebt. Grumberg hat zahlreiche Preise erhalten, doch über "Entweder ... oder?" findet man sehr wenig. Das Stück trug 2013, als es herauskam, übersetzt noch den Titel "Die endgültige Klärung der Judenfrage", dann kamen die Anschläge auf einen jüdischen Supermarkt in Paris, auf die Redaktion von Charlie Hebdo. Deshalb heißt es nun eben "Entweder ... oder?", es ist eine Entdeckung, es ist nun am Theater ... und so fort zu sehen. Eine ungeheuer witzige, kluge Farce.

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Es braucht nur die zwei Nachbarn, A und B. Konrad Adams spielt A, ein scheues Mann-Gebirge, Cordhose, weißes Hemd; in dessen Tasche ein Notizblock, an einem Gummizug an der Hose stets griffbereit ein Bleistift. Heiko Dietz ist B, bisschen schicker, weltmännischer, lächelnd skeptisch. Außer den beiden braucht Regisseur Jörg Schur nur ein paar Treppenstufen, das Geräusch des Aufzugs. Und zwischen den Szenen informative Projektionen über ein paar Eigenheiten des Judentums und die eines echt guten Witzes: "Warum antworten Juden auf Fragen immer mit einer Gegenfrage? - Na, warum nicht?"

A wird von seiner Frau vorgeschickt. Die hat im Internet gelesen, dass B Jude sei, also solle ihr Mann mal fragen, was das eigentlich ist. Ein Jude. Ein Trick bei dieser Ausfragerei über neun kurze Szenen hinweg ist, dass A überhaupt keine Ahnung hat und immer nur für seine Gattin fragt, die nie auftaucht. Dadurch - Farce! - lässt sich vieles drolliger gestalten, als es bei direkter Wissbegierde möglich wäre. Klar, es geht um Bräuche, ums koschere Essen, aber bald auch - die Gattin ist auf unterschiedlichsten Internetseiten unterwegs - um die Palästinenser. Dass B die israelische Siedlungspolitik und die Trennmauer verabscheut, dringt bei ihr nicht so ganz durch.

Ein Aperitif ist anberaumt. Doch erst zögert As Gattin wegen der Palästina-Frage, dann - inzwischen lässt sie sich von einem Rabbi in den USA coachen und lernt Jiddisch - deshalb, dass B eher atheistisch unterwegs ist und sich nicht streng an die Bräuche hält. Gar Schweinefleisch isst. As werden jüdischer, als B je war. Das Ganze vollzieht sich mit Aberwitz, Rasanz und Genauigkeit, ein großer Spaß über Vorurteile und deren Umdrehung.

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