Initiative "München spricht":Hetze und Hass haben keinen Platz

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"Wir haben leider nicht die Tradition der Speaker's Corner": Mark Müller und Sebastian Spies suchen noch Mitstreiter - im positiven Sinn. (Foto: Robert Haas)

Mit ihrem Projekt wollen Mark Müller und Sebastian Spies dazu beitragen, dass öffentliche Debatten wieder konstruktiv geführt werden. In anderen Städten funktioniert das bereits. Ein Gespräch über Radikalisierung, Regeln und Rhetorik.

Interview von Sabine Buchwald

Sprechen, aber bitte mit Hirn, das ist die Ansage. Das will das Logo von "München spricht" vermitteln. Auf den ersten Blick sieht es aus wie eine Eistüte. Schaut man genauer, ist ein Schalter zu erkennen wie an einem Mikrofon. Der Mikrofon-Kopf, in der Realität oft mit einem Metallnetz geschützt, erinnert in der Zeichnung an die Windungen eines Gehirns. Die Initiatoren von "München spricht" wollen "öffentliche Gespräche mit Niveau" organisieren und eine Plattform für eine offene Diskussionskultur sein.

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Einige Veranstaltungen haben in diesem Sinne schon stattgefunden, dann kam die Pandemie. Mark Müller, 40, Verkaufsassistent in einem großen Münchner Sporthaus, und Sebastian Spies, 30, in der Werbebranche tätig, gehören zu einer kleinen Gruppe von Münchnerinnen und Münchnern, die jetzt mit der Initiative weitermachen. Alle arbeiten ehrenamtlich unter dem Dach des Vereins "Deine Stadt spricht", der in Köln, Berlin und Leipzig bereits gut etabliert ist. Der Münchner Ableger sucht noch dringend Leute. Um dafür zu werben, kommen Müller und Spies für eine Limo ins Schneider-Bräu.

SZ: Was reizt Sie an öffentlichen Diskussionen?

Mark Müller: Ich finde, es ist privat schwieriger geworden, auf eine gute Art und Weise Standpunkte miteinander zu diskutieren.

Sebastian Spies: Die Fronten haben sich bei vielen Themen verhärtet. Das stelle ich auch immer wieder fest.

Am Thema "Impfen" sind schon Freundschaften zerbrochen.

Müller: Besonders Corona ist ein weites Feld, bei dem die Menschen sehr emotional werden, weil es sie selbst so unmittelbar betrifft. Aber auch über Klima- und Umweltschutz wird radikal argumentiert. Die einen befürchten, dass sie auf Gewohntes, wie ihr Auto, verzichten müssen. Andere haben einfach Angst, dass es bald diesen Planeten nicht mehr gibt.

Spies: Viele Menschen sind geprägt von dem, was sie in den Medien wahrnehmen, vor allem in den sozialen Medien. Das hat unsere Gesprächskultur verändert, sie ist verletzender geworden.

Wie wollen Sie das bei Ihren Veranstaltungen verhindern?

Spies: Wir haben immer einen Moderator dabei, der schlichtend eingreift und je einen Experten zu einem Thema.

Müller: Das war ich zum Beispiel auch schon mal bei dem Thema "Ladenöffnungszeiten". Dazu kann ich aus eigener Erfahrung viel beitragen. Ich arbeite in einem großen Geschäft in der Innenstadt.

Das ist ein Thema, das sehr nah an den Menschen ist. Wir sind alle Kunden. Worüber soll sonst noch gesprochen werden?

Müller: Über alles, was die Gesellschaft bewegt. Es gibt bei jeder Veranstaltung drei Themenblöcke: etwas Privates wie etwa Alltagsrassismus, etwas zu München und ein überregionales oder globales Thema. Wir haben schon über Plastik-Recycling, finanzielle Gleichstellung und psychische Gesundheit gesprochen. Die Themen müssen bei einer Veranstaltung nicht zusammenpassen. Aber wir geben Regeln vor: Hetze und Hass haben keinen Platz. Wer spricht, muss konstruktiv bleiben und darf nicht destruktiv werden.

Im Fernsehen wird auf allen Kanälen heftig diskutiert. Motivieren Talkshows, sich auf Gespräche mit anderen einzulassen?

Spies: Es ist bestimmt ganz gut, wenn die Menschen sehen, dass viel diskutiert wird. Aber wird man wirklich schlauer aus diesen Formaten, wenn man nur zuschaut, also konsumiert? Wir wollen, dass die Leute selbst aktiv werden.

Müller: Und nicht nur im Netz ihre Kommentare loswerden. Es wäre schön, wenn es uns gelänge, die Diskussionen von dort auf die Straße zu holen. Es ist doch viel besser, sich in die Augen zu schauen, wenn man miteinander kommuniziert.

Im Vergleich zu etwa England oder den USA ist bei uns die Gesprächskultur nicht sonderlich gut kultiviert. Ist das ein Problem für die Initiative?

Spies: Wir haben leider nicht die Tradition der Speaker's Corner. Schüler werden bei uns viel weniger gut auf Debatten vorbereitet als in anglophonen Ländern. Rhetorik wird nur selten in den Schulen unterrichtet. Dennoch setzen wir genau da an, weil wir wollen, dass sich die Gesprächskultur verbessert. Die Grundidee von "München spricht" ist, Diskussionen aus der Atmosphäre einer Speaker's Corner in einen geschützten Raum zu bringen. Wir meinen das im übertragenen Sinne. Wir waren ja auch schon im Westpark auf der Wiese.

Müller: Mit den Veranstaltungen wollen wir das Publikum zum Mitdiskutieren und zum Nachdenken anregen, aber eben unter Einhaltung von Regeln.

Spies: Hart in der Sache, weich im Ton. Die Themen dürfen provokant sein, aber nicht die Art zu diskutieren. Wäre doch super, wenn die Teilnahme an einem Speaker's Corner so alltäglich wird wie der Gang zum Bäcker. Wir sollten begreifen, dass alles, was wir tagtäglich tun, politisch ist. Nicht zur Wahl zu gehen, ist auch ein Statement. Also ist es sinnvoll, sich damit auseinanderzusetzen.

Wird Ihnen beiden das Reden nicht irgendwann zu viel? Sie sprechen beruflich schon den ganzen Tag.

Müller: Privat ist das etwas Anderes. Ich liebe es, mit verschiedensten Leuten ins Gespräch zu kommen. Mir macht es Spaß, unterschiedliche Meinungen und Menschen mit verschiedenen Bildungshintergründen zu hören.

Spies: Ich finde es wichtig, aus der eigenen Blase auszubrechen und die Beweggründe anderer zu verstehen. Ich habe immer gedacht: So was wie "München spricht" fehlt mir. Auf einer Party trifft man doch meistens dieselben Leute.

Müller: Und je mehr Alkohol fließt, desto banaler werden ja oft die Gespräche.

Weitere Informationen unter deine-stadt-spricht.de/muenchen/ sowie auf Facebook und Instagram . Das nächste virtuelle Infotreffen findet am Mittwoch, 20. Juli, um 20 Uhr statt.

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