SPD-Parteitag in München:Kevin aus der Küche

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Münchens SPD startet in den Bundestagswahlkampf: Bei der digitalen Veranstaltung lässt sich am Bildschirm auch Vize-Parteichef Kühnert blicken und gibt Tipps für den diffizilen Umgang mit den Grünen.

Von Anna Hoben, München

"Netzkonferenzen sollten straff und schnell durchgeführt werden, sonst sind sie übermäßig ermüdend und schlecht für die Gesundheit. Freundschaft!" So lautet am Samstagmorgen der erste Beitrag im Chat des SPD-Parteitages - die Absenderin ist Ärztin, sie weiß, wovon sie spricht. Knapp fünfeinhalb Stunden später ist klar, dass es nicht ganz geklappt hat, es kurz zu halten. Dafür sind die bis zu 170 Genossinnen und Genossen mit lebendigen Diskussionen in den Bundestagswahlkampf gestartet; so lebendig es eben möglich ist bei einer rein digitalen Veranstaltung, ohne Applaus, ohne Zwischenrufe und andere Stimmungs-Messinstrumente. Es geht um die Wahl der Delegierten für den Landesparteitag der Bayern-SPD, bei dem der Landesvorstand gewählt werden soll. Und es geht darum, mit welchen Themen die SPD bis zur Bundestagswahl aus dem Umfragetief kommen und bei den Menschen punkten will.

Das digitale Format hat auch einen Vorteil: Gastredner können sich aus der Küche an ihrem Heimatort zuschalten. In diesem Fall ist es der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Kevin Kühnert, der sich für fast anderthalb Stunden einloggt und dabei natürlich auch um die F-Frage nicht herumkommt: Er habe am Montag um 15.30 Uhr einen Friseurtermin, erzählt er, auf seine Haare angesprochen - und dann sei er froh, "wenn dieses Kapitel geschlossen ist". Vor einer beeindruckenden Beuteltee-Sammlung stimmt Kühnert die Münchner Genossinnen und Genossen auf das Bundestagswahlprogramm ein, dessen ersten Entwurf sie an diesem Montag in ihren Mailpostfächern finden. Der März ist dann dazu da, es durchzuarbeiten und Änderungsanträge zu stellen. Die Partei dürfe sich in Krisenzeiten nicht einreden lassen, dass Wahlkampf etwas Ungehöriges sei, sagt Kühnert. Man habe Anfang des Jahres "etwas Dresche" kassiert, als Olaf Scholz die Impfstoff-Einkäufe der EU kritisiert hatte. "Heute wissen wir, dass wir den Finger an der richtigen Stelle in die Wunde gelegt haben." Es könne nicht sein, dass die Pandemie "mit der Mentalität eines Kassenwarts" bekämpft werde.

Er glaube, sagt Kühnert, dass das Wahlprogramm, an dem bereits seit dem vergangen Sommer gebastelt wird, einen "Fortschritt" im Vergleich zu früheren Programmen biete, weil die SPD darin sehr "lebensweltlich" argumentiere. Und natürlich fließen die Erfahrungen aus der Pandemie ein: Neben der Reform des Sozialstaats spielt die Daseinsvorsorge eine große Rolle. Kühnert spricht dann ausführlich zum Thema Wohnen, "weil ich weiß, dass euch diese Frage im Wahlkampf von jeder zweiten Person mindestens gestellt wird". Man wolle - auch als Antwort auf das gescheiterte Volksbegehren in Bayern - ein klares Bekenntnis zu einem bundesweiten Mietenstopp für fünf Jahre. Es brauche wieder eine Wohnungsgemeinnützigkeit und eine "bevorratende Bodenpolitik". Regulatorische Eingriffe in den Mietmarkt seien nur die eine Seite, die andere: bauen, "ganze neue Stadtquartiere erschließen". Generelle Zustimmung im Chat, allerdings gebe es in der bayerischen Landeshauptstadt fast keine Flächen mehr, wirft der Münchner SPD-Vize Roland Fischer ein.

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Die Mobilität ist dann auch noch Thema, man wolle den Versuch wagen, ein "Recht auf Mobilität" zu definieren, sagt Kühnert. Es geht um gleichwertige Lebensverhältnisse und um E-Mobilität. Man werde sich strecken müssen, sagt der SPD-Bundesvize, für das Ziel, dass nach der Bundestagswahl "irgendeine Dreierkonstellation möglich ist". Man wolle eine Bundesregierung ohne CDU/CSU, die seit 16 Jahren regieren und "erschreckend gute Noten fürs Krisenmanagement bekommen, auch wenn sie wenig Anteil daran haben".

Das beantwortet schon zum Teil eine Frage, die eine Genossin später an Kühnert richtet: Wie "aggressiv" man sich im Wahlkampf gegenüber den Grünen verhalten solle, wie sehr man sich abgrenzen solle? Alle Machtoptionen gingen nur mit Grünen, antwortet Kühnert, und sie gehörten zu den der SPD nahestehenden Kräften. Für die Auseinandersetzung empfiehlt er, sehr konkret über politische Konzepte zu streiten und immer wieder den "Realitätscheck" zu machen. Zum Beispiel zur jüngst von Toni Hofreiter angestoßenen Einfamilienhaus-Debatte. In Baden-Württemberg, wo die Grünen regieren, seien zuletzt sehr viele Einfamilienhäuser genehmigt worden. Sein Rat: Wer mit den Grünen im Sommer in Podiumsdiskussionen sitze, sei gut beraten, sich gut vorzubereiten und auch deren Programm zu kennen.

Es sei ein "Glücksfall", sagt die Münchner SPD-Vorsitzende Claudia Tausend, dass Kevin Kühnert das Wahlprogramm mitgestalte. Viele der angesprochenen Themen seien schon lange Programm der Münchner SPD. Lob kommt auch von den Jusos: "Respekt dafür, dass man offensichtlich aus den letzten Wahlen gelernt hat", sagt Vize Benedict Lang.

Mit den vorgestellten Programmschwerpunkten liege es an allen, im persönlichen Umfeld wieder zu sagen: "Hey, die SPD kann man wählen." Statt Applaus gibt es zum Schluss vielfache digitale Dankesbekundungen an Kevin Kühnert per Chat in die Küche. "Bis ganz bald mal wieder in Minga!", schreibt der zum Abschied.

© SZ vom 01.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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