Vorurteile:Dirndl für Hunde

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Lena Flohr. (Foto: Elisa Schwarz)

Was man in einem Souvenirladen über Klischees lernen kann

Von Elisa Schwarz

Touristen? Lena Flohr, 26, lila Pulli, blonder Pony, steht in dem kleinen Souvenirladen ihrer Eltern in der Orlandostraße. Die Dirndl hängen auf Bügeln, reduziert von 112 auf 69 Euro. Die Dackelstifte liegen ordentlich in einer Schachtel an der Kasse. Und draußen glänzen die Postkartenständer in der Sonne. Alles da, alles aufgeräumt. Nur die Touristen fehlen.

Im März haben sie hier den Laden dichtgemacht, wegen Corona, da kommen normalerweise die ersten Besucher aus Europa, sagt Flohr. Meistens Franzosen und Italiener, die immer so gerne verhandeln: "Sconti? Sconti?"Jetzt gibt es im ganzen Souvenirshop Sconti, Rabatte. Aber keine Italiener.

In einem Souvenirladen lernt man jede Menge über Klischees, so denkt man ja. Italiener wollen verhandeln, Amerikaner kitschige Bierkrüge, und die Deutschen laufen vorbei und verdrehen die Augen: Ramsch. Und dann auch noch teuer. Aber Corona ändert alles. Und so kommen zu Lena Flohr gerade keine Touristen aus dem Ausland, aber dafür ab und zu ein paar Einheimische. Deutsche Kunden in einem deutschen Souvenirladen. Es sind verrückte Zeiten.

Lena Flohr zieht ein dunkelgrünes T-Shirt aus dem Regal hinter der Kasse. Schon als Kind stand sie hier im Laden, erzählt sie, hängte die Schlüsselanhänger an die Häkchen und beobachtete die fremden Menschen, die von allem so begeistert waren. Marienplatz! Hofbräuhaus! Little Dackel! Jetzt studiert sie Kunstgeschichte, was meistens spannender ist, als im Laden zu stehen. Zumindest zur Zeit.

"Die Amis sind ja ein bisschen patriotisch unterwegs", sagt Flohr und faltet das dunkelgrüne T-Shirt auf. "Am tollsten finden sie die Sachen mit fett Flagge drauf." Auf dem T-Shirt steht immerhin dick "Bavaria" und darunter, auf Bierbauchhöhe, prangt das Wappen des Freistaats. Der Bestseller unter den T-Shirts. Und klar, Dirndl ziehen die Amis auch gerne an, sagt Flohr, und zwar die ganze Familie, an Halloween. Die Frau, die Kinder, der Hund. Der Hund? Flohr nickt und zeigt auf ein kleines, rotes Dirndl mit Schleifchen, das neben der Kasse hängt. "Dirndl for Dogs", steht auf einem Schild, 24 Euro, XS-XL. "Finden die sehr lustig."

Eine Frau schaut durch die offene Tür, in der Hand drei eingepackte Masken, die draußen neben den Postkarten hängen. Sie dreht noch eine kleine Runde durch den Laden, bleibt vor den Magneten stehen, den Haarreifen, dreht ein paar Preisschilder um. Dann bezahlt sie.

"Die deutschen Kunden erkennst du schon, wenn sie draußen vor der Tür stehen", sagt Flohr, als die Frau durch die Tür verschwunden ist. "Die schauen sich die Sachen ewig an: 'Das würde süß an Brigitte aussehen' und finden den Preis dann übertrieben. Obwohl der Schal bei H&M genauso viel kostet."

So viele Münchnerinnen und Münchner wie gerade hatten sie jedenfalls noch nie im Souvenirshop. Vielleicht ist den Leuten gerade einfach nur langweilig, regionales Shopping boomt ja zurzeit, sagt Lena Flohr. Und natürlich sind alle Klischees auch eine gnadenlose Überzeichnung, aber manchmal sind sie auch ein kleines bisschen wahr. Jetzt, im späten Sommer, kommen normalerweise die Scheichs aus Saudi-Arabien, sagt Flohr. Die räumen dann schon mal die ganzen Regale leer, kaufen fünf, sechs Dirndl, ohne einmal aufs Preisschild zu schauen und sagen an der Kasse kein Wort. Manche von ihnen geben Trinkgeld, zwei, drei Euro. Und die Deutschen sagen bei fünf Cent Wechselgeld, "der Rest ist für Sie". Oder, auch typisch deutscher Tourist: "Den Beleg brauch ich nicht, das Geld gibt mir sowieso keiner zurück." Sehr lustig, sagt Lena Flohr. Sie guckt so, als hätte sie Zahnweh.

Seit Juli hat der Souvenirladen wieder offen, von 11 Uhr bis 19 Uhr. Vorne, im großen Laden an der Ecke, arbeitet ihre Mutter bei den Kuckucksuhren und den Räuchermännchen. Gleich nebenan verkauft der Vater die handbemalten Bierkrüge. Und Lena Flohr steht bei den T-Shirts und stickt nebenher, so wenig ist hier los.

Natürlich freut sie sich über jeden Kunden, der kommt, sagt sie noch. Aber sie hätte auch nichts dagegen, wenn mal wieder ein paar Touristen vorbeikämen. Echte Touristen.

© SZ vom 10.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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