Münchner Sagen:Faule Früchte, bewegliche Flößer

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Warum dreht sich der Olympiaturm im Uhrzeigersinn? Bastian Mahler hat eine plausible Erklärung in seinem Buch aufgeschrieben. (Foto: Robert Haas)

Bastian Mahler liebt das Erzählen - als Lehrer und als Autor der Münchner neuesten Sagen. So wie Dichtung und Wahrheit verschmelzen, klingen seine Geschichten durchaus plausibel.

Von Sabine Buchwald, München

Sonst sind ja immer die Lehrer schuld. Wenn es um Noten geht sowieso. Und oft werden sie ganz allgemein für die Befindlichkeit oder das Fortkommen von jungen Menschen verantwortlich gemacht. Bei Bastian Mahler ist es umgekehrt. Er ist Lehrer für Deutsch und Geschichte und gibt seinen Schülern zumindest eine Teilschuld für das, was gerade von ihm erschienen ist: ein Buch. Und daran sollen seine Schüler schuld sein? Mahler grinst, seine Augen werden schmal, sein Mund formt sich zum Halbmond.

Damals in Wolnzach, am ersten Gymnasium nach seinem zweiten Staatsexamen, betreute er die Schülerzeitung und bot den Wahlkurs Kreatives Schreiben an. Damit hat er nicht nur seine Schülerinnen und Schüler inspiriert, sondern auch sich selbst. In dieser Zeit hat es angefangen mit dem Geschichtenschreiben und dem Sagenausdenken. Jetzt ist eine Auswahl davon in einem kleinen Buch zu finden, verlegt vom Volk Verlag. Es heißt "Wie die Isarflößer das Surfen erfanden", hat 136 Seiten und eine zarte Zeichnung zu jeder Erzählung. Mahler nennt sie "Münchner Neueste Sagen". Mit ihnen liefert er ganze Reihe von Erklärungen zu Eigentümlichkeiten dieser Stadt. Antworten etwa auf die Fragen, wie das mit dem Surfen entstand an der Isar und was es mit dem Löwenturm am Rindermarkt auf sich hat, wer die beiden Figuren des Brunnens am Rotkreuzplatz sind und warum Eichhörnchen den Münchnern Glück bringen. Auch die Illustrationen stammen von Mahler und sind während seiner Elternzeit entstanden. Ein ganzes Schuljahr war er zu Hause mit seinem kleinen Sohn, während dessen Mutter, ebenfalls Lehrerin, für das Einkommen sorgte. Zum Schreiben sei er in jenen Monaten nicht gekommen, sagt Mahler, obwohl er sich das eigentlich so vorgestellt hatte. Aber fürs Zeichnen blieb zwischen Windeln wechseln, Einkaufen und Waschen noch Kraft.

Mit seinem elfenbeinfarbenen Schutzumschlag sieht das Buch edel aus auf dem dunklen Holztisch im Atzinger, der Kneipe, die Mahler noch aus seiner Studentenzeit an der LMU kennt. Man trifft ihn dort an einem frühen Nachmittag unter der Woche. Er kommt gerade vom Unterrichten, groß, dunkelhaarig, in einer Outdoor-Jacke, und wuchtet seinen vollgepackten Rucksack auf den Stuhl neben sich. Mahler ist jetzt 42 und seit einigen Jahren an einem Gymnasium im Münchner Norden. Er sagt, er hätte auch Kabarettist oder Radio-Moderator werden können. Auf den Bühnen vom Vereinsheim, der Drehleier und dem Schlachthof stand er schon. Und bei Radio M94,5 saß er hinter dem Mikrofon. "Aber ich liebe meinen Beruf als Lehrer. Ich erzähle halt gern." In seinem Buch vereint Mahler, was ihn beschäftigt: Geschichte und Geschichten, Deutsch und Münchnerisches.

Mahler ist in Hechingen aufgewachsen, am Fuße der Hohenzollern-Burg mit ihren vielen Türmen und Mauern. Seine Eltern hat es nach dem Zweiten Weltkrieg dorthin verschlagen. Durch und durch heimisch habe er sich dort nie gefühlt, sagt er, auch "wenn i Schwäbisch schwätza ko". Wahrscheinlich aber hat das imposante Adels-Bauwerk Mahlers Fantasie genährt, das Vorlesen und selber Lesen in der Kindheit auf jeden Fall. "Noch heute stehen viele Bücher mit Sagen und Märchen bei mir im Regal", sagt er. Die Könige, Hexen und wundersamen Wichte, denen er dort begegnet ist, sind wohl die Basis seiner Fantasie. Ihn fasziniere Brauchtum, sagt Mahler. Seine Magisterarbeit hat er über den Volks- und Gstanzlsänger Roider Jackl geschrieben.

Stoff für seine eigenen Dichtungen findet Mahler auf ausgedehnten Spaziergängen durch München. Von hieraus soll also der Wassersport nach Hawaii und dann in den Rest der Welt exportiert worden sein? Mahler spinnt diesen Gedanken rund um einen Wettbewerb der wagemutigsten und balancierfreudigsten Flößer so plausibel weiter, dass man sich bereitwillig ausmalen mag, wie es dazu gekommen sein könnte. Vergangenen Winter hat er der Vorstellungskraft zusätzlich mit einem Kurzfilm nachgeholfen. Die Protagonisten sind Spielgefährten aus Mahlers Kindheit und bisweilen Anschauungsobjekte seines Unterrichts: Playmobil-Figuren. Mahler erzählt, wie er im Schnee und bei Regen im Garten sonniges Surf-Feeling in Stop-Motion-Technik nachgestellt hat. Das hellbraune Plastikfloß stammt aus der Playmobil-Packung mit Odysseus und Kirke. Er möge zwar nicht die Gepflogenheiten der Nürnberger Firma, sagt Mahler, aber die Figuren umso mehr. Wenn er in der Unterstufe die Römerzeit bespreche, bringe er in der Regel welche aus seiner Spielzeug-Kiste mit. Mit dem Film hat er dieses Jahr den ersten Preis des Kleinkunstwettbewerbs "Am Fluss dahoam" (ausgeschrieben vom WWF Deutschland) gewonnen. In der Jury saß unter anderem der Musiker Hans Well.

Wenn man Freude haben will an Mahlers Geschichten, dann muss man sich darauf einlassen. Manches ist historisch gesichert, manches erfunden, einiges grenzt an Nonsens. Für die Richtigkeit geschichtlicher Fakten hat sich Mahler bei Florian Dering, ehemals Sammlungsdirektor am Münchner Stadtmuseum, rückversichert. So wie Wahrheit und Dichtung verschmelzen, klingen die Geschichten durchaus plausibel.

Beispielsweise die Erklärung für die Brunnenfiguren am Rotkreuzplatz. Zwei wegen ihrer Unfreundlichkeit von einer Hexe verfluchte Obststandbesitzer sollen dort verewigt sein. Wer sich noch nie über eine faule Frucht in der Tüte oder ein unwirsches Wort geärgert hat, der wird mit dieser Geschichte wenig anfangen können. Aber wer ist das schon in München? Mahler jedenfalls sagt verschmitzt, er habe ein paar Vorbilder im Kopf. Die Geschichte von den Eichhörnchen erzählt vom Glück, welche zu sehen und unter Kastanien in einem Biergarten zu sitzen. Dass früher den rotbraunen Nagern der buschige Schwanz abgeschnitten wurde, das wagt man kaum zu glauben, lieber schon, dass sie den Münchnern Glück bringen, so wie die Goldfische den Japanern. Glücklich machen kann auch ein Besuch im Drehrestaurant des Olympiaturms. Findet Mahler jedenfalls. Warum es sich im Uhrzeigersinn bewegt, dazu hat er sich etwas ausgedacht.

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