Rolling Stones in München:Der Mick, der Keith, der Charlie und ich

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Die Royal Mail hat im Januar ein Sondermarken-Set von zwölf Briefmarken mit Fotos der Rolling Stones herausgegeben. Auf dieser Marke ist die Schwarz-Weiß-Aufnahme bei einem Konzert aus dem Londoner Hyde Park im Jahr 1979 zu sehen. (Foto: Royal Mail/dpa)

Die Rolling Stones kommen wieder nach München, Anfang Juni ins Olympiastadion. Es wäre die Gelegenheit, an alte Zeiten anzuknüpfen - als man über kurz oder lang eine bessere Welt schaffen wollte.

Glosse von Wolfgang Görl

Thomas Manns Roman "Lotte in Weimar" ist ein fabelhaftes Stück Literatur, das nur einen Fehler hat: Die Geschichte spielt nicht in München. Aber daran ist Goethe schuld, der München zeitlebens ignorierte, abgesehen von einem Kurzbesuch im September 1786, dessen Höhepunkt der Kauf von ein paar Feigen war, die er überteuert fand und "nicht übermäßig gut". Aus dieser Stippvisite hätte nicht mal der "Zauberer" Thomas Mann eine ordentliche Story stricken können, weshalb sein Goethe-Roman nun leider in Weimar spielt.

Darin schildert er, wie die 63-jährige Witwe Charlotte Kestner im berühmten Gasthof "Zum Elephanten" Quartier nimmt, in der Hoffnung, Goethe zu treffen. Die Frau ist nicht irgendwer. Ihr Mädchenname ist Charlotte Buff, sie war die große Liebe des jungen Goethe und das Vorbild für jene Lotte, die Goethes Romanhelden Werther um den Verstand brachte. Nun, gut 40 Jahre nach der Romanze, besucht Lotte den einstigen Verehrer in Weimar. Vielleicht glüht da noch was, vielleicht brennt da noch eine Flamme. Doch Goethe bleibt kühl. Mit routinierter Höflichkeit verhindert er jegliche Annäherung. Lottes Besuch bei der alten Liebe wird eine Enttäuschung.

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Es versteht sich von selbst, dass der Gedanke an die unglückselige Lotte-Goethe-Affäre kerzengerade zu den Rolling Stones führt. Ja, auch sie sind eine alte Liebe. Und jetzt kommen sie wieder nach München, Anfang Juni ins Olympiastadion. Was für eine Verheißung. Die Stones waren für unsereins so etwas wie Goethe für Lotte, naja, zumindest so ähnlich. Selig die Stunden, in denen wir beim Hausaufgaben-Machen Micks Stimme lauschten, die aus dem Plattenspieler kam, ganz zu schweigen vom Herzklopfen bei der ersten Begegnung.

Es war im September 1973, die Stones spielten in der Olympiahalle. Billige Plätze, viel zu weit weg, um Micks Blicke zu fangen, aber der hatte, wenn überhaupt, sowieso nur ein Auge für Frauen. Keith Richards ließ die Gitarre röhren, Charlie Watts' Trommelschläge fuhren in die Knochen, so dass man zu tanzen begann, obwohl man beim Tanzen immer doof aussah, und bald geriet der Körper in jenen Rauschzustand, der Verliebte reif für die Klapsmühle macht. Kurz gesagt: Der Abend war so, wie das ganze Leben sein sollte.

Jetzt also, nach fast 50 Jahren, wäre die Gelegenheit, an die alten Zeiten anzuknüpfen. Standen wir, also der Mick, der Keith, der Charlie und ihre Münchner Bewunderer, damals nicht alle auf derselben Seite? Es war ja weiß Gott keine friedliche Zeit: Der Kalte Krieg, Vietnam, der Nahe Osten und so weiter - aber wir, das schien gewiss, würden über kurz oder lang eine bessere Welt schaffen.

Irgendetwas muss dann schief gelaufen sein. Und jetzt ist der Krieg ganz nahe, und überhaupt: Nur Narren glauben noch an eine bessere Welt. Wozu dann der Besuch bei der alten Liebe? Glüht da noch was? Charlie Watts ist gestorben und Mick und Keith sind in dem Alter, in dem der Mensch zur Zielgruppe der Apotheken Umschau zählt - übrigens eine interessante Zeitung, wir lesen nichts anderes mehr. Könnte gut sein, dass das Wiedersehen so enttäuschend verläuft wie bei Lotte. Nein, wir gehen nicht ins Stones-Konzert.

PS: Oder vielleicht doch.

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