Kurzkritik:Lipgloss und Feminismus

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Spaß muss sein: Linda Blümchen (li.) und Massiamy Diaby als Cleo und Funke in "Bitches". (Foto: China Hopson)

Schwarz oder Weiß, Frau oder Mann, privat oder öffentlich: In "Bitches" lässt die britische Autorin Bola Agbaje zwei junge Videobloggerinnen über die großen Themen diskutieren - kontrovers, alltagsnah, scheuklappenfrei. Philip J Morris hat das Stück temporeich am Residenztheater inszeniert.

Von Yvonne Poppek, München

Mit der Situation muss man erst einmal klarkommen. Es ist taghell in der "Schönen Aussicht" des Residenztheaters, unten fahren die Busse mit den Touristen vorbei. Oben klemmt zwischen den Stuhlreihen rechts und links eine kleine Spielfläche. Couch, Flokati, zwei Bildschirme, Kamera und Spiegel. Hinten noch ein paar bunte Fensterscheiben, fertig (Bühne: Katharina Wegmann). Linda Blümchen und Massiamy Diaby können hier nicht aus. Sie sind so dicht und klar an ihrem Publikum dran, dass sie schon fast dazugehören. Für etwas mehr als eine Stunde müssen sie pausenlos liefern - und das tun sie sehr beeindruckend.

Schon aus der Spielsituation wird deutlich: Blümchens Cleo und Diabys Funke sollen keine abstrakten Kunstfiguren sein. Die britische Autorin Bola Agbaje hat ihr Stück "Bitches" nah an der Lebenswelt der digitalen Generation entlang entworfen. Regisseur Philip J Morris hat das aufgenommen. Zu sehen sind zwei junge Videobloggerinnen, die sich für ihren nächsten Dreh im privaten Wohnzimmer gestylt haben, durchdachte Frisur, Glitzer und Gloss im Gesicht, hippe Klamotten. Die beiden sind Freundinnen, diskutieren über große Themen wie Rassismus, Feminismus oder Internetpersönlichkeit genauso vertraut wie kontrovers. Ihre Thesen stammen nicht aus dem Uni-Seminar, sondern aus dem Bauch, sind aber keinesfalls plump. Agbaje, die selbst nigerianische Wurzeln hat und in ihren Stücken Themen der afrikanischen Community verhandelt, balanciert geschickt aus, lässt mit Cleo und Funke eine Weiße und eine Schwarze aufeinander treffen, und es kracht dann im Verlauf, wie es nur bei Menschen geht, die sich mögen. Es ist eine Geschichte über Freundschaft genauso wie über Alltagsrassismus.

Sie wären gerne eine Spur cooler, als sie sind

Vordergründig wollen Cleo und Funke ihren nächsten Videoblog drehen. Aber immer wieder halten sie die Kamera an, streiten über Inhalte, sortieren sich neu, scheitern wieder. Dazwischen arbeiten sie eine ordentliche Playlist ab, Ebow, Drake, Skepta, um nur ein paar zu nennen. Blümchen und Diaby zeichnen zwei brüchige Figuren, die gerne eine Spur cooler wären, als sie sind, sich mehr Street Credibility aneignen, als sie haben, die eben noch nicht sozial und charakterlich gefestigt sind, aber sich trotzdem den relevanten Fragen stellen. Das macht sie und ihre Themen greifbar für ein Schulpublikum (ab 13 Jahre), für das diese Inszenierung vorrangig gespielt wird. Dass dem so ist, liegt zum Teil am Spielort, der abends nicht oft verfügbar ist. Doch ab und zu gibt es auch Abendvorstellungen, die es lohnt zu nutzen, um noch einmal neu, anders, frisch, zugänglich auf Strukturen zu blicken, die Rassismus und Diskriminierung ermöglichen.

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