Riederer im Neuen Rathaus schließt:"Nix mehr mit Tradition. Schade."

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Seit 56 Jahren verkauft Heidemarie Pauli Perlenketten, Silberschmuck und repariert liebgewonnenes Kleinzeug. Ende des Jahres ist Schluss.

Von Kathrin Aldenhoff

Für Heidemarie Pauli ist es ein Abschied, und es ist kein leichter. Es ist ein Abschied von den Räumen, in denen sie seit 56 Jahren arbeitet, von den Perlmuttknöpfen und den Süßwasserperlen, die sie so liebt, von den Schubladen und Schränken, von den Kropfketten und den so beliebten Charivaris. Und auch von den üppig verzierten Gürteln, die seit Jahren keiner mehr kauft. Heidemarie Pauli ist 78 Jahre alt, und sie ist selbst der Meinung, dass sie sich den Ruhestand verdient hat. Weh tut es trotzdem, sagt sie, ihre Kunden täten ihr so leid. Denn wo sollten die nun hin?

Wenn Mitte Januar das Geschäft Riederer im Rathaus, gegenüber den Schaufenstern von Ludwig Beck, für immer schließen wird, hat die Stadt München ein Traditionsgeschäft weniger. Eines, das es seit 1752 gibt, so steht es auf den Papiertütchen, in die Heidemarie Pauli die Ketten ihrer Kundinnen packt, die sie zur Reparatur annimmt. Heidemarie Pauli sieht es so: Die Geschichte dieses Traditionsgeschäfts hätte weitergehen können. Die Stadt München sieht es anders, und verweist auf ihre Vergaberichtlinien.

In ihrer Werkstatt arbeitet Heidemarie Pauli den Schmuck der Kunden um. (Foto: Stephan Rumpf)

Es ist kurz vor zehn, der Laden ist noch nicht geöffnet, eine Kundin steht vor der Tür, guckt rein, dann auf die Uhr, geht weiter. Heidemarie Pauli sitzt auf einem Hocker in ihrer kleinen Werkstatt hinter dem Verkaufsraum, entzündet mit einem Feuerzeug eine Flamme in einem messingfarbenen Spirituskännchen, holt eine Kropfkette aus Perlen aus einem Papiertütchen, nimmt den Verschluss ab und beginnt, sie zu kürzen. Eine Kundin hat die Kette gekauft, aber sie ist ihr zu lang. 580 Euro kostet so eine Kette, Heidemarie Pauli macht sie selbst. Das Kürzen gehört zum Service. Sie legt die fünf Perlenstränge nebeneinander, sie werden von oben nach unten immer länger, weil der Hals ja breiter wird. Messen muss sie nichts, "ich weiß genau, wie der Abstand sein muss".

Um kurz nach zehn kauft eine Kundin eine kleine Tasche mit einem Hirschmuster, zehn Minuten später kommt eine Frau, sie sucht einen silbernen Elefantenanhänger für ein Charivari. Und findet ihn hier. Später kommt ein Mann, seine Frau habe gestern einen Bergkristall reservieren lassen, den wolle er nun kaufen. "Wann hört ihr auf?", fragt er, als er zahlt. "Mitte Januar." "Schade", sagt er, wünscht ihr alles Gute und sagt im Gehen: "Nix mehr mit Tradition. Schade."

Räumungsverkauf: Manche Kunden kommen noch ein letztes Mal vorbei. (Foto: Stephan Rumpf)

Heidemarie Pauli hat vor 56 Jahren angefangen hier zu arbeiten, da habe der Laden zwei alten Damen gehört, erzählt sie. Vor etwa 30 Jahren habe sie ihn dann übernommen. Damals ging so was, sagt sie. Heute könnte nur ein enger Verwandter den Laden direkt von ihr übernehmen. Die Nachfolger, die sie der Stadt vorgeschlagen hat, hätten modernisiert und renoviert, sagt sie, aber sie hätten den Laden weitergeführt. All ihre Kunden hätten bleiben können. Aber weil die Bewerber keine Verwandten von Heidemarie Pauli sind, durften sie ihr Geschäft nicht übernehmen. Die Stadt teilt mit, dass bei einer Kündigung die neue Vermietung grundsätzlich öffentlich ausgeschrieben werden müsse. Und im Fall des Ladens von Heidemarie Pauli, der so seit 1958 bestehe, müsse außerdem erst einmal saniert werden. Danach werde der Laden öffentlich ausgeschrieben, so teilt es eine Sprecherin des Kommunalreferats mit.

Die Nachfolger können sich dann um den Laden bewerben. Heidemarie Pauli sagt, nach einer langen Sanierung sei ihr Kundenstamm weg. Und dass es die Dinge, die sie verkaufe, die Art von Reparaturen, die sie anbiete, so nirgendwo sonst in München gebe. Viele Kunden sagten ihr, dass München so langweilig wie jede andere Großstadt werde, wenn die individuellen Läden verschwinden.

Heidemarie Pauli hat Uhren und Schmuck gelernt, wie sie sagt. In der Werkstatt zu arbeiten, das gehörte dazu. Es ist die Arbeit, die sie liebt. Genauso, wie diese Räume. "Ich hab mein Leben mehr hier verbracht als wie zu Hause." Sie fädelt die Perlenkette einer Kundin auf. Mit einer Schere schneidet sie die Knötchen auf der Schnur ab, die Perlen kullern auf ein braun-weiß-gemustertes Tuch. Sie waren nicht schön sortiert, das macht sie jetzt, ordnet sie neu an, die großen runden nach vorne, die kleinen nach hinten und die Spitzen der Süßwasserperlen, die müssen nach hinten zeigen. "Eine Sisyphusarbeit. Aber es gehört einfach so." 25 Euro wird sie der Kundin dafür in Rechnung stellen.

Gut sortiert und für alle Spezialfälle gerüstet: Das Sortiment im Riederer. (Foto: Stephan Rumpf)

In diesem Laden gibt es fünf Schubladen allein für rosa Knöpfe, es gibt kiloweise Reißverschlüsse, Schubladen voller Miederhaken, andere mit Samtbandverschlüssen, Karabinern und Kordelstoppern, Dirndlschürzenschließen und Stickperlen. Und es gibt Inventarschränke aus Holz und Glas, voller Fächer und Schubladen, in denen all diese Dinge liegen, und um die sich wohl jedes hippe Start-up reißen würde, um sie als Vintage-Stücke in ihre modernen Büroräume zu stellen.

"Es tut mir in der Seele weh", sagt Heidemarie Pauli. Sie zieht eine Schublade nach der anderen auf, betrachtet ihre Knöpfe. Sie hat mit anderen Geschäftsinhabern gesprochen, einer nimmt ihr welche ab, längst nicht alle, aber immerhin. Ein anderer ein paar Reißverschlüsse, auch die Charivaris kann sie weiterverkaufen. Die Perlmuttknöpfe in allen Farben wird sie wahrscheinlich mit nach Hause nehmen.

Die Kropfkette ist fertig, gekürzt, so dass sie an den Hals ihrer neuen Besitzerin passt. Die übrigen Perlen füllt Heidemarie Pauli in ein Plastiktütchen, die Kundin bekommt sie mit nach Hause. "Perlen sind nicht gleich Perlen." Sie unterscheiden sich in Farbe, Größe und Form. Später kann die Besitzerin die Perlen vielleicht noch brauchen. "Wenn man älter wird, wird der Hals dicker", sagt Heidemarie Pauli. Wer der Dame die Kette dann aber verlängern soll, so wie sie das in den ganzen letzten Jahren für ihre Kundinnen gemacht hat, das weiß sie nicht. Nur eins: Sie wird es nicht tun. Ihre Adresse gibt sie niemandem, auch keiner Stammkundin, die darum bittet. Sie könne nicht mehr, sagt sie. Und dass man es sich mit 78 Jahren doch auch mal verdient habe, aufzuhören. Wie sie es sagt, klingt es trotzdem so, als hätte sie ein schlechtes Gewissen.

© SZ vom 24.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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