München:Raser nach tödlichem Unfall wegen Mordes verurteilt

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Weil Victor B. mit 120 Stundenkilometern auf der falschen Fahrbahn und mitten in der Stadt vor der Polizei flüchtete, musste ein Jugendlicher sterben. Dafür muss der Angeklagte nun lebenslang ins Gefängnis, er wird in einer Entziehungsanstalt untergebracht.

Von Stephan Handel

Im Prozess um einen tödlichen Raserunfall in München ist der Angeklagte Victor B. wegen Mordes, vierfachen Mordversuches, gefährlicher Körperverletzung und verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das entschied das Landgericht München I am Dienstag. Außerdem wurde die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Wann im Verlauf der mindestens 15-jährigen Freiheitsstrafe diese zwei Jahre dauernde Entziehungskur angesetzt wird, war am Dienstag noch unklar.

Der 36-Jährige hatte am 15. November 2019 auf der Flucht vor der Polizei in der Fürstenrieder Straße den 14-jährigen Maximilian D. getötet. Dieser war mit einer Gruppe Bekannter hinter einem Linienbus hervorgetreten, um die Straße zu überqueren - nicht ahnend, dass B. mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit auf der falschen Fahrspur herangeschossen kam.

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Der Jugendliche starb noch am Unfallort. Eine seiner Begleiterinnen wurde schwer verletzt, ebenso die Insassen eines anderen Autos, das dem 300-PS-BMW von Victor B. gerade noch rechtzeitig ausweichen konnte und gegen eine Litfaßsäule fuhr. Elisabeth Ehrl, die Vorsitzende Richterin, sagte in der Urteilsbegründung, an diesem Abend hätten "Sekunden oder Zehntelsekunden" über Leben und Tod entschieden. Der Angeklagte nahm das Urteil ohne sichtbare Regung entgegen.

Das Gericht folgte in seinem Urteil dem Antrag von Staatsanwältin Nina Prantl. Victor B.s Verteidiger hatten in ihren Plädoyers kein Strafmaß genannt, die Anwälte der Nebenkläger - unter anderem die Eltern von Maximilian D. - hatten sich der Staatsanwältin angeschlossen. Victor B. hatte am 15. November 2019 Alkohol und Kokain konsumiert, als er kurz vor Mitternacht in der Landsberger Straße wendete und dabei eine Sperrfläche überfuhr. Eine Polizeistreife beobachtete das Manöver und wollte den Fahrer daraufhin kontrollieren. Victor B. aber stand wegen eines Drogendelikts unter offener Bewährung und wusste, dass er ins Gefängnis müsste, wenn er unter Drogen erwischt werden würde. Er gab Gas und flüchtete auf der Fürstenrieder Straße stadtauswärts - auf der falschen Fahrbahn; die Spuren sind dort durch einen Grünstreifen getrennt.

Auf der Fahrt mit zunächst um die 75 Kilometern pro Stunde gefährdete er bereits mehrere andere Verkehrsteilnehmer. Kurz vor der Kollision mit dem Jugendlichen konnten zwei andere Fahrer gerade noch ausweichen. Nach diesem Manöver beschleunigte B. nochmal, er trat das Gaspedal ganz durch, das Automatikgetriebe des BMW schaltete in einen niedrigeren Gang - dieses Anzeichen für einen sogenannten "Kickdown" verzeichnete der Bordcomputer des Autos. Das war etwa vier Sekunden vor dem Zusammenprall. Als B. den Linienbus an der Einmündung der Aindorferstraße passierte, fuhr er mit einer Geschwindigkeit von mindestens 122 Stundenkilometern.

Maximilian D. kam zu diesem Zeitpunkt, etwa 23.21 Uhr, mit seinen Freunden von einer Party. Er trat als Erster hinter dem Bus hervor, aus dem sie gerade ausgestiegen waren. Victor B.s Auto erfasste den 14-Jährigen und schleuderte ihn mehr als 40 Meter durch die Luft. Die gerichtsmedizinischen Gutachter waren sich sicher, dass er bereits tot war, als er wieder auf den Boden prallte.

Durch die schwere Kollision löste der Airbag in B.s Auto aus. Der Fahrer verließ das Auto und flüchtete zu Fuß in den Westpark, wo er wenig später von Polizisten gestellt und festgenommen wurde - nicht, ohne sich vehement gewehrt zu haben.

15 Tage lang hatte die erste Strafkammer des Landgerichts unter dem Vorsitz von Elisabeth Ehrl verhandelt. Großer Bedeutung kamen dabei verkehrstechnische und biomechanische Gutachten zu. So wurden die letzten Minuten und Sekunden vor dem Tod von Maximilian D. rekonstruiert. Auch ein Psychologe sagte aus und bescheinigte dem Angeklagten eine "normintelligente Persönlichkeit", schloss schwerwiegende psychische Erkrankungen aus und stellte hedonistische, egozentrische und antisoziale Charakterzüge fest, aber "genügend Handlungskompetenz".

Staatsanwältin Nina Prantl war zum Mordvorwurf gekommen über den juristischen Begriff des "bedingten Vorsatzes": Der Täter hat nicht vor, einen Menschen zu töten. Aber er begibt sich sehenden Auges in eine Situation, in der genau das passieren könne. "Die Haltung des Täters in diesem Fall ist: 'Und wenn schon'", sagte die Staatsanwältin. Nachts innerorts auf der falschen Fahrbahn mit überhöhter Geschwindigkeit vor der Polizei zu flüchten - "da ist der Tod eines Menschen eine nicht ganz fernliegende Folge".

Die Verteidigung hingegen hatte in ihren Plädoyers zwar kein konkretes Strafmaß beantragt - aber schon zu Prozessbeginn erklärt, dass eine Verurteilung wegen eines illegalen Autorennens mit Todesfolge ausreichend sei. "Wie kommt man dazu, davon auszugehen, dass unser Mandant vorsätzlich Personen ermorden wollte?", hatte die Anwältin des Angeklagten gesagt. Richterin Ehrl entgegnet darauf, eine solche Verurteilung sei nicht genug: "Die Aussage ,Ich wollte ihn nicht töten' hören wir in nahezu 90 Prozent aller Schwurgerichtsverfahren", sagt sie. Das Gericht geht davon aus, dass der Mann "mit bedingtem Vorsatz gehandelt" hat. Das heißt: Er nahm den Tod von Menschen zumindest billigend in Kauf.

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