Sexarbeit und Corona:Ab zehn Uhr morgens warten die Freier

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Viele Prostituierte haben sich wegen der Lockdowns beruflich neu orientiert. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Besucherschlangen und unzählige Terminanfragen per Telefon: Nach acht Monaten haben Münchens Prostitutionsstätten wieder geöffnet. Doch viele Frauen haben sich in der Corona-Krise einen anderen Beruf gesucht.

Von Thomas Becker

Schlangestehen ist in den vergangenen 16 Monaten Pandemie so normal geworden wie dieses "Filtering face piece" vor Mund und Nase. Beim Bäcker, vor dem Restaurant, neuerdings auch wieder vor dem Kino: Überall stellt man sich brav an, manchmal sogar in der vorgeschriebenen zwischenmenschlichen Distanz. Was früher Ärgernis war, ist längst Normalität.

Aber Schlangestehen vor dem Puff? So was hat man tatsächlich weder gesehen noch davon gehört, aber Jürgen G. berichtet davon. Er ist Betriebsleiter von Leierkasten und Caesar's World, zwei der größten Puffs der Stadt. Seit Donnerstag haben sie dort den Betrieb wieder aufgenommen, und fragt man Jürgen G., wie die Nachfrage an Tag eins denn gewesen sei, dann sagt er: "Sehr, sehr, sehr groß." Er habe sogar den Verkehr regeln müssen - den vor der Tür: "Wir haben zeitweise unten zugemacht, damit das Haus nicht zu voll wird. Von dem Tag an, als die Öffnung bekannt gegeben wurde, hat das Telefon nicht mehr stillgestanden."

Acht Monate waren die Bordelle der Stadt geschlossen, doch dann kam die 13. Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung daher. Nach dem Eilantrag eines Betreibers hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Corona-bedingten Einschränkungen der Prostitution in Bayern gelockert. Laut Beschluss des höchsten Verwaltungsgerichts im Freistaat dürfen "Prostitutionsstätten" wieder öffnen, also Betriebe, in denen Freier einzeln erscheinen und nicht auf andere Kunden oder Sexarbeiterinnen treffen, weil es dafür keine Räume gibt.

Am Eingang steht ein Desinfektionsmittelspender bereit. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Ein Beispiel wäre etwa ein Hotel, das Zimmer stundenweise vermietet. In Bordellen dagegen gibt es nach rechtlicher Definition Räume für die Kollektivbewirtung der Kundschaft: Sexkino, Darkroom, Sauna, Schwimmbad oder Liegewiesen. Da in "Prostitutionsstätten" anders als in Bordellen oder Clubs und Diskotheken kein Massenbetrieb herrscht, sehen die Richter dort keine erhöhten Infektionsrisiken.

Der Barbetrieb ist noch untersagt. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Auch wenn die Nachfrage groß war und die ersten Freier schon morgens um zehn vor der Tür standen: Angelaufen sei das Geschäft mit der Lust "sehr schwer und sehr schleppend", sagt Jürgen G. Erst zwei Tage zuvor habe er erfahren, dass er wieder öffnen darf: "Wir hatten null Vorlaufzeit, mussten erst mal schauen, dass sich das herumspricht. Viele der Frauen arbeiten privat. Prostitution war ja erlaubt in München, nur die Bordelle waren zu. Völlig widersinnig, ist aber so." Die Frauen hätten stattdessen Wohnungen angemietet oder sich als Escort-Dame verdingt. "Die haben genauso gearbeitet, wie wenn wir aufgehabt hätten", sagt G.

"Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Schleswig-Holstein haben alle vor uns aufgemacht, Österreich noch davor. Die hatten die Läden voll mit Frauen. Jetzt sind die überall verteilt, von Österreich bis Hamburg. Wir gehören zu den Letzten, die aufmachen durften." Anders als in Österreich, wo der Barbetrieb von Anfang an erlaubt war, bleibt er in Bayern noch verboten. "Das macht sehr viel vom Umsatz aus", klagt G., "eine ordentliche Einbuße". Dagegen seien Überbrückungshilfe I, II und III "im Gegensatz zum ersten Lockdown eine wirklich große Hilfe" gewesen, "sonst hätte ich nicht gewusst, wie wir das überstehen hätten sollen. Die Mieten sind ja ganz normal weitergelaufen."

Nur die Mieterinnen blieben halt aus, erst von März bis August 2020, dann wieder von November an. Bis sozusagen wieder Normalbetrieb herrscht, wird es noch eine Weile dauern, schätzt Jürgen G.: "80 Prozent der Frauen von unserer Telefonliste sind derzeit noch woanders beschäftigt. Die können und wollen da aus ihren Jobs auch gar nicht raus."

Öffnung unter Auflagen: Beim Besuch von Prostitutionsstätten wie Caesar's World muss sich an Coronamaßnahmen gehalten werden. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Bei der Wiedereröffnung vergangene Woche seien gerade mal vier Frauen da gewesen, mittlerweile sind etwa 15 Prozent wieder im Dienst. Zudem sei Juli und August Urlaubszeit: "Da sagen sich viele Frauen: 'Jetzt war so lange zu, da kommt's auf den einen Monat auch nicht mehr an.'" Hinzu komme die Problematik mit den sogenannten Huren- und Gesundheitspässen: "Wenn diese vor dem 1. November abgelaufen sind, gibt es derzeit fast keine Termine, um die verlängern zu lassen", sagt G., "das Kreisverwaltungsreferat ist mit dem Ansturm komplett überfordert. Aber ohne Pass gibt's halt keine Arbeit."

Vollständig geimpft müssen die Prostituieren nicht sein, sowohl im Leierkasten als auch im Caesar's Palace gebe es aber das Angebot im Haus, sich täglich testen zu lassen, sagt G. Seine Angestellte werden jedenfalls täglich getestet: "Wir müssen uns schließlich auch an Hygienekonzepte halten." Das sieht FFP2-Maske und Kontaktformular vor sowie nur eine Person pro zehn Quadratmeter. Jürgen G. sagt: "Für uns bedeutet das mehr Aufwand bei weniger Frauen." Tagsüber brauche er mindestens zwei Angestellte, nachts drei - denn das die Nachfrage schwinde, das sei doch eher unwahrscheinlich.

© SZ vom 06.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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