München-Perlach:Wenn die Stadt ein altes Dorf schluckt

Lesezeit: 4 Min.

Hier soll ein mehrstöckiges Haus mit Tiefgarage entstehen. (Foto: Catherina Hess)

Am Pfanzeltplatz wirkt Perlach noch so beschaulich wie früher. Nun sollen zwei historische Gebäude abgerissen werden und Projekte mit teuren Wohnungen folgen. Ortskenner fürchten um das Idyll.

Von Nico Kellner

Die bayerische Fahne weht vom Maibaum, der Hachinger Bach plätschert ruhig vor sich hin, die Turmuhr von Sankt Michael läutet. Am Pfanzeltplatz, dem Herzstück des alten Ortskerns von Perlach, scheinen Chaos und Hektik der Großstadt manchmal weit weg, einzig die Busse und Autos auf der Ottobrunner Straße erinnern noch daran. Hier ist die Welt noch in Ordnung - fernab von Schickeria und ihren Immobilienspekulanten. So meint man. Denn der Ortskern ist bedroht.

Dies ist eine Geschichte von ..., ja, von was eigentlich? Von Tradition? Architektur? Stadtplanung? Es ist wohl hauptsächlich die Geschichte eines Stadtteils, der sich eine gewisse Eigenständigkeit bewahrt hat - zumindest bis heute. Und es ist die Geschichte zweier Häuser. Sie stehen am Pfanzeltplatz Nummer 7 und 8. Als sie gebaut wurden, war Bayern ein Königreich und Perlach noch lange nicht eingemeindet. Wohin das Auge reichte, umringten Felder das damalige Dorf. Auf dem Platz waren die Geschäfte angesiedelt. Darunter seit 1896 eine Sattlerei und im Nachbarhaus wechselnde Läden. Zuerst ein Bader und eine Hebamme, dann eine Metzgerei. Später waren ein Friseur und ein Buchladen darin untergebracht.

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Diese Häuser haben viel gesehen. Könnten sie von den alten Zeiten erzählen, würden sie wohl berichten von den Perlacher Bürgern, die in Kriege zogen und wiederkehrten, oder vom Pfarrer Martin Pfanzelt, einem Freund des Prinzregenten Luitpold, der an der Gründung der Freiwilligen Feuerwehr sowie der Perlacher Mädchenschule beteiligt war. Die beiden Häuschen, die nur ein schmaler Weg vom Hachinger Bach trennt, stehen seit Jahren leer.

Jetzt sollen die historischen Gemäuer für immer verschwinden. Abgerissen und plattgemacht. Zugunsten eines mehrstöckigen Wohn- und Geschäftshauses mit einer Tiefgarage. Freilich haben die beiden Häuser ihre besten Zeiten lange hinter sich. Feucht sollen sie sein, zum Teil sogar schimmlig, die Bausubstanz marode. Aber deshalb gleich weg damit? Gibt es da keinen anderen Weg? "Eigentlich müsste das die Stadt kaufen - für einen Kindergarten oder so", sagt ein Perlacher Bürger. Der Hauseigentümer verweist auf die laufende Prüfung des Bauvorhabens durch die Lokalbaukommission und möchte sich bis dahin nicht äußern. Die Behörde prüft immer noch. "Eine abschließende Entscheidung erfolgt voraussichtlich innerhalb der nächsten Woche", heißt es aus dem Büro von Stadtbaurätin Elisabeth Merk.

Da die niedrigen Bauten zwar in den Ensembleschutz des Perlacher Ortskerns fallen, aber - anders als etwa das Nachbarhaus - nicht als einzelne Baudenkmäler untere besonderem Schutz stehen, scheint es ein Leichtes, sie abzureißen und ein neues Bauwerk zu errichten, das sich dann mehr oder weniger in den Charakter des Platzes einfügt. Was sich aber nicht mehr einfügen wird, ist der Charme, den die alten Häuser mit ihrer Geschichte ausstrahlen.

"Das Bauvorhaben stört uns gewaltig"

Das bereitet Ortskennern Sorgen. Der Bezirksausschuss Ramersdorf-Perlach hat sich bereits mit dem Bauvorhaben beschäftigt und die Pläne in der vorliegenden Form vehement abgelehnt - einstimmig. "Das Bauvorhaben stört uns gewaltig", sagt Wolfgang Thalmeir (CSU), Vorsitzender des Unterausschusses für Bauvorhaben, Stadtplanung und Stadtteilentwicklung. Vor allem die Zufahrt zur Tiefgarage über eine sehr schmale Sackgasse, die an ihrem Ende in eine Fußgängerzone mündet, habe "erhebliches Konfliktpotenzial". Sie befinde sich direkt neben dem Schuleingang, einer ohnehin bereits "hochfrequentierten" Stelle.

Noch mehr als der architektonische Wandel beunruhigt ihn aber die schleichende Veränderung des ganzen Platzes. Während immer neue Bauvorhaben diesen "in eine neue Form transferieren", lasse man das einfach so geschehen. "Es tut niemand etwas. Das ist schade", sagt Thalmeir. Die Landeshauptstadt verfolge "keinen planerischen Ansatz". Wie so häufig gebe es keinen Bebauungsplan. Damit habe man zwar einmal begonnen, es aber schnell wieder verworfen. Das bedeutet, dass ein Bauvorhaben genehmigungsfähig ist, wenn es sich "in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt". Thalmeir, selbst Fachanwalt für Baurecht, kann sich darum vorstellen, dass eine vorläufige "Veränderungssperre" über den Platz verhängt wird. Dann hätte man ein paar Jahre Zeit, ein Konzept zu erarbeiten.

Begonnen habe die schleichende Veränderung schon vor Jahren, als der Eigentümer des Pfanzeltplatzes 4, ein alteingesessener Perlacher, den Plan hatte, sein Grundstück mit einer Tiefgarage zu erschließen. An sich kein schlechter Gedanke, wenn man die laut Thalmeir "katastrophale Parksituation" am Platz bedenkt. Damals habe man den Plan verfolgt, gemeinsam mit der Stadt eine große Garage zu bauen, um Parkmöglichkeiten für Anwohner und Besucher zu schaffen. Leider sei dieses Vorhaben "schon ein tot geborenes Kind" gewesen - zu groß waren die Konflikte zwischen dem privaten Grundstückseigentümer und der Stadt.

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(Foto: Catherina Hess)

Eigentlich müsse es hier am Pfanzeltplatz einen Weg zum Flanieren entlang des Hachinger Bachs geben, findet Wolfgang Thalmeir, Planungsexperte des Bezirksausschusses.

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(Foto: Festring Perlach)

Eine Straße mit Geschichte.

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(Foto: Catherina Hess)

Doch die scheint zu verschwinden, denn es wird immer mehr gebaut.

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(Foto: Festring Perlach)

Anstelle der alten Bauten mit den Hausnummern 7 und 8 soll...

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(Foto: Catherina Hess)

...hier einmal mehrstöckiges Wohn- und Geschäftshaus mit Tiefgarage entstehen.

Weiter ging es mit dem Haus am Pfanzeltplatz 6. Denkmalgeschützt sei es zwar, da gebe es keine Probleme, sagt Thalmeir. Nun sei es aber - zugegebenermaßen sehr schön - renoviert worden und beherberge ein "Boutique-Hotel" sowie "hochpreisigen Wohnraum". Ein weiteres großes Projekt stehe rund um ein "bäuerliches Anwesen" direkt neben der Kirche an. Dort neben der Hausnummer 2 seien Neubauwohnungen angrenzend an das denkmalgeschützte Bauernhaus freilich "nicht gerade günstig". Thalmeir ist noch lange nicht fertig mit seiner Aufzählung. Über dem inzwischen geschlossenen "Gasthaus zur Post" - erstmals erwähnt im 15. Jahrhundert - sei ein Boarding-House geplant, im hinteren Teil des Grundstücks Wohnungen. Zuvor befand sich über der Gaststätte ein Festsaal. Selbst Gerichtssitzungen fanden dort im 19. Jahrhundert statt, als Perlach noch Wolfratshausen zugeordnet war. Auch zwei andere Häuser, in denen es früher Läden gab, würden durch Gebäude mit Wohnungen ersetzt.

Der Charakter des Platzes ist in Gefahr

Die Optik sei Beobachtern nicht der Dorn im Auge, sagt Thalmeir. Vielmehr sieht er den Charakter des Platzes in Gefahr. Bei nach seinen Worten "bis zu 100 neuen Wohneinheiten" werde es deutlich mehr Verkehr geben. Auch die Zusammensetzung der Bevölkerung verändere sich. Wer weiß, ob sich alteingesessene Perlacher dann die teuren Wohnungen leisten werden? Mit Zuzug sei auf jeden Fall zu rechnen.

Auch das aktive Perlacher Vereinsleben sieht Thalmeir in Gefahr. Auf dem Platz treffen sich Vereine und veranstalten Maifeste, Faschingstreiben und Kirchweihfeiern. Wie soll man den Platz noch für so etwas sperren können, wenn die Anwohner zu ihren Tiefgaragen gelangen müssen? Die Zugezogenen hätten möglicherweise keinen Bezug zum Trachtenverein und könnten sich dagegen wehren. Hinzu kommt, dass mit dem Saal über der Post ein wichtiger Treffpunkt und Kulturort verloren gegangen ist. "Im Boarding-House kann man keine Vereinssitzung abhalten", prophezeit Wolfgang Thalmeir.

Eigentlich brauche man "einen Flanierweg am Hachinger Bach". Man müsse den Platz "grün machen, von Autos frei - als Marktplatz nutzen", sagt der CSU-Politiker. Dafür reiche es aber nicht, wenn "nur der Bezirksausschuss und ein paar Anwohner meckern". Jetzt müsse man "aktiv Stadtplanung betreiben", bevor es zu spät sei. Thalmeir sagt, es sei "nicht fünf vor zwölf", sondern "fünf nach zwölf". Um den Dorfplatz zu retten, müsse man "die Akzeptanz der Bürgerschaft gewinnen" - oder ist es das neue München, das da bei genauerem Hinsehen hervorspitzt?

© SZ vom 11.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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