Marienplatz:Klima-Aktivisten verstoßen gegen das Sekundenkleber-Transportverbot

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Klima-Aktivist Wolfgang Metzeler-Kick bei einer Protestaktion der "Letzten Generation" auf dem Marienplatz. (Foto: Bernd Kastner)

Die Stadt München hat Wolfgang Metzeler-Kick untersagt, Klebstoff mit sich zu führen. Der Aktivist der "Letzten Generation" nutzt das, um vor dem Rathaus auf die Klimakrise hinzuweisen. Die Polizei muss bei der Provokation mitspielen.

Von Bernd Kastner

Marienplatz, Samstag, kurz vor halb elf, das Schauspiel beginnt, es ist eine Tragikomödie. Am Fischbrunnen umringen Polizisten einen Mann und eine Frau. Der Mann steht in Verdacht, gegen das Sekundenkleber-Transportverbot zu verstoßen, das die Stadt gegen ihn verhängt hat. Tatsächlich, er reckt eine Hand in die Höhe, alle sollen seinen Sekundenkleber sehen. Der Frau ist der Tubentransport nicht verboten, aber auch sie wird abgeführt zum Rathauseingang. Im Halbdunkel vor dem Gitter werden sie durchsucht.

Auftritt Wolfgang Metzeler-Kick. Auch er reckt eine Tube in die Höhe und ruft: Ich bin mit einem Sekundenklebertransportverbot belegt. Jeder amtlich festgestellte verbotene Sekundenklebertransport auf Münchner Boden kostet 1000 Euro Zwangsgeld. So will das Kreisverwaltungsreferat (KVR) Klimakleber abschrecken und den Autoverkehr flüssig halten. Für Metzeler-Kick gilt der Tarif für Wiederholungskleber: 2000 Euro. Das KVR steuert die Komödie fürs Schauspiel bei.

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Auftritt weiterer Polizisten im schwarzen Overall. Sie wollen Metzeler-Kick auch vors Gitter bringen, aber er folgt nicht. Sie könnten ihn wegtragen, doch das gäbe unschöne Bilder. Es sind Medien da, das Schauspiel war ja angekündigt. Also durchsuchen die Polizisten ihn auf dem Marienplatz. Turnbeutel, Hosentaschen, Taschentücher, Körper, Schuhe, Socken. Ein Beamter füllt mit Kuli das Formular "Sicherstellungsprotokoll" aus, ein Original, zwei Durchschläge, rosa und grün. 13 Beamte sind jetzt im Einsatz. Alles bleibt friedlich, auch das gehört zum ungeschriebenen Drehbuch der "Letzten Generation".

Eine Passantin ruft: Der Weg ist falsch! Metzeler-Kick: Warum? Passantin: Weil Sie Straßen blockieren! Metzeler-Kick: Bald werden unsere Kinder sterben, wenn die Politik nicht umkehrt. Passantin: Alles Quark! Alles Quark! Alles Quark!

Kameras und Mikros sind auf Metzeler-Kick gerichtet. Er sagt, dass er 48 sei, geboren im Jahr mit 330 ppm, jetzt schreibe man 420 ppm, Parts per Million. Das ist die Maßeinheit des Kohlendioxids in der Atmosphäre und damit der Klimakrise. In vorindustriellen Zeiten waren es 280 ppm. Metzeler-Kick vergleicht die Menschheit mit einem Schnellboot, das auf einen Wasserfall zusteuert. Irgendwann sei es zu spät für einen U-Turn. Das ist der Tragödienteil des Schauspiels auf dem Marienplatz.

Wolfgang Metzeler-Kick, der an diesem Tag die Hauptrolle auf dem Marienplatz spielt, ist einer der Aktivsten aus der "Letzten Generation". 70 Verfahren habe er an der Backe, mal Nötigung, mal Hausfriedensbruch, er zählt auf: Auf-die-Straße-Kleben, Pferdemist-in-ein-Ministerium-Kippen, Schwarze-Farbe-ans-Kanzleramt-Schmieren, Pipelines-Abdrehen. Er saß in Stadelheim in Präventivhaft, war im Hungerstreik und rechnet damit, bald für mehrere Jahre einzusitzen. Die Beweisführung der Justiz ist einfach, er leugnet ja nichts, komplizierter ist die juristische Würdigung: Sind Straßenblockaden wirklich verwerflich und zu bestrafen, oder hat die "Letzte Generation" das Recht auf zivilen Ungehorsam? Erst am Freitag sei er zu 40 Tagessätzen à 15 Euro verurteilt worden, natürlich lege er Rechtsmittel ein.

Das Formblatt ist ausgefüllt, aber Metzeler-Kick hat ja auch ein schwarzes Fass dabei, im Fahrradanhänger liegt es. Draufgeklebt sind ein paar große Uhu-Logos, Polizisten öffnen das Behältnis. Nichts drin? Doch, unterm Deckel klebt Sekundenkleber. Auch diese Tube wird festgehalten auf dem Formular.

Metzeler-Kick dreht das Fass um, stellt sich drauf, ruft in die Menge: Hat jemand einen Sekundenkleber, den ich transportieren könnte? Rein zufällig ist eine Frau da, die ganz zufällig eine Tube bei sich hat. Sie reicht sie ihm, er reckt sie in die Höhe - und liefert sie gerne der Polizei aus. Auf einem polizeilichen Klemmbrett füllt ein Polizist ein weiteres polizeiliches Formular aus, weiß, rosa, grün.

Halb zwölf. Mann und Frau vom Anfang standen bis jetzt im Halbdunkel vorm Gitter, umringt von Polizisten. Jetzt werden sie losgelassen. Die Frau zeigt ihr Beschlagnahmungsprotokoll, "Gefahrenabwehr" ist als Anlass des polizeilichen Handelns aufgeführt. Beschlagnahmt: zwei Uhu-Sekundenkleber. Sie habe sich noch nie irgendwo festgeklebt, sagt die Frau.

Schluss der Vorstellung? Nein, Wolfgang Metzeler-Kick hat eine weitere Tube aufgetrieben, wirft sie in die Tonne, trägt diese auf der Schulter zum Polizistenpulk vorm Rathaus. Doch jetzt wollen die Beamten nicht mehr. Keiner öffnet das Fass, keiner beschlagnahmt die nächste Tube, keiner füllt ein weiteres Formular aus. Enttäuscht? Ach was, sagt Metzeler-Kick, er mache weiter und trage immer eine Tube bei sich.

Zwölf Uhr, die kleine Gruppe der "Letzten Generation" sammelt sich, ein Polizist verabschiedet sie mit einem Lächeln. Sagt, dass die Polizei einen Haufen Arbeit habe, und dass er hoffe, dass man sich heute nicht mehr sehe. Metzeler-Kick und die Seinen ziehen von dannen, zum Kaffeetrinken. Im Schlepptau ein großes Fass mit einer kleinen Tube drin.

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