Kritik:Andere Zeit, andere Töne

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Pianistin Alice Sara Ott spielt mit drei BR-Musikern in der Tonhalle. Wo sonst Bands auftreten, entstehen nun ganz andere Effekte.

Von Egbert Tholl, München

Im Mai vergangenen Jahres begannen Mitglieder des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, an verschiedenen Stellen im Werksviertel, wo ihnen ja dereinst das Konzerthaus hingestellt werden wird, Musik zu machen, mal alleine, mal ohne Publikum, mal mit. Dabei entdeckten sie unmögliche und auch fabelhafte Orte. Wie die Tonhalle. In dieser dürfen ja derzeit keine Bands auftreten, Alice Sara Ott (Klavier) zusammen mit den drei BR-Musikern Thomas Reif (Violine), Lionel Cottet (Cello) und Christopher Corbett (Klarinette) aber schon. Und zwar in einem wundervollen Setting: Musiker in der Mitte, 150 Zuhörer locker verteilt rundherum. Und da man in der Tonhalle das effektvolle Beleuchten von Menschen, die Musik machen, gewohnt ist, gibt es auch hier verschiedene Lichtstimmung, irgendwo zwischen Tagesanbruchgraublau und Honigwarmorange.

Nach dem Verschwinden des letzten Tons herrscht andächtige Stille

Vor allem aber: Die Halle klingt prima. Donnert Ott ins Klavier (ohne Deckel), dann ist das von stählerner Härte, ziemlich umwerfend. Spielen alle oder einige im leisesten Pianissimo, dann trägt dies bis zum schier ewig andauernden Verlöschen. Die Halle muss dies auch alles können, denn die Vier spielen Olivier Messiaens "Quatuor pour la fin du temps", ein 50-minütiges Werk, das in acht Teilen völlig disparate Stile miteinander verbindet, in dem jede der kompositorischen Haltungen äußerst konsequent ausformuliert ist. Ein Stück eben vom Ende der Zeit, eine durchaus religiös unterfütterte Offenbarung - bevor der kaum endende Applaus einsetzt, herrscht nach dem Verschwinden des letzten Tons lange andächtige Stille.

Messiaen schrieb das Stück 1940/41 in deutscher Kriegsgefangenschaft, das erklärt die ungewöhnliche Besetzung, er musste halt für die neben ihm vorhandenen Musiker schreiben. In der Tonhalle wird das dann zu einem Glücksfall, weil die Vier herrlich musikantisch miteinander kommunizieren, aber auch jede und jeder für sich mit absolut perfekter Präzision zu Werke geht. Da tut sich eine Welt auf.

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