München:Konträre Kulturen

Lesezeit: 3 min

Eine Debatte zur Zukunft des Kreativquartiers offenbart die unterschiedlichen Vorstellungen von Künstlern und Behörden: Die Stadt will den Betrieb selbst verwalten - doch die Nutzer wünschen sich Mitsprache

Von Sonja Niesmann

Dieses wunderbare Gelände könnte das Worpswede, das Bauhaus der Zukunft sein. Es könnte ein Gravitationsfeld für die ganze Stadt werden. Da muss man schon viel falsch machen, wenn man das nicht hinkriegt", ruft Andreas Krüger in die Runde. Er ist Stadtplaner, die Bezeichnung "Stadtmacher" ist ihm lieber; er hat mit seiner Berliner Belius-Stiftung schon die Umwandlung so mancher leer stehender Gebäude in Kreativzentren begleitet. Und er ist an diesem Donnerstagabend in der Imal-Halle Teilnehmer einer Diskussion, bei der es, wie in vielen Gesprächen und Workshops zuvor, um die Zukunft eben jenes wunderbaren Geländes geht: des Kreativquartiers an der Dachauer/Schwere-Reiter-Straße.

Ein Biotop, über dessen künftige Entwicklung gerade wieder aufgeregt debattiert wird: das Kreativquartier an der Dachauer/Schwere-Reiter-Straße. (Foto: Catherina Hess)

Offensichtlich ist schon einiges falsch gemacht worden. Denn Krüger, der das Gelände von vielen München-Besuchen kennt und sehr konzentriert zuhört, wird an diesem Abend noch viele Appelle und Ratschläge einstreuen: Mehr miteinander reden statt übereinander, auf Augenhöhe und transparent agieren, mal was ausprobieren, in jeder Phase bereit sein umzusteuern, die Gemeinsamkeiten finden. Auf städtischer Seite sind vier Referate mit dem Kreativquartier befasst, ein Lenkungskreis, eine Koordinationsstelle, angesiedelt beim Kompetenzteam Kultur und Kreativwirtschaft, und ein Beirat, der nichts zu sagen hat. Auf der anderen Seite: ein bunter Haufen von gut 300 Akteuren aus Kunst und Bildung auf dem Gelände, von denen sich ein großer Teil im Verein Labor zusammengeschlossen hat, um mit einer Stimme zu sprechen. Und deren Vertrauen in die Verwaltung "genauso stark ist" wie das Vertrauen der Verwaltung in sie, wie Georg Bernhofer vom Kommunalreferat spitz anmerkt. Und dann, einige Tage vor dem mit dem Titel "Subkultur, Hochkultur, Stadtteilkultur? Welche Mischung wünscht sich der Stadtteil für das Kreativquartier?" überschriebenen Kulturgespräch, das der Neuhauser Bezirksausschuss vor Monaten angesetzt hat, eine überraschende Nachricht. Sie stößt viele vor den Kopf und fokussiert die Diskussion an diesem Abend stark: Die Verwaltung will das Kreativ-Gelände der Münchner Gewerbehof GmbH, einer fast 100-prozentigen Tochtergesellschaft der Stadt, übertragen. So bleibe dieses "sensible Nutzungsgefüge" tragfähig. Am 1. Februar schon sollen die Stadträte ihr Okay geben.

Die grundsätzliche Entscheidung, das ganze Gelände in städtischem Eigentum zu behalten, anstatt Teile dem Immobilienmarkt in den Rachen zu werfen, begrüßt der Bildhauer Christian Schnurer, einer der Labor-Sprecher. Aber, so befürchten er und andere: Entsteht hier dann statt einer lebendigen, experimentierfreudigen Künstlerkolonie nur ein gut verwalteter Gewerbehof? Die Künstler auf dem Gelände träumen von einer genossenschaftlichen Organisation oder einer "nutzergetragenen Struktur", von Mitsprache, Mitbestimmung, wenigstens in einem Testbetrieb für die nächsten zwei Jahre. Ohne eine "substanzielle Mitwirkung" der hier schon Ansässigen werde man das Gelände nicht zu einem Magneten machen können, argumentiert Schnurer.

Die Künstler auf dem Gelände träumen von einer genossenschaftlichen Organisation. (Foto: Catherina Hess)

Auch Anna Hanusch, die Vorsitzende des Bezirksausschusses, wirft die Frage auf, ob mit der MGH-Konstruktion Freiheiten verloren gehen. Der Bezirksausschuss vermisst vor allem das Inhaltlich-Konzeptionelle in der Beschlussvorlage. Der Stadtrat müsse klare Vorgaben zur künstlerischen Weiterentwicklung machen, fordert Leo Agerer (CSU). Das werde, versichert Max Leuprecht vom Kulturreferat "in einem zweiten Schritt verhandelt". Allerdings sei die künstlerische Ausgestaltung, die Bespielung des Areals "nicht zwingend" verknüpft mit der Trägerschaft. "Wir würden es begrüßen, wenn die Künstler ihren Schwerpunkt hier auf ihre inhaltliche Arbeit legen."

Hier bereiten Jugendliche und Künstler eine Ausstellung vor. (Foto: Catherina Hess)

Erbost sind Künstler und Stadtviertelpolitiker auch darüber, dass die vom Stadtrat einst beschlossene Ausschreibung für eine weitere Zwischennutzung auf dem Gelände nun doch nicht erfolgen soll. Nach dem Abbruch der maroden Lamentohalle an der Dachauer Straße im vergangenen Jahr sind für die nächsten vier bis fünf Jahre 6000 Quadratmeter freie Fläche zu bespielen - bislang ist das eine Kiesbrache ohne Wasser und Strom. Statt der Ausschreibung, für die der Verein Labor bereits ein Konzept ausgetüftelt hatte, kommt im Frühjahr erst einmal der Zirkus Wannda mit einem Festival - drei seiner Wagen sind schon abgestellt.

Das Gelände könnte das Worpswede, das Bauhaus der Zukunft sein. (Foto: Catherina Hess)

Der Verein Labor dagegen will als Anker-Projekt eine "Bauhütte" auf die Lamento-Fläche stellen, in Kooperation mit dem Lehrstuhl Holzbau der TU München. Einige Professoren, Dozenten und Studenten konnten dafür gewonnen werden, 200 000 Euro stünden im Budget zur Verfügung, erklärte TU-Vertreter Martin Luce und fragt: "Kann ich dieses Engagement einspeisen?" Gewiss eine interessante Idee, gab Kulturreferats-Mitarbeiter Leuprecht zurück, aber es habe auch andere gute Ideen gegeben - welche, bleibt auch auf Nachfrage einer Zuhörerin offen.

"Wir brauchen hier", so Leuprecht, "noch mehr klassische Kultur, mehr Kreativwirtschaft und möglichst viele Raumeinheiten." Genau das sei Sinn der Bauhütte, die gerade mal ein Zwanzigstel der Fläche beanspruchen würde, hielt Schnurer dagegen, sie würde anderen Kreativen ermöglichen, sich ihre individuell zugeschnittenen Räume oder Ateliers selbst zu bauen.

Viele kleine Räume für Akteure vieler Sparten - da wäre wieder etwas Gemeinsames, das Stadtplaner Krüger als so wichtig beschwört. Doch bei vielen Zuhörern verfestigt sich der Eindruck, hier kommen zwei einfach nicht zusammen. Auf der einen Seite die Bürokratie mit ihrer Denkweise, ihrer manchmal schwer verständlichen Sprache, ihren Zwängen und, wie einer leise murmelt, ihrer "Hasenfüßigkeit". Auf der anderen Seite die Künstler mit ihren Vorstellungen und (Eigen-)Interessen. Krügers Bilanz nach dreistündiger Diskussion fällt viel zuversichtlicher aus: "Ich glaube, das geht hier nur knapp aneinander vorbei. Es braucht nur eine kleine Kurskorrektur". Jemanden, der mal "von draußen draufschaut", der die verhärteten Fronten aufbricht.

Jemanden wie Krüger vielleicht.

© SZ vom 27.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: