Kritik:Bis zur Schmerzgrenze

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Marc Ribot und seine New Yorker Band "Ceramic Dog" lassen in der Unterfahrt den Jazz zum Punk werden.

Von Dirk Wagner, München

"Ich lächle unter meiner Maske", sagt Marc Ribot, als er und seine New Yorker Band Ceramic Dog mit dem entsprechenden Mund- und Nasen-Schutz die Bühne des Jazzclubs Unterfahrt betreten. Dann lässt er die Maske fallen, physisch und musikalisch. Nicht als einer, der solche Pandemie-bedingten Schutzmaßnahmen als übertrieben abtut. Sondern als einer, der nach eigener Aussage Freunde durch Covid-19 verloren hat. Dem damaligen US-Präsidenten, den Ribot auch mal als "Möchtegern-Diktator" beschimpfte, wirft er darum auch ein verantwortungsloses Nicht-Reagieren vor. Trotzdem wohnt dem neuen Album "Hope", auf dem Ribots Ceramic Dog eben jene Pandemie-Erfahrung aufarbeitet, eine titelgebende Hoffnung inne.

In der Live-Präsentation, die das Trio in München auf zwei Shows vor jeweils 30 zugelassenen Zuschauern verteilt, klingt die Band im ersten Set allerdings erst einmal wütend, laut, raumgreifend. Und als habe man vergessen, wie laut so ein Konzert sein kann, erreicht Ceramic Dog vor allem wegen einiger fiesen hohen Frequenzen auf dem Moog-Synthesizer und der Gitarre eine Schmerzgrenze, die die Band nun bewusst zu halten versteht. Unangenehme und zugleich doch auch interessante Klänge sind das, die eine Aufmerksamkeit einfordern wie ein abstoßendes Unfallfoto. Viele der anwesenden Zuschauer schützen ihre Ohren darum mit vorgehaltenen Händen, während die Band also den Schmerz spürbar macht, von dem ihre Musik letztlich auch handelt.

Etwa den Schmerz über die rassistische Ausgrenzung in Danville, Pennsylvania, die der Bassist dort, "wo jeder weiß ist", erfuhr, als man ihn "hässlich" nannte, "weil ich kein Christ war". Gleichwohl dieses dargebotene Stück "Pennsylvania 6 6666" nicht vom neuen Album ist, passt es doch in das darin reflektierte Gesellschaftsbild. Vor allem aber passt es in ein Set, das spannende Musik teils virtuos, teils herrlich verspielt auslebt. Da wird der Jazz im positiven Sinne auch mal zum Punk.

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