Kritik:Ohne große Gesten

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Beim Konzert von Henri Texier in der Unterfahrt entsteht große Musik.

Von Ralf Dombrowski

Henri Texier plaudert mit dem Kontrabass. Er singt mit ihm, nimmt das Publikum der Unterfahrt an der Hand und führt es durch einen stiloffenen Klang-Raum, der vieles integriert, was er während mindestens eines halben Jahrhunderts erlebt, aufgenommen und mit geprägt hat. Er spielt viel und lässt das Instrument volltönend durch die Stücke gleiten, bindet gerne die Töne und behält bei aller Virtuosität der Phrasierung doch die Melodien im Blick.

Das funktioniert zum einen, weil Texier entspannt aus einer Erfahrung schöpfen kann, die ihn auf afrikanische Marktplätze mit einem Wanderjazztrio ebenso wie an die Seite zahlreicher Koryphäen von Don Cherry bis Martial Solal oder Michel Portal geführt hat. Es liegt auch an seinem aktuellen Trio, das ihm mit Noblesse und einer wohlwollenden Ehrfurcht der nächsten Generation zuarbeitet. Saxophon, manchmal auch Klarinette, bleiben in der Familie, gespielt von Texiers Sohn Sébastien, der zwar auch ekstatische Momente beisteuert, sich über den Abend hinweg aber vor allem durch eleganten Ton und famos geschmeidige Linienführung empfiehlt. Gautier Garrigue am Schlagzeug wiederum will die Kollegen fordern, gibt Kraft vor, jedoch mit federnder Leichtigkeit bei der Gestaltung des Komplexen.

Damit bricht das Trio nicht aus der Tradition aus, sondern lässt sich eher von den Ansprüchen an die Qualität zeitgenössischen Improvisierens leiten. Es nimmt Klassiker wie "Round Midnight" oder "Besame Mucho" ins Programm, um eigene Kompositionen wie "Forrest Forgive Them" oder "Cinecitta" ergänzt, und beschleunigt schon mal Cole Porters "What Is This Thing Called Love" auf hurtiges Hardbop-Tempo. Es schafft aber auch das Kunststück, trotzdem in sich geschlossen und gegenwärtig zu klingen, ohne Anschein des Epigonalen und bereits so oft Erzählten. Das ist der Vorteil eines alten Meisters als Leader. Nimmt er seine Person zurück und lässt das Erleben strahlen, dann entsteht große Musik, die keiner großen Geste bedarf.

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