Aktion "Ramadama 2.0":20 000 Kronkorken auf nur zwei Kilometern entlang der Isar

Lesezeit: 3 min

Die Natur atmet auf: Bei der Aktion der Isarfischer am Samstag wurden vor allem Kronkorken gesammelt, aber auch Zigarettenstummel und sonstiger Unrat. (Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)

Mit Magnethebern, Holzpinzetten und Greifarmen rücken Freiwillige auf Initiative der "Isarfischer" dem Unrat an der Thalkirchner Brücke zu Leibe.

Von Anita Naujokat

"Nein, das ist ein Stein, Emma, den lassen wir liegen", sagt Mirjam Städele zu ihrer 16 Monate alten Tochter. Emma und ihre Geschwister Klara, zwei Jahre, und Josef, vier, inspizieren mit ihren Papiertüten weiter das kiesbedeckte Isarufer auf der Suche nach den metallischen glitzernden oder verrotteten Dingern, die Erwachsene Kronkorken nennen. Eigentlich ist die fünfköpfige Familie aus dem Bayerischen Wald nach München gekommen, um den Tierpark zu besuchen. Der hatte so früh am Samstagmorgen aber noch nicht auf. Von der Thalkirchner Brücke aus haben sie gesehen, dass unten eine Abfallsammel-Aktion ist und sich spontan den Isarfischern angeschlossen, um die Wartezeit zu verkürzen, erzählt Vater Dominik. Im "Nebenberuf" Brettspieletester, hat er das Spiel "Captain Nature" schon unter andere Kinder gebracht. Es handelt davon, die Weltmeere vor Müll zu retten.

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Reingeplatzt sind die Städeles in die Aktion Ramadama 2.0. Die Isarfischer säubern an diesem Vormittag gezielt die Uferzone von den für Tiere, Wasser und Umwelt schädlichen Kleinteilen wie Zigarettenkippen und Kronkorken. Der 1075 Mitglieder starke Verein bewirtschaftet nicht nur Teile der Isar und andere Gewässer im Umland. Unter dem Dach des Fischereiverbands Oberbayern und des bayerischen Landesfischereiverbands ist er auch ein anerkannter Naturschutzverein.

Bis sich ein achtlos weggeworfener Kronkorken zersetzt, dauert es nach diversen Studien zwischen 80 und 200 Jahren. Dazu kommt, dass sie innen mit Plastik und außen mit Farbe beschichtet sind. Bei Zigarettenstummeln gehen Untersuchungen von zwei bis sieben Jahren aus. Allerdings verseucht jede Kippe etwa 40 Liter Wasser und schädigt ebenso Organismen wie Fische, Vögel und Insekten.

Jährlich bleiben Hunderte Kilogramm Kleinmüll von Feiernden und Spaziergängern an den Ufern zurück. Zwar lässt das städtische Baureferat während der Grillsaison die Strände täglich reinigen. "Doch die Trupps haben nicht die Zeit, auch noch die kleinen Sachen aufzusammeln", sagt Erster Vorsitzender Klaus Betlejewski. Dem Mikromüll sind die Isarfischer schon im Vorjahr zu Leibe gerückt. Doch erstmals werden jetzt die Kronkorken vom Rest getrennt, gewogen, und dem Hilfsprojekt "Kronkorkenliebe" der evangelischen Kirche gespendet. Dieses wiederum verkauft sie an einen Schrotthändler und finanziere aus dem Erlös eine Krankenversicherung für Kinder in Afrika.

Da kommt was zusammen: Die Isarfischer und ihre Helfer haben innerhalb weniger Stunden eine ganze Menge Kronkorken gesammelt. Der Erlös der Aktion kommt Kindern in Afrika zugute. (Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)

Als wüsste die Natur, dass ihr am Samstag etwas zugute kommen wird, hat der über Nacht andauernde Regen gegen acht Uhr morgens schlagartig aufgehört. Kaum einer der Ehrenamtlichen hält sich länger an der Sammelstelle auf. Gebückt oder ausgerüstet mit Magnethebern, Holzpinzetten oder Greifarmen macht sich jeder gleich ans Werk. Allein um die kleine Feierstelle an der Brücke sind die Sammler gut beschäftigt. Manche Kronkorken sind eingetreten oder haben sich zwischen Kieselsteinen verkeilt. Andere sind schon so verrostet und deformiert, dass sie kaum mehr als solche zu erkennen sind. "Augustiner ist sehr gut vertreten", sagt Klaus Brnabic, Zweiter Kassier des Vereins, beim Blick auf die durchsichtige bodentiefe Vase, in die die Kronkorken zum Wiegen hineinkommen.

Frank Meißner vom Vorstand versteht es auf wunderbare Weise, der Laiin zwischendurch das Wesen der Fliegenfischerei zu erläutern. "Das Wasser lesen" nennen es die Isarfischer. Er vergleicht die auf dem Speiseplan für Fische stehenden Insekten in ihren verschiedenen Stadien im und auf dem Wasser mit Schnitzel, Leberkäse oder Nachtisch als perfektes Büfett, um sich Forellen, Äschen und Huchen zu nähern. Was direkt zu Mio Hübner führt. Der junge Doktorand forscht an der Zoologischen Staatssammlung über unbekannte Insektenarten. Er ist mit einem starken Ringmagneten aus Neodym an einem Seil, Marke Eigenbau, gekommen. Auf das Material, das selbst in Pfützen nicht versagt, ist er im Labor gestoßen.

Magneten erleichtern die Arbeit der Helfer, das Bücken entfällt dadurch meistens. (Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)

Ganze sieben Wiegeaktionen sind letztlich erforderlich, um alle Ladungen angemessen zu erfassen. Optimistinnen wie Evi Brnabic waren von gerade einmal drei Füllungen ausgegangen. Am Ende haben etwa 100 Teilnehmer in knapp dreieinhalb Stunden in einem Abschnitt von einem Kilometer je Uferseite fast 40 Kilogramm allein an Kronkorken eingesammelt. Das entspricht in etwa 20 000 Stück - einer wiegt zwei Gramm. Dennoch liegt laut dem Bayerischen Landesamt für Umwelt die allgemeine Belastung mit Plastikpartikeln der Isar noch unter den Werten von Altmühl, Donau und Inn.

"Wir werden damit die Welt nicht retten", sagt Meißner. "Aber es ist ein Signal", so Klaus Brnabic. Dabei hat Stefan Zehentmeier noch ein paar besonders schöne Exemplare für Tochter Ella zurückgehalten. Die Vierjährige sei ganz verrückt danach. "Wir sind die Gewinner", verkündet ein noch eintrudelnder Helfer mit voller Tüte. "Gewonnen hat jeder", erwidert Evi Brnabic. "Insbesondere die Natur." Trotz voller Konzentration auf Kleinabfall, haben Emilia und Vincent, fünf und neun Jahre, zuletzt noch einen petrolfarbenen E-Scooter mitten im Wasser am Flauchersteg entdeckt. Gemeinsam mit Mama Lucia Rüth haben sie ihn rausgefischt - bei Interesse abholbar am dortigen Kiosk.

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