Generationenprojekt:Freundschaften per Brief

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Ab in den Kasten: Chiara Ridolfi vom Verein Leb Bunt, der Brieffreundschaften zwischen Seniorinnen und jungen Einwanderern vermitteln will. (Foto: Robert Haas)

Der Verein "Leb bunt" bringt ältere Menschen und jüngere Zugewanderte als Schreibpartner zusammen. Profitieren sollen davon beide Seiten.

Von Sonja Niesmann

"Liebe Annika, wie geht es Dir? Mir geht es gut. Was hast Du zu Weihnachten bekommen?" Ältere erinnern sich wahrscheinlich, wie sie als Kinder Brieffreundschaften mit solchen Texten gepflegt haben, wie man so schön sagte. Heutzutage wird mit fliegenden Fingern gesimst, gemailt und gechattet, quer durch die Generationen.

"Die Kunst des Briefeschreibens haben die Leute vergessen", bedauert Chiara Ridolfi. Manche Menschen haben sie vielleicht auch nicht vergessen, aber niemanden, dem sie schreiben können. Der Verein "Leb bunt", für den die 42-Jährige Öffentlichkeitsarbeit macht, besinnt sich nun auf diese vernachlässigte, gemächliche Art der Kommunikation und startet ein Projekt namens "Bunte Briefe". Zusammengespannt werden dabei deutsche Seniorinnen und Senioren mit jungen Einwanderern.

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Mitzumachen geht ganz einfach: Man füllt einen Teilnehmerbogen aus, erzählt ein bisschen was über sich selbst, über Vorlieben, Interessen, frühere Tätigkeit, die Länder, in denen man gelebt hat, und die Themen, über die man sich gerne austauschen würde. Auch darf man anmerken, welche Themen man dezidiert nicht anschneiden will.

"Leb bunt" stellt dann passend wirkende Partner zusammen, schickt ein Willkommenspäckchen mit ausführlichen Informationen, Briefpapier, Umschlägen und Porto für die ersten drei Briefe zu. Dann muss man nur noch zum Stift greifen, die Gedanken sammeln und natürlich leserlich schreiben.

"Für uns Einwanderer eine tolle Gelegenheit, unser Schriftdeutsch zu verbessern"

Gerade während der Corona-Zeit mit ihren vielen Einschränkungen sei das Briefe-Projekt eine Möglichkeit für Senioren, etwas zu tun, sich zu engagieren, neue Kontakte zu knüpfen, findet Ridolfi: "Und für uns Einwanderer eine tolle Gelegenheit, unser Schriftdeutsch zu verbessern."

Inwieweit sie sich dabei auch korrigieren lassen wollen, bleibe ihnen selbst überlassen - schulaufsatzmäßiges Ansetzen des Rotstiftes müsse nicht sein, versichert Chiara Ridolfi lachend. Sie selbst drückt sich nach nur zweieinhalb Jahren schon recht flüssig und selbstbewusst in der fremden Sprache aus, nur mit der deutschen Grammatik, gesteht sie leise seufzend, habe sie ganz schön zu kämpfen.

Als die ehemalige Texterin in einer Werbeagentur vor zweieinhalb Jahren aus Italien nach München kam und begann, Deutsch zu lernen, stieß sie auf "Leb bunt" und sein 2018 gestartetes "Hallo"-Projekt. Der von der Argentinierin Lisi Brizuela gegründete Verein mit Sitz an der Münchner Lindenschmitstraße hat sich der interkulturellen, generationenübergreifenden Begegnung verschrieben, er will sowohl ältere Menschen als auch jüngere, nach Deutschland Zugewanderte zu aktiver Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermuntern, einer Vereinsamung entgegenwirken. Das Zusammentreffen von Jung und Alt aus unterschiedlichen Kulturkreisen, mit unterschiedlichen Sprachen und Lebenserfahrungen soll Vorurteile abbauen, Toleranz fördern und auch die Wertschätzung für diese beiden Gruppen zum Ausdruck bringen.

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Seine Zielgruppen findet der Verein vor allem über mehrere Münchner Alten- und Servicezentren und einschlägige Online-Foren, persönliche Kontakte oder Migrantenorgansisationen. Dieses Jahr sollen auch Flüchtlingsorganisationen angesprochen werden. Auf diese Weise brachte das "Hallo"-Projekt Menschen zu internationalen Kulturnachmittagen, Spaziergängen und Quizabenden zusammen, entweder in Gruppen oder in sogenannten Tandems.

Aus den Briefwechseln entstehen manchmal echte Freundschaften

Chiara Ridolfi fand ihre Tandem-Partnerin in Elke Tiemeyer, die den Leb-bunt-Flyer im Alten- und Servicezentrum (ASZ) Solln entdeckt hat. Einmal wöchentlich trafen sich die beiden Frauen fortan, redeten über Literatur und Pflanzen und feilten so an Ridolfis Deutsch. Sehr ambitioniert ging Tiemeyer das an, legte der Italienerin Texte von Heinrich Heine und Max Frisch vor, oder die "Geflügelten Worte" von Georg Büchmann.

Ihr habe das großen Spaß gemacht, erzählt die 79-Jährige, die früher als Ingenieursassistentin gearbeitet hat, viele Jahre lang eine Literaturgruppe in einem ASZ geleitet hat und auch als Lesepatin für Schulkinder tätig war. Das Konzept von "Leb bunt", Senioren als Partner für jüngere Zugewanderte zu gewinnen, findet sie absolut schlüssig: "Jüngere Menschen haben ja nicht so viel Zeit. So frei wie im Ruhestand ist man ja im Leben kaum."

Als die Pandemie im vergangenen Jahr dann persönliche Treffen erschwerte oder gar unmöglich machte, verlegten sich Ridolfi und Tiemeyer aufs Briefeschicken, manchmal mit beigelegten gepressten Blümchen, "total süß", erzählt Ridolfi - und nahmen damit das Projekt Bunte Briefe, das unterem anderen von der Münchner Bürgerstiftung und dem Auf-Augenhöhe-Fonds unterstützt wird, quasi vorweg.

Die Bunten Briefe schlagen nun den genau entgegengesetzten Weg ein, im besten Fall soll der schriftliche Austausch auch irgendwann zu echten Treffen führen - wenn zwischen den Partnern Brief um Brief Sympathie zueinander, Neugier aufeinander gewachsen ist. Chiara Ridolfi und sie jedenfalls, freut sich Elke Tiemeyer, seien "richtige Freundinnen" geworden, ungeachtet des Altersunterschieds zwischen ihnen. "Befruchtend", sagt die 79-Jährige.

Wer sich für das Projekt interessiert, kann an buntebriefe@leb-bunt.org mailen oder unter der Telefonnummer 0171- 33 98 766 anrufen.

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