Münchner Innenstadt:Das Verschwinden der Traditionsläden

Münchner Innenstadt: Die Spielwarenfirma Lego hat kürzlich einen riesigen Flagship-Store in der Kaufingerstraße eröffnet.

Die Spielwarenfirma Lego hat kürzlich einen riesigen Flagship-Store in der Kaufingerstraße eröffnet.

(Foto: Robert Haas)

96 Prozent aller Geschäfte in der Kaufingerstraße gehören zu Konzernen. Kleine Läden und Traditionshäuser werden immer stärker verdrängt. Die Pandemie hat diese Entwicklung weiter beschleunigt.

Von Patrik Stäbler

Wer aus München stammt, die vergangenen 15 Jahre aber im Ausland gelebt hat und nun bei einem Besuch in der Heimat durch die Kaufingerstraße bummelt - der wird sich erstaunt die Augen reiben. Denn in der dortigen Fußgängerzone hat seit 2006 in fast drei Viertel aller Geschäfte der Mieter gewechselt. Das zeigt die neue Fluktuationsanalyse des Immobilienverbands Deutschland Süd (IVD) zu den Top-Einkaufslagen in München. Demnach sind - und das nicht nur in der Kaufingerstraße - vor allem die Filialen großer Ketten auf dem Vormarsch, während sich alteingesessene Händler immer schwerer tun.

Augenfälligstes Beispiel in diesem Jahr war die Firma Kaut-Bullinger, die ihr Stammhaus nahe dem Marienplatz schloss. Bereits Ende 2020 hatte mit dem Sport Münzinger im Rathaus ein weiteres Traditionsgeschäft aufgeben müssen.

In der Kaufingerstraße sind dem IVD zufolge inzwischen 96 Prozent aller Geschäfte in der Hand von Filialisten. Auf ähnlich hohe Werte kommen die Maximilian- und die Theatinerstraße, während am Marienplatz noch die Hälfte der Ladenflächen nicht von großen Ketten angemietet ist. Doch auch dort hat die Filialisierung zugenommen, und diese Entwicklung sieht Stephan Kippes durchaus kritisch. "Denn nicht-filialisierte Unternehmen sind das Salz in der Suppe", findet der Leiter des IVD-Marktforschungsinstituts. "Sie geben einem Einzelhandelsstandort ein spezifisches Profil und Flair." Die Corona-Krise habe den Trend zur Filialisierung beschleunigt, da die schwierigen Umstände zu mehr Geschäftsaufgaben geführt hätten, so Kippes. "Gerade Konzepte, die nicht so gut liefen, haben es in dieser Zeit besonders schwer gehabt."

Dabei sind die Mieten in den begehrtesten Einkaufslagen laut IVD infolge der Pandemie deutlich zurückgegangen. Musste ein Laden mit 80 Quadratmetern Fläche und fünf Metern Schaufensterfront im Frühjahr 2020 noch 410 Euro je Quadratmeter bezahlen, so sackte dieser Wert in den folgenden zwei Jahren auf 280 Euro ab. Ähnlich sah es bei größeren Geschäften mit 200 Quadratmetern Fläche und acht Metern Fensterfront aus: Hier sank der Mietpreis in den Eins-A-Lagen von 320 auf 215 Euro. "Aber auch diese Summen muss man erst mal erwirtschaften", betont Kippes.

Ein Trend seien auch Showrooms von Herstellern von Elektroautos

Besonders groß war die Fluktuation in den vergangenen zwei Jahren in der Sendlinger Straße. Die Ursache hierfür sieht Kippes in deren Umwandlung zur Fußgängerzone. "Dort sind die Mieten gestiegen, wodurch es zu Veränderungen im Ladenbesatz kam - und zu einem Anstieg des Filialisierungsgrads. Denn in solche Lagen ziehen verstärkt Ketten und Franchiser, weil sie eher mit den gestiegenen Mieten zurechtkommen." Gleiches gilt laut dem Experten für sogenannte Flagship-Stores großer Firmen, die man zunehmend in den Top-Einkaufslagen findet. "Da wird vielleicht etwas weniger darauf geschaut, ob sich das bis ins letzte Detail trägt, weil es den Unternehmen auch darum geht, ihre Marke zu bewerben", erklärt Kippes.

Ein Flagship-Store im XXL-Format hat die Spielwarenfirma Lego kürzlich in der Kaufingerstraße eröffnet. "Dass das in dieser Lage in so einem Umfang und auf zwei Ebenen geschehen ist, das hat mich etwas überrascht", kommentiert Mark Goldmann vom Immobilienunternehmen Goldmann & Partner. Er verweist noch auf einen weiteren Trend, nämlich die steigende Zahl der Showrooms von Elektroautoherstellern. Ein solcher soll demnächst in der Kaufingerstraße gegenüber dem Lego-Store eröffnen, und zwar von der US-Firma Fisker. "Es scheint, dass diese Hersteller tatsächlich die Innenstadtlagen suchen, um das Publikum anzusprechen", sagt Goldmann. "Da bin ich sehr gespannt, was für eine Wirkung solch eine Marketing-Suite hinterlässt."

Interessant aus Sicht der Immobilienexperten ist auch die Entwicklung im Tal, das laut Stadtratsbeschluss nächstes Jahr zur Fußgängerzone wird. Dadurch würde die Lage für Händler attraktiver, sagt IVD-Experte Kippes. "Wir werden eine Verlagerung ins Tal haben, weil einige davon ausgehen, dass es etwas günstiger ist als in der Kaufingerstraße." Damit einhergehen dürfte dort ein steigender Filialisierungsgrad, der aktuell bei 67 Prozent liegt.

Insgesamt erlebe man im Einzelhandel nach den schwierigen Corona-Jahren "eine gewisse Erholung", bilanziert Kippes - wiewohl er auch "dunkle Wolken" sieht. So sei der Tourismus in München noch nicht wieder auf dem Stand von vor der Pandemie, dazu komme der Krieg in der Ukraine. "Die Leute haben Angst vor der Rezession und der nächsten Energieabrechnung", sagt Kippes. "Das alles bremst die Kauflaune."

Zur SZ-Startseite

SZ PlusFußgängerzone
:Bitteres Ende für einen Familienbetrieb

Der Imbiss "Ringlers Grill" in der Sendlinger Straße ist an den Münchner Mietpreisen gescheitert. Der Fall ist ein Beispiel für die Verdrängung kleiner Geschäfte - und den unerbittlichen Wandel in der Innenstadt.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: