Oktoberfest und die Mobilitätsmesse IAA, geht das 2023 mit nur einer Woche Pause? Was passiert mit dem Streetlife-Festival und dem Corso Leopold, wenn die Autofirmen wieder so massiv in die Innenstadt drängen? Und wo sollen denn die Gegendemonstranten mit ihrem Camp hin, wenn auf der Theresienwiese schon die Bierzelte und die Fahrgeschäfte in den Himmel wachsen? Diese Zukunftsfragen wird sich die Politik nun stellen, wenn sie die erste Internationale Automobilausstellung (IAA) in München am Dienstag politisch aufarbeitet.
Denn 2023 und 2025 wird es eine Neuauflage geben, so steht es im Vertrag der Messe München Gesellschaft und dem Verband der Automobilindustrie. Der schließt laut einer nicht-öffentlichen Sitzungsvorlage des Wirtschaftsreferats offenbar auch die starke Präsenz im öffentlichen Raum ein. "Im Vertrag sind die Spielorte des Open Space namentlich mit der jeweiligen Brutto und Nettofläche benannt." Mit diesem Satz wird die Messegesellschaft zitiert. Referent Clemens Baumgartner (CSU) warnt vor "Schadenersatzforderungen in nicht absehbarer Höhe", sollte die Politik die Zusagen an den Veranstalter einkassieren. Zudem würde die Stadt, wenn sie am Vertrag rüttle, ihren Ruf als verlässliche Vertragspartnerin beschädigen.
Der politische Streit darüber ist jedoch längst entfacht, auch mit ausgelöst durch ein prominentes Aufsichtsratsmitglied der Messe München: Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hatte ein grundsätzlich positives Fazit der IAA in München gezogen, doch die massiven Stände in der Innenstadt hätten ihn überrascht, sagte er. So einen wie den von Mercedes am Odeonsplatz werde es "nicht mehr geben beim nächsten Mal".
Umweltverbände fordern "echte Mobilitätswende" statt einer "grün gewaschenen Autoschau"
Noch weiter gingen die Grünen als große Partner in der Rathauskoalition mit der SPD. "Wir können uns das in dieser Form nicht nochmals vorstellen", sagte Fraktionschefin Anna Hanusch. Sie meinte die Größe der Stände ebenso wie die Behinderung des Fuß- und Radverkehrs durch die Aufbauten. Die Fraktion ÖDP/München-Liste hat bereits beantragt, kommerziellen Messen grundsätzlich keine öffentlichen Plätze mehr zur Verfügung zu stellen. Umweltverbände kündigten eine Demonstration vor der Stadtratssitzung an, in der sie die Offenlegung der Messeverträge und eine "echte Mobilitätswende" statt einer "grün gewaschenen Autoschau" fordern. Die bayerische Staatsregierung, die etwa mit der Residenz auch eigene Flächen zur Verfügung stellte, fand die IAA in München sehr "gelungen" und hält sie für eine "sehr gute Basis" für eine dauerhafte erfolgreiche Ausrichtung.
So sehr die Messe die Politik polarisiert, so sehr spaltet sie auch die Verwaltung. Einig ist man sich dort wohl nur darin, dass zwei Jahre Vorlauf für die IAA und einige Großveranstaltungen in enger zeitlicher Nähe auch für eine große Stadt wie München kein Selbstläufer sein wird. Schon die Premiere, die wegen der Pandemie noch ohne die Wiesn und andere Nachbarveranstaltungen zu planen war, stellte eine enorme Belastung dar. Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner (CSU) wird die Messe am Dienstag im Stadtrat dennoch verteidigen, mit großer Verve. Die Zahl der Besucher hätten "die Erwartungen weit übertroffen", erklärt er in der Vorlage für das Gremium. München habe sich "einer breiten Weltöffentlichkeit" als Gastgeberin präsentieren können. Die IAA könne dauerhaft zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor der Stadt werden. Das Konzept mit einem Standort auf dem Messegelände und einem auf öffentlichem Grund in der Innenstadt habe sich bewährt. Die Automobilbranche sei mit ihren Bauten nicht über das erlaubte Maß hinausgeschossen. "Die Stadtratsvorgaben wurden eingehalten."
Sein Kollege aus dem Kreisverwaltungsreferat, Thomas Böhle (SPD), hält dagegen eine ähnlich voluminöse Präsentation in der Innenstadt in den Jahren 2023 und 2025 für nicht angebracht. Die IAA eigne sich aufgrund ihres zeitlichen und räumlichen Ausmaßes sowie ihrer nahezu vollständig kommerziellen inhaltlichen Ausrichtung "nicht für die Innenstadtplätze", schreibt er in einer Bilanz seines Hauses. Die Stadt schaffe damit möglicherweise einen Präzedenzfall für eine Entwicklung, die nicht erwünscht sei.
Sogar verfassungsrechtliche Bedenken gegen das jetzige Konzept bringt Böhle vor. Denn 2023 werde die Innenstadt auch durch andere Veranstaltungen so voll sein, das ein Camp der IAA-Gegner kaum möglich sein werde. Ein adäquater Protest sei deshalb nicht möglich, was im Hinblick auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit "kaum vertretbar" sei. Das Mobilitätsreferat hat auch Bedenken wegen Art und Umfang des Auftritts der IAA in der Innenstadt, unter anderem auch wegen der langen Auf- und Abbauzeiten sowie den starken Einschränkungen für Fußgänger und Radfahrer. Es bietet aber auch an, die Messe 2023 im Dialog mit den Autoherstellern weiterzuentwickeln. In welchem Ton und welchem Umfang das geschehen wird, das könnte die erste Aufarbeitung der Messe 2021 im Stadtrat zeigen.