Club der Zauberer:Wo Münchner Magier an Illusionen feilen

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Wer nicht zaubert, ist von den Treffen des Clubs ausgeschlossen. (Foto: Stephan Rumpf)

Jede Woche trifft sich der Club der Zauberer in einer Gaststätte im Bahnhofsviertel zum Zirkelabend. Dann dreht sich alles um neue Tricks - und die Geheimnisse des Handwerks.

Von Robin Köhler

Bevor Mario Schulte sich gleich einen elf Zentimeter langen Metallnagel in sein linkes Nasenloch hämmern wird, schaut er noch einmal auf seine Zuschauer. Vierzehn Augenpaare sind auf den blanken Stahl gerichtet, den Schulte langsam an sein Gesicht führt. Alle in der Bavaria-Gaststätte an der Bayerstraße 81 haben ihn gebeten, seine gefährlichste Nummer zu zeigen - jetzt folgen sie gespannt jeder seiner Bewegungen.

Wie er vorsichtig eine kleine lederne Schatztruhe in die Hände nimmt und einzeln die Utensilien herauszieht - einen kleinen Holzquader, eine Zange, einen Hammer und schließlich den Nagel, der länger ist als Schultes Zeigefinger. Er lässt die anderen prüfen, dass es sich um echte Werkzeuge handelt. Keine Tricksereien, sondern echtes, hartes Metall. Einer der Zuschauer malt, damit es keinen Austausch geben kann, ein schwarzes Kreuz auf den Kopf des Nagels.

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Mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand führt Schulte nun den Nagel an sein Nasenloch. Ohne ein Zögern holt er mit dem Hammer in der rechten aus, schlägt rasch und regelmäßig zu. Bei jedem einzelnen dieser Schläge verzieht Schulte das Gesicht, nach neun Schlägen ist in seinem Nasenloch nur noch der Nagelkopf mit dem schwarzen X zu sehen. Mario scheint das Staunen zu genießen, bevor er schließlich nach der Zange greift und den Nagel langsam wieder herauszieht. Anschließend hämmert er ihn mit seiner Visitenkarte auf den Holzblock. Schulte lächelt wissend. Applaus.

Dass in Wahrheit eben kein langer Nagel in Marios Gehirn steckte, das ist allen, die im Hinterzimmer des Gasthauses sitzen, klar. Aber sie lieben die Illusion und die Ratlosigkeit in den Gesichtern derjenigen, die nicht begreifen können, wie der massive Metallnagel so fest in Schultes Nase steckten konnte. Für Mario Schulte und die Mitglieder im Club der Zauberer sind solche Illusionen nichts Ungewöhnliches. Sie alle beherrschen ihre Tricks und Spielereien - egal ob mit Karten, Münzen oder eben Nägeln.

Einmal in der Woche treffen sie sich zu Zirkelabenden, tauschen sich aus, planen Veranstaltungen und zaubern. Den Club gibt es jetzt seit fast 100 Jahren und seither gilt eine Regel: Wer nicht zaubert, ist von den Treffen ausgeschlossen. An diesem Abend werden die Magier darauf verzichten, über Tricks und Geheimnisse zu sprechen - nur deshalb darf ausnahmsweise ein externer Beobachter an er Runde teilnehmen.

Mario Schulte ist ein Mann mit zotteligen Haaren und kleiner Brille. Wenn er sich das Gestell von der Nase nimmt und mit einem Tuch die Regentropfen auf den beschlagenen Gläsern trocknet, sieht er nicht wie ein Zauberer aus. Wie alle anderen kommt Schulte nicht in Bühnenkleidung, statt Frack und Zylinder trägt er einen Kapuzenpullover. Seit einigen Wochen ist Schulte neuer Vorsitzender des Münchner Clubs der Zauberer, eines eingetragenen Vereins.

Die Zauberkunst ist für ihn eine Schatzsuche: "Es gibt Millionen von Tricks, von denen die meisten schlecht sind, aber zehn Prozent sind großartige Wunder - nach denen suche ich." Hunderte Bücher über Zauberei hat er zu Hause, auch die Zirkelabende sind Teil der Suche.

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Als nächstes betritt Alfons Arnold den Raum, mit 89 Jahren ist er der älteste in der Runde; ein Mann mit ausgeblichenem Filz-Anzug, der direkt aus Harry Potters Zauberschule Hogwarts stammen könnte. Die Zauberer duzen sich, Arnold wird trotzdem das "Sie" verwenden. Es folgen weitere Magier, darunter Jalin Alfar, der zaubernde Postbote oder Magic Pit - Künstlernamen, die sie nicht verwenden, wenn sie unter sich sind.

Schließlich sind es 15 Trickkünstler und Hobbyzauberer, deren Zusammenkunft wie ein ganz normaler Stammtisch scheint - von der ungewöhnlich hohen Zahl an Kartendecks auf beiden Tischen abgesehen. Neu ist das nur für Anton Scharf, er ist zum ersten Mal beim Zirkelabend.

Scharf ist 24 Jahre alt und Barkeeper, seine langen Haare trägt er unter einer Jack-Daniels-Mütze. Ein dicker Lederriemen am Arm und sein Vollbart lassen ihn schon eher wie einen Magier wirken. Seit einem halben Jahr beschäftigt er sich mit Karten- und Zaubertricks: "Es fasziniert mich, Menschen mit Kleinigkeiten zu begeistern." Scharf wird einen Kartentrick zeigen, den er schon viele Male in seiner Bar vorgeführt hat. Zauberei ist für ihn ein Hobby, aber auch ein Weg, Gästen etwas mehr Trinkgeld zu entlocken.

Doch jetzt zaubert Scharf vor kritischem Publikum - "vor geschultem Blick", wie Mario Schulte sagt. Jeder Anwärter muss beim Zirkelabend einen Trick vorführen. Der Club der Zauberer steht nur jenen offen, die es ernst meinen. Scharf weiß das. Wenn er festes Mitglied werden will, muss er eine Prüfung beim Magischen Zirkel Deutschland ablegen, dem Dachverband des Clubs.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Kein Sorge, alles nur Illusion:

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Mario Schulte hämmert sich zum Erstaunen des Publikums...

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...einen elf Zentimeter langen Nagel ins Nasenloch.

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Schnelligkeit ist Trumpf:

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Auch während der Fachsimpelei am Biertisch...

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(Foto: Stephan Rumpf)

...finden die Zauberer und ihre Karten keine Ruhe.

Nach feierlicher Begrüßung muss Scharf liefern - der erste Trick an diesem Abend. Er beginnt, die Karten zu mischen. "Fehlschläge gehören zum Leben dazu", sagt er und lässt vier kleinere Kartenstapel zwischen seinen Händen wie Planeten um sich selbst kreisen. Seine Hände zittern, "auch in der Zauberei sind wir immer wieder mit Enttäuschungen konfrontiert, die sich vielleicht erst im Nachhinein als hilfreich herausstellen." Er lässt eine Kollegin eine Karte ziehen; sie soll sich diese gut einprägen und für ihn aufbewahren.

Scharfs Bewegungen werden schneller und routinierter, er zückt einen Notizblock: "Ich habe vorhin drei Vorhersagen aufgeschrieben. Ich hoffe, deine Karte war dabei." Die Augen blicken auf Scharfs Block: Pik sieben, Karo sechs und Herz neun. Die Zauberin deckt die gesuchte Karte auf - Pik neun. Der Neu-Magier liegt falsch, doch überrascht scheint er nicht. "Das meinte ich mit Enttäuschungen", sagt er. Er reißt das Blatt mit den Fehlprognosen aus seinem Block.

"Doch wie im Leben braucht es manchmal eine Flamme, die nach einer Enttäuschung wieder Licht ins Dunkel bringt." Während er das sagt, zieht Scharf blitzschnell ein Feuerzeug aus der Hand und fährt mit der Flamme über die Blatt-Rückseite. Zwei Symbole der Vorderseite zeichnen sich nun auf der Rückseite ab: das Pik-Symbol und die Neun. Scharf lächelt - das Zaubererlächeln. Das fachkundige Publikum reagiert mit Anerkennung. "Toll, super Trick", sagt Mario Schulte, "du erzählst das auch schon so toll." Man freut sich über den Zauberer-Nachwuchs.

Nach dem Essen besprechen die Zauberer Organisatorisches: die Weihnachtsfeier, eine mögliche Zauberer-Buchvorstellung für eines der nächsten Treffen. Schulte möchte als neuer Vorsitzender eine gemeinsame Show des Clubs starten, alle zwei Monate in einem Münchner Theater. Die Magier reden viel, doch vor allem zaubern sie. Brieftaschen stehen in Flammen, Papier wird zu Geldscheinen, Flaschengeister lesen Gedanken, Münzen teleportieren sich durch den Raum.

Wenn Zauberer über Zauberei reden, geht es vor allem um Technik. "Kennst du schon den neuen von Derren Brown?" fragt Mario Schulte und ist dabei so begeistert, als brenne ihm die Frage schon seit Tagen auf der Seele. Alex Elmsly, Paul Harris oder Leonard Green - viele Zaubertricks sind nach ihren Erfindern benannt. Selbst wenn ein Außenstehender den Club der Zauberer belauschen würde, er würde nicht viel von ihren Geheimnissen erfahren.

Anton Scharf erzählt, dass er sich Zaubersendungen immer und immer wieder anschaut und versucht, hinter die Technik zu kommen. "Wahrscheinlich mache ich es am Ende komplett anders", sagt er und lacht, "aber es funktioniert auch so." Mario Schulte ärgert sich darüber, dass viele Videos im Internet kursieren, die Zaubertricks genau erklären: "Es gibt keine Geheimnisse mehr, Zauberei ist ja viel mehr als nur ein Trick."

© SZ vom 10.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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