Politik:Die Grünen bringen sich in Form

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"Einen ersten Aufschlag" stellte Grünen-Chef Joel Keilhauer vor. (Foto: Privat)

Münchens derzeit erfolgreichste Partei muss mit den Folgen ihrer Beliebtheit fertig werden. Stark wachsende Mitgliederzahlen machen die Beteiligung der Basis immer komplizierter und teurer. Die politische Arbeit soll sich deshalb grundsätzlich ändern.

Von Heiner Effern, München

Die Grünen wollen ihre interne Parteiarbeit in der Stadt neu organisieren. Am Sonntag ging den Münchner Mitgliedern ein zehn Seiten langer Vorschlag dafür zu. Kernpunkte sind eine intensivere politische Arbeit und eine bessere Vernetzung der Ortsverbände sowie eine Reform der Arbeitskreise und Stadtparteitage. Dazu soll die Doppelspitze im Vorstand um zwei oder drei stellvertretende Vorsitzende erweitert werden. Die bisher ehrenamtlichen Stadtverantwortlichen der Grünen sollen künftig bezahlt werden. Auf einem digitalen Stadtparteitag am Samstag hatte der Vorsitzende Joel Keilhauer einen breiten Diskussionsprozess dazu angekündigt. Es handle sich "um keine fertige Beschlussvorlage", kündigte er an, sondern um "einen ersten Aufschlag", sagte er.

Als "Nikolausgeschenk" gehe der intern White-Paper genannte Vorschlag nun an die Basis. Dort soll er mehrere Schleifen drehen. Die Ideen hatten eine Strukturkommission, der Stadtvorstand und die Mitglieder eines Basisworkshops gesammelt. Grund für die grundsätzlichen Gedanken über die künftige politische Arbeit ist ein Luxusproblem. Der Erfolg der Grünen lässt sich nicht nur an Wahlergebnissen ablesen, sondern auch an der sprunghaft gestiegenen Zahl der Mitglieder. Mehr als 3100 sind es nun, viele davon wollen auch aktiv mitmischen. Die bei der Partei so wichtige und geliebte Basisbeteiligung und -orientierung fällt dadurch immer schwerer und wird immer teurer.

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Für den letzten Präsenzparteitag im September mussten die Grünen wegen der nötigen Corona-Abstände sogar die kleine Olympiahalle mieten. Das soll sie dem Vernehmen nach einen niedrigen fünfstelligen Betrag gekostet haben. Dazu stößt der ehrenamtliche Parteivorstand in seiner Arbeitsbelastung schon länger an Grenzen. Es gilt mehr denn je der Spruch des früheren Stadtvorsitzenden und jetzigen Stadtrats Sebastian Weisenburger: Als Münchner Grünen-Vorsitzender erledige man den Job eines Managers zum Gehalt eines Praktikanten, hat er einmal aufgrund eigener leidvoller Erfahrungen gesagt. Deshalb sollen nun die beiden Vorsitzenden und die Geschäftsführerin eine halbe Stelle analog zu den Konditionen im Stadtrat erhalten. Für den Rest des Vorstands sind Aufwandsentschädigungen geplant.

Mit am meisten diskutiert werden dürften auch die Stadtparteitage. Da wollen die Grünen künftig einmal im Jahr alle relevanten Pflichtaufgaben wie die Wahl des Vorstands oder der Delegierten für überregionale Parteitreffen an einem Termin erledigen. Die dafür nötige teure Technik fiele dann nur einmal an. Auf den anderen drei der vier üblichen Parteitage pro Jahr soll dann konzentriert über politische Themen gesprochen werden. Dazu sollen Anträge künftig vorher in den Ortsvereinen und Arbeitskreisen diskutiert werden können. Das und die Einführung eines Quorums für Anträge sollen endlose Tagesordnungen und Debatten künftig verhindern.

Wie es beim Thema Teilhabe und Basisdemokratie bei den Grünen zum guten Ton gehört, schoss auch der aktuelle Vorsitzende Keilhauer am Samstag ein paar Salven in Richtung Konkurrenz ab. "Bei uns soll man nicht 30 Jahre auf einem Stuhl sitzen müssen", um sich aktiv einbringen zu können, spielte er auf SPD und CSU an. "So waren wir nie, und so wollen wir nie werden." Die Grünen wollten sich dadurch abheben, dass sie "beteiligungsfroh und schlagkräftig" seien.

Das Soziale werde zum "Hauptkampfpunkt" in der Rathaus-Koalition

Wie schlagkräftig sie im Moment sind, haben sie in den vergangenen Wahlen in München bewiesen. Die Berichte auf dem Parteitag drückten dies aus. Anna Hanusch und Florian Roth, die beiden Vorsitzenden der größeren Regierungsfraktion, gaben einen kurzen Einblick in die Arbeit mit der SPD. Vieles konnte ihnen zufolge gemeinsam umgesetzt werden, etwa beim Thema Wohnen und Mieten. Doch in zwei Bereichen stellten sie Mängel fest. So sei die Kooperation bei sozialen Themen "ein schwieriges Unterfangen", sagte Hanusch.

Bei den Sozialdemokraten sei regelrecht "Angst" zu verspüren, wenn die Grünen hier stärker aufträten. Das Soziale entwickle sich deshalb zum "Hauptkampfpunkt", es gehe schlicht um "die Hoheit in diesem Bereich". Auch bei der Verkehrswende gebe es trotz einiger Fortschritte Differenzen, sagte ihr Kollege Roth. Bei der zeitlichen Verlängerung der Pop-Up-Radwege zum Beispiel hätten die Sozialdemokraten die Grünen ausgebremst. "Das wird nicht mehr in dieser Form passieren." Auch bei Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sei zu erkennen, dass Klimaschutz und Radverkehr nicht an erster Stelle stehen würden. Einig sei man sich in der Koalition aber trotz der desolaten Haushaltslage, dass man Wahlversprechen umsetzen werde. "Klimaschutz nach Kassenlage wird es mit uns nicht geben", sagte Roth.

Sichtlich stolz zeigte die Grünenspitze den Mitgliedern auch den ersten Referenten vor, den sie ins Amt gehoben haben. Dem parteilosen, eher dezenten Georg Dunkel wurde als eine Art Initiation gleich über den Bildschirm das grüne "Du" aufgedrückt. Nachdem der neue Mobilitätsreferent sich und seine Schwerpunkte, die sich mit den Vorstellungen der Grünen zur Verkehrswende weitgehend decken dürften, kurz vorgestellt hatte, fiel er bei der Verabschiedung in die ihm noch sichtlich näherliegende "Sie"-Ansprache zurück. Für Dunkel galt, was Fraktionschef Roth zuvor für die Rolle der Grünen als stärkste Kraft im politischen München festgestellt hatte. "Viele müssen sich daran noch gewöhnen - auch wir."

© SZ vom 07.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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