München:Gespräche statt Strafzettel

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Seit 22 Jahren ist Oberkommissar Armin Holmer der direkte Ansprechpartner bei kleinen und großen Problemen im Münchner Nordwesten. Er ist einer von 147 Kontaktbereichsbeamten der Münchner Polizei

Von Anita Naujokat

Armin Holmer beteuert mehrmals, dass wirklich nichts gestellt sei. Nicht das etwas merkwürdige Gespräch mit dem älteren Herrn im Park an der Hitlstraße. "Ah, gehn'S spazier'n?", redet der Holmer an und verwickelt ihn in ein Gespräch über Frauen in der Polizei, Überwachungsstrategien und dass er nach dem Olympia-Attentat beim dramatischen Ende in Fürstenfeldbruck dabei gewesen sein will. Ob Holmer ihm glaubt, dass er selbst Beamter gewesen sei? Er zögert kurz. Immerhin habe der Mann polizeiinterne Fachbegriffe verwendet. Nicht gestellt ist auch das mehrmalige Hupen, das von der Hitlstraße ertönt. Die ältere Dame, die dem Fahrzeug entsteigt, geht gezielt auf den Polizisten zu. Wer denn der Mann da gewesen sei, mit dem sich Holmer unterhalten habe, will sie wissen. Der stelle ihr seit geraumer Zeit nach, läute ständig an der Wohnungstür, suche ihre Nähe. Natürlich öffne sie nicht. "Sie machen das richtig", bestätigt ihr Holmer, "einfach ignorieren. Er sucht offenbar Anschluss, irgendwann wird er die Lust verlieren. Sollte er aber aufdringlicher werden, rufen Sie bitte die 110, dann schicken wir sofort eine Streife vorbei."

Holmers Tag beginnt um 4.20 Uhr. Um diese Zeit muss der 48-Jährige an seinem Wohnort nahe Landshut aufstehen, um rechtzeitig vor Schulbeginn an der Manzoschule zu sein; dort überwacht er zwei- bis dreimal pro Woche den Bring- und Parkverkehr. Der Oberkommissar ist einer von sieben sogenannten Kontaktbereichsbeamten der Polizeiinspektion 44 in Moosach. Seit 22 Jahren arbeitet er an dieser Dienststelle, 16 Jahre davon im Kontaktbereich. Kein Schreibtischjob - er ist Ansprechpartner auf der Straße, hält Verbindung zu Schulen, Institutionen, Betrieben, besucht Opfer von Verbrechen oder ermittelt für Behörden und Gerichte, ob sich Personen noch an ihrer Meldeadresse aufhalten. "In Landshut zu Hause, in Untermenzing verhaftet", schmunzelt Holmer.

In großen Gruppen laufen an diesem verregneten kalten Morgen die Kinder unter bunten Regenschirmen in die Manzoschule, auf den Schultern neonfarbene Rucksäcke. In der Straße teilen sich Autos, Busse und Radfahrer die schmalen Fahrbahnen. "Morgen, Herr Holmer", ruft ein Bub und wirft seinen Roller in das Gewirr der anderen, die schon zwischen den Fahrradständern lehnen und liegen. Eine Situation mit beträchtlichem Gefahrenpotenzial, weiß Armin Holmer.

Vor der Schule und auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist wegen der besseren Übersicht absolutes Halteverbot, doch das wird nicht eingehalten - meist von den Vätern und Müttern selbst. "Würden die Kinder da zwischen den Autos über die Straße laufen, sehen die Fahrer sie kaum", sagt Holmer. Wie bestellt hält auch schon ein Vater in der Verbotszone. "Das ist ganz schlecht", geht Holmer freundlich, aber bestimmt auf ihn zu, "Sie blockieren den Gehweg und stehen im absoluten Halteverbot." Er sei gleich wieder weg, rechtfertigt sich der Mann, während ein Mädchen aus dem Wagen klettert. Das Kind habe die Schultasche vergessen, deshalb sei man zu spät dran. Holmer lässt Gnade vor Recht ergehen, schließlich sei gerade ja kein anderes Kind unterwegs.

Viel Zeit nimmt sich der 48-Jährige, selbst Vater einer 17-jährigen Tochter, um den "Waldwichtln" die Polizei näherzubringen. Die Vorschulkinder sind an einem Bauwagen im Park hinter dem Hans-Sieber-Haus. "Ich bin ... - bin ich ein Feuerwehrmann?", fragt er in die Runde. "Nein!", ruft es im Chor. Arzt? Nein, auch das nehmen ihm die Kinder nicht ab. "Du bist Polizist, weil du die Mütze aufhast." Gespannt hören sie zu, als Holmer erklärt, warum die Polizei auch Hunde und Pferde einsetzt. Die Kinder wissen wiederum, warum sich eine Giraffe nicht für die Polizeiarbeit eignet: "Die bleibt im Park mit ihrem langen Hals im Baum hängen."

Mit den Größeren geht es dann zum Schulwegtraining, während die Jüngeren Holmer versichern, weiterhin in der Anlage nach einem verschollenen Rollator zu suchen. Die Gehhilfe war einer 77-Jährigen abhanden gekommen, als sie ihn an einem Gebüsch abgestellt hatte, um mit ihren Stöcken weiterzugehen. Holmer hofft, dass ihn Jugendliche mitgenommen und irgendwo hingeworfen haben. Er und sein Kollege Felix Ferstl, Chef der Kontaktbereichsbeamten der Polizeiinspektion 44, wollen wissen, wie es der alten Dame geht. "Oft ist so ein Erlebnis ein Schock für die Leute", sagt Holmer, der Diebstahl sei ein Eingriff ins Privatleben. Auch leide das Sicherheitsgefühl in der eigenen Umgebung: "Mit den Tätern verbringt man viel Zeit, aber man muss sich auch um die Opfer kümmern."

147 Kontaktbereichsbeamte gibt es laut Polizeiangaben in München. Diese Funktion wurde - zwei Jahre nachdem die Stadtpolizei im Oktober 1975 in der Landespolizei aufging - eingeführt, um in den größer werdenden Inspektionen den Kontakt zu den Bürgern auch weiterhin aufrechtzuerhalten. Der Bereich zeichnet sich dadurch aus, dass die Beamten nach Möglichkeit über Jahre hinweg ein festes Gebiet betreuen und so zu einem "vertrauten und bekannten Gesicht" für alle werden.

Die Ruhe selbst sind Holmer und sein Chef auch beim Rundgang im Wohnheim am Neubruch, in dem entlassene Straftäter und Obdachlose leben. Eigentlich sind sie gekommen, um wegen einer amtlichen Zustellung zu erfahren, ob der Empfänger dort noch wohnt. Doch jetzt müssen sie für die Sachbearbeiter zusätzlich Videobänder sicherstellen - sozusagen als Zuarbeit für eine Strafverfolgung. Ein Mann hatte mit einer nagelgespickten Latte von innen seine Zimmertür zertrümmert und dabei wartende Polizisten fast verletzt - angeblich wusste er nicht mehr, wie er die Tür anders hätte aufbekommen sollen.

Armin Holmer ist hauptsächlich mit dem Rad, den öffentlichen Verkehrsmitteln oder zu Fuß unterwegs; bei schlechtem Wetter setzt er sich aber lieber in den überdachten BMW-Roller vom Typ C 1. Denn zu seinem Kerngebiet gehören neben Untermenzing auch Krauss-Maffei, die Angerlohe und ein Teil von Hartmannshofen. Für Armin Holmer ist es eine schöne Variation des Polizeiberufes, auch wenn er ursprünglich Hundeführer in der Hundestaffel werden wollte. "Es hat etwas von einem früheren Dorfpolizisten", sagt er, "man ist ein Teil des Stadtviertels". Und das Spektrum ist groß: Holmer kommt mit Menschen jeglichen Alters in allen Lebenslagen zusammen und steht im Austausch mit allen Schlüsselpositionen des Viertels.

"Wie wär's mit einem Blick nach links?", wirft ihm ein Mann in Oberlehrerton im Vorbeigehen zu - Holmer verzichtet auf eine entsprechende Erwiderung. An der Korbinian-Beer-Straße steht ein Lkw auf dem Gehweg. Er müsse was liefern, aber es sei niemand zu Hause, sagt der verzweifelte Fahrer: "Was wuist da macha?" Holmer gibt ihm nach einem prüfenden Blick auf Straße und Bürgersteig zehn Minuten: "Man kann durch ein Gespräch oft mehr erreichen als durch einen Strafzettel." Kein Pardon kennt er allerdings, wenn wegen Rücksichtslosigkeit Schwächere gefährdet werden. Der Paketzusteller, der gegenüber Maria Trost die abgesenkte Bordsteinkante komplett blockiert, kriegt sein Knöllchen. Auch wenn er nicht gewusst haben will, dass in den kirchlichen Kindergärten auch behinderte Kinder sind.

Viele Kilometer hat Armin Holmer in den 16 Jahren mittlerweile zurückgelegt - meistens zu Fuß, ein Dienstfahrrad hat er schon zerschlissen. Aber jeder Meter war es für ihn wert.

© SZ vom 19.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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