Munitionsfund in Freimann:Wer soll das bezahlen?

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2017 wurde das Munitionsdepot im Garten von Melitta Meinberger entdeckt. Bis heute blickt die Seniorin auf eine Schotterfläche vor ihrem Haus am Freimanner Zwergackerweg, weil Kostenfragen ungeklärt sind. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Vor mehr als drei Jahren entdeckten Bauarbeiter im Garten von Melitta Meinberger ein Munitionsdepot aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Bergung gestaltete sich schwierig - und teuer. Nun will die Stadt rund 45 000 Euro von ihr haben.

Von Dominik Hutter und Stefan Mühleisen

In der Freimanner Siedlung mag Ruhe eingekehrt sein, seit all die Sanitäter, Polizisten, Kampfmittelräumer abgezogen sind. Bei der betroffenen Familie in dem Haus am Zwergackerweg sind die Sorgen nicht verschwunden, im Gegenteil: Die Gemütslage von Melitta Meinberger klingt am Telefon nicht minder aufgewühlt als im März 2017. Auch die Worte sind nahezu die gleichen. "Wenn ich das alles selber finanzieren muss, bin ich pleite und muss noch einen Kredit aufnehmen", sagt die 75-Jährige. Zudem ist da die Ungewissheit, ob nicht doch noch eine Rückforderung der Stadtkasse ins Haus steht. "Vielleicht ist das gerade die Ruhe vor dem Sturm, wir wissen es nicht", sagt Meinberger.

Auch mehr als drei Jahre nach der spektakulären Munitions-Bergung hat die Freimannerin keine Informationen, auf welchem finanziellen Schaden sie wohl sitzen bleiben wird. Noch immer blicken sie und ihre Familie tagtäglich auf die Schotterwüste, die einmal ihr Garten war, auf die Überreste ihrer Terrasse, den teils abgebrochenen Balkon. Es sind die Kollateralschäden einer aufwendigen Räumaktion: Mehr als zehn Tonnen explosive Munition und Sprengkörper aus dem Zweiten Weltkrieg waren 2017 in Meinbergers Garten gefunden worden. Über Wochen wurde das Haus weiträumig abgesperrt, 200 Nachbarn in Hotels ausquartiert. Die Bergung gestaltete sich schwierig - und teuer. Dabei erfuhr Meinberger, dass sie bei der ganzen Sache ganz schön in die Bredouille gerät.

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Denn die Rentnerin musste damals zur Kenntnis nehmen, dass sie als "Zustandsstörerin" gilt, ein Rechtsbegriff, der in solchen Fällen besagt: Als Grundstückseigentümerin "stört" sie mit den verbuddelten Bomben die öffentliche Ordnung - und darf in die Pflicht genommen werden, die Bergung aus dem Boden zu bezahlen. Abtransport und Beseitigung übernimmt die öffentliche Hand. Allerdings war allein das Herankommen an die gefährlichen Altlasten sehr diffizil, das Fundament des Hauses musste mit Stahlträgern abgestützt werden. In einer Einschätzung des Kreisverwaltungsreferats hieß es, dass die anteiligen Kosten aus der Aktion wohl den Wert des Hauses übersteigen. Also Haus und Hof verkaufen plus Schulden machen, nur um uralte Bomben auszubuddeln? Unzumutbar, entschied der Stadtrat - und ging mit 1,7 Millionen Euro in Vorleistung.

Vorleistung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht nennt sich dieser Vorgang - eine Beteiligung der betroffenen Grundstückseigentümer, zu denen auch die direkten Nachbarn an der Oberen Hausbreite gehören, war also durchaus vorgesehen. Das Gros der Summe, 1,15 Millionen Euro, hat der Bund inzwischen erstattet. Der Stadtrat hat sich bereit erklärt, knapp 400 000 Euro für die Evakuierung und den Feuerwehreinsatz zu übernehmen. Bleiben 170 000 Euro, die theoretisch noch auf die "Zustandsstörer" umgelegt werden können. Am Dienstag wird das Thema in nicht-öffentlicher Sitzung im Kreisverwaltungsausschuss des Stadtrats behandelt. Stimmen die Stadträte dem Vorschlag von Kreisverwaltungsreferent Thomas Böhle zu, muss die Eigentümerin des Hauses am Zwergackerweg rund 45 000 Euro an die Stadt zurückzahlen. Und die Kosten für die Wiederherstellung des eigenen Gartens selbst tragen.

Diese Summe entspricht in etwa den Aufwendungen der Nachbarn an der Oberen Hausbreite, die auf eigene Kosten bereits 2012 von einer Fachfirma Munition auf ihrem Grundstück beseitigen ließen. Und danach, mit einem entsprechenden "Attest" der Stadt in der Hand, davon ausgehen konnten, dass das Problem nun erledigt sei. Was dann bekanntlich nicht stimmte. Den Beitrag dieser Hauseigentümer hält die Stadt mit der damaligen Summe jedoch für erbracht - und will deshalb keine weiteren Nachforderungen stellen.

Am Zwergackerweg sehe das anders aus, findet das Kreisverwaltungsreferat (KVR) - schon um der Gleichbehandlung willen. Denn den dortigen Eigentümern, die das Haus geerbt haben, hätte von ihren Eltern her bekannt sein müssen, dass Munition im Boden liegt. Die Behörde weiß aus Erzählungen älterer Anwohner, dass die Existenz des mit tonnenweise Munition gefüllten Löschwasserbeckens den Freimannern seit Jahrzehnten bewusst gewesen sei.

Als dann aber mit der ordnungsgemäßen "Entmunitionierung" auf dem für Neubauten vorgesehenen Grundstück an der Oberen Hausbreite begonnen wurde, habe die Eigentümerin am Zwergackerweg trotz eines 2013 erlassenen behördlichen Bescheids nicht etwa eine Fachfirma für ihr Grundstück beauftragt, sondern erst einmal ein Verwaltungsgerichtsverfahren gegen die Stadt angestrengt. Und so die Kosten ganz erheblich in die Höhe getrieben, so das Kreisverwaltungsreferat. Denn es wäre viel einfacher und damit preisgünstiger gewesen, die gesamte Munition wegzuschaffen, so lange die Neubauten an der Oberen Hausbreite noch nicht fertig waren. Die Verzögerung führte laut KVR dazu, dass der Bescheid erst 2016 rechtskräftig wurde. Bis dahin stand das Nachbargrundstück an der Oberen Hausbreite nicht mehr als Zufahrt zum Löschwasserbecken am Zwergackerweg zur Verfügung, und die dortigen Neubauten mussten wegen der Aushubarbeiten am Zwergackerweg aufwendig abgestützt werden.

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Einen Beitrag Meinbergers vergleichbar den 2012 angefallenen Entsorgungskosten der Nachbarn hält die Verwaltung daher auf jeden Fall für fair. Zumal man auch keinen Präzedenzfall schaffen wolle, prinzipiell sei ja eine Beteiligung des (an der Situation eigentlich unschuldigen) Eigentümers Rechtslage. Eine exakte Umlegung aller noch ausstehenden Kosten auf die Eigentümer der beiden betroffenen Grundstücke sei im Nachhinein nicht mehr möglich. Denn aus den Rechnungen der Firma gehe nicht hervor, wie viel Munition auf welchem Grundstück gefunden wurde und dann geborgen werden musste.

Noch weiß Meinberger nicht, wie es weitergeht - der Stadtrat tagt unter Ausschluss der Öffentlichkeit, nähere Informationen liegen der Freimannerin nicht vor. Allerdings ist eine mögliche Rückforderung vonseiten der Stadt nur ein Teil des Sorgenpakets, welches die Familie Meinberger beschäftigt. Denn der angerichtete Flurschaden durch die Räumaktion beläuft sich nach Angaben ihres Anwalts Florian Englert auf bis zu 100 000 Euro. Die Stadt ist nicht verpflichtet, das zu bezahlen und hat es auch nicht vor - und ob der Bund es tut, will Englert, der über Kampfmittel-Recht promoviert hat, nun in einer Zivilklage klären lassen. Sie soll auch eine Musterklage sein für andere Betroffene. Englerts Rechtsauffassung dabei: Der Bund sei in solchen Fällen als "Handlungsstörer" zu werten, da die Bundesrepublik als Nachfolgerin des Deutschen Reiches Eigentümerin der Kriegs-Altlasten sei - und als solche auch für die Folgekosten der Beseitigung verantwortlich zeichne. Einstweilen bleibt Meinbergers Garten eine "Kieshalde", wie sie es ausdrückt. "Es ist jetzt der vierte Sommer", sagt sie.

© SZ vom 15.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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