Freimann:Tanz ums blecherne Kalb

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Die Oldtimer wird man auch von den Zimmern des Ameron-Hotels aus betrachten können. Simulation: Motorworld Trademark Management AG (Foto: N/A)

Nach 25 Jahren Leerstand will der Investor die denkmalgeschützte Lokhalle in Freimann im November wieder eröffnen - als "Motorworld", einer gigantischen Erlebniswelt rund um Oldtimer und Sportwagen

Von Stefan Mühleisen, Freimann

Viele mögen schlicht von Autos sprechen, Andreas Dünkel findet die Bezeichnung unangemessen. "Wir wollen vom Begriff Auto weg, wir haben hier Kulturgüter stehen", sagt er und streicht mit den Fingern sanft über den Konferenztisch in diesem alten Gebäude, das einst die Kantine auf dem Gelände des Bundesbahn-Ausbesserungswerks in Freimann war. Eine zärtliche Geste ist das, als streichle er über glänzenden Lack; vielleicht liebkost er auch unbewusst dieses Mammutprojekt "Motorworld" gleich nebenan in der gigantischen Lokhalle, in das er mehr als 100 Millionen Euro investiert.

Es würde passen, denn der Chef der schwäbischen Unternehmensgruppe Dünkel Holding spricht gern und leidenschaftlich über historische Karossen, seine Familie hat eine veritable Oldtimer-Sammlung. Und das Unternehmen ist bekannt dafür, diese Leidenschaft mit einer erfolgreichen Geschäftsidee zu verbinden: Dünkel errichtet in ganz Deutschland mit der Tochtergesellschaft Activ-Group quasi Auto-Immobilien namens "Motorworld".

Es sind Erlebnis-Habitate für besondere Exemplare der Automobilgeschichte sowie exklusive Supersportwagen. Und wie schon der Begriff "Auto" dem Investor zu profan erscheint, sind diese Komplexe alles andere als gewöhnliche Allerwelts-Showrooms: Das Unternehmen verwandelt mit erheblichem Aufwand denkmalgeschützte Industriegebäude zu publikumswirksamen Eventensembles für historischen Gefährte.

So läuft das auch in Freimann auf diesem 20 Hektar großen Gelände an der Lilienthalallee, das lange als Niemandsland galt - und in ein paar Monaten nach Dünkels Vorstellung ein Anziehungspunkt für jedermann sein soll. Seit gut zehn Jahren wird geplant, seit gut vier Jahren gebaut, die Investitionssumme immer wieder nach oben korrigiert. Nun biegt das komplexe Mammutprojekt auf die Zielgerade ein. "Sie werden hier etwas sehen, was Sie nirgendwo anders sehen. Wir rechnen mit gut einer Million Besucher pro Jahr", sagt der Firmenchef.

Ausmaße einer Kathedrale: Zentraler Blickfang in dem alten Industriebauwerk sollen 112 übereinandergestapelte Glasboxen sein. (Foto: Robert Haas)

Soll heißen: Die Leute bekommen ein Spektakel in einem spektakulären Gebäude geboten - bei freiem Eintritt. Allein die Ausmaße sind beachtlich: 22 000 Quadratmeter Grundfläche, 185 Meter lang, 90 Meter breit. In 18 Metern Höhe lässt ein Sheddach mit Glasoberlichtfenstern Tageslicht in die größte Stahltragwerkshalle Süddeutschlands, in der einst rund 3000 Arbeiter Lokomotiven reparierten. Erschlossen hatte das Gelände 1916 die Kruppschen Geschützwerke; die Reichsbahn übernahm es in den Zwanzigerjahren als Werksgelände. Größtes Überbleibsel ist die Lokomotiven-Richthalle mit der Bezeichnung "Halle 24", die nun seit 25 Jahren leer steht - und deren Innenleben derzeit komplett umgekrempelt wird zu einem Mikrokosmos der Karossen.

Wenn alles fertig ist, sollen 6000 Besucher auf 35 000 Quadratmetern Nutzfläche folgendes in diesem mächtigen Industrie-Relikt vorfinden: Zentraler Blickfang sind 112 auf vier Ebenen in der Hallenmitte übereinandergestapelte Glasboxen, in denen Oldtimer-Besitzer für knapp 300 Euro Monatsmiete ihre blank polierten Kulturgüter stellen dürfen. Diese können von mehreren Ebenen aus betrachtet werden: von den 156 Zimmern des ins Bauwerk integrierten Vier-Sterne-Hotels der Ameron-Kette zum Beispiel, in denen man vereinzelt mit seinem eigenen Wagen oder Motorrad wird übernachten können. Gegenüber, an der Nordseite, wird auf erhöhter Etage ein weitläufiger Veranstaltungs- und Tagungsbereich mit einem Saal für 2400 Personen gestaltet; im Erdgeschoss soll es rundherum allerlei Geschäfte, Werkstätten, Gastrobetriebe und auch ein Kino geben, dazu Showrooms für Fahrzeuge exklusiver Hersteller. All dies wird im "Haus-im-Haus-Prinzip" in diesen riesigen Klotz hineingebaut, ummantelt von der denkmalgeschützten Hülle. "Die Halle wird ein Erlebnis, das macht man nur einmal im Leben", sagt Peter Kupferschmidt, für den dieses Projekt schon jetzt einmaliges Highlight ist.

Vor dem Treffen mit Andreas Dünkel in dem Konferenzraum führt der Münchner Architekt an diesem Vormittag durch die Baustelle in der Halle, wo tagtäglich gut 150 Arbeiter werkeln. Und so wie beim Firmenchef ist auch bei Kupferschmidt ein Entzücken an diesem Projekt zu bemerken, nicht so sehr der Karossen, sondern der architektonischen Besonderheiten wegen. Keiner der Einbauten sei mit der Hallenkonstruktion verbunden, sagt er, während Gabelstapler wie kleine Käfer in einer Kathedrale herumsausen. Er deutet auf die Gerippe der Glasboxen, links die unverputzten Wände des Indoor-Hotelriegels, rechts der Veranstaltungskomplex, der über meterdicken Stahlträgern thront. Dazwischen viel Freiraum, die "Luftbrandwände", wie Kupferschmidt es nennt. Dadurch werde die Halle in weit auseinanderliegende - und genehmigungsfähige - Bauabschnitte eingeteilt. Das sei Neuland für die Behörden, auch für die Branddirektion gewesen, denn es gebe kein Vergleichsobjekt. Und Brandmauern einzuziehen, sei keine Option gewesen, weder für die Denkmalschützer noch für Dünkel.

Firmenchef mit Faible für Oldtimer: Andreas Dünkel. (Foto: Robert Haas)

Es war also ein zäher Wiederbelebungsprozess, passend zum jahrzehntelangen Hin und Her, was wohl mit dem riesigen Klotz geschen soll. Denn als die Bundesbahn das Gelände 1995 aufgab, mutierte das riesige Bauwerk zur Ruine - und zum kaum zu stemmenden Riesenklotz für Investoren. Bürgerschaft und Lokalpolitiker hatten vor 20 Jahren in der groß angelegten Bürgerwerkstatt "Perspektive Freimann" den Plan entwickelt, es zum Stadtteilzentrum mit Schwimmbad, Kino, Cafés umzubauen, als Nukleus eines zu "Neufreimann" umgewandelten Gebiets. Doch daraus wurde nichts, auch nicht aus den vielen Ideen für die Alternativnutzung: Modezentrum, Volksmusik-Tempel oder Markthalle - alles scheiterte am enormen Umbau-Aufwand, den erst Dünkel und die Bauhaus-Kette zu stemmen bereit waren: Letztere belegt das nördliche Hallensegment mit ebenfalls 22 000 Quadratmeter Fläche. Wie zu vernehmen ist, war die Stadtspitze anfangs skeptisch gegenüber der Oldtimer-Welt eingestellt. Doch letztlich dürfte Erleichterung herrschen, dass überhaupt jemand bereit ist, einen Haufen Geld in den massiven Kasten zu stecken, wo noch dazu gut 1500 Auto-Stellplätze in einem Parkhaus, einer Tiefgarage sowie auf der Freifläche entstehen.

Denn die Vorgabe lautete, dass die Reanimierung des Denkmals so zu gestalten ist, dass der historische Gesamteindruck als Industriehalle nicht beeinträchtigt wird und so viele Überreste wie möglich sichtbar bleiben. Etwa die alten Kranbahnen mit einer Tragkraft von 60 Tonnen, an denen die einzelnen Loks hingen; die monströsen Haken ("Katzen") einer Arbeitssektion, einst in schwindelnder Höhe angebracht, können die Besucher bald aus der Nähe betrachten. Ebenfalls hoch oben ist die neue "Skybar" unters Dachtragwerk eingepasst: ein exklusives Lokal mit gläsernen Aufzug, das wie eine Gondel auf zwei Stahlträgern schwebt.

Der erste Oldtimer parkt schon in einer Glasbox. (Foto: Robert Haas)

An den anderen "Motorworld"-Standorten, etwa in Stuttgart und Böblingen, geht dieses Konzept auf. Am Konferenztisch berichtet Andreas Dünkel in entspannter Haltung von stetig steigenden Besucherzahlen. Auch "nicht so autoaffine Gäste " kämen regelmäßig, oft nur, um eine Pizza zu essen und das Ambiente zu genießen. "Das Konzept ist langfristig angelegt", sagt er - und meint damit nicht nur die bundesweit steigenden Oldtimer-Zulassungszahlen, ein wachsendes Marktsegment. Es geht auch um die Nebenschauplätze: Die Dünkel-Gruppe hat auf dem Gelände auch Zenith, Kesselhaus und Kohlebunker gekauft, Veranstaltungshallen mit Kapazitäten von 7500, 1800 und 450 Besuchern. Das eröffnet viele Möglichkeiten für Konzerte, Messen und Events aller Art - auch und gerade in Kooperation mit dem benachbarten Messecenter MOC, wie Dünkel bestätigt.

Im November dieses Jahres soll alles fertig sein. Andreas Dünkel würde gerne eine große Eröffnungsfeier steigen lassen, doch womöglich muss die wegen der dann immer noch geltenden Corona-Beschränkungen verschoben werden. Er rechnet übrigens mit einer ganzen Menge autoaffiner Gäste und erklärt auch warum: "In München sind mehr Porsches zugelassen als in ganz Österreich."

© SZ vom 13.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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