"Das Auge der Schaubühne" hat der Tagesspiegel sie unlängst genannt. Das war aus Anlass der Walz-Ausstellung im Berliner Museum für Fotografie. Und weil Ruth Walz der Schaubühne fast dreißig Jahre lang eng verbunden war und bis heute in der Hauptstadt lebt, ist Berlin auch der natürliche Ort, um das Lebenswerk der 1941 geborenen Fotografin zu würdigen. Seit den Neunzigerjahren bis heute gehören die Bilder der inzwischen über Achtzigjährigen außerdem fest zum Salzburger Festspielsommer. Die zweite Walz-Einzelausstellung wurde gerade erst abgebaut. Dass nun auch das Deutsche Theatermuseum in München nachgezogen hat, verweist auf die überregionale Bedeutung dieser Fotografin.
Alleinstellungsmerkmal der von Hanns Zischler und Thomas Ladenburger in Zusammenarbeit mit Walz selbst kuratierten Theater-Bilder-Hommage "Doppelbelichtung": Sie nimmt auch die Arbeit des Bühnenbildners Karl-Ernst Herrmann und der Kostümbildnerin Moidele Bickel in den Sucher, die während der goldenen Schaubühnen-Jahre zwischen 1970 und 1989 gemeinsam an rund 30 Produktionen beteiligt waren.
Außerdem flankiert "Doppelbelichtung" Fotos von Walz mit denen ihrer Kollegin Abisag Tüllmann. Deborah Warners Salzburger Inszenierung von Shakespeares "Coriolan" von 1993 haben sie beide fotografiert. Tüllmann eine Raumtotale, Walz eine Nahaufnahme. In der Ausstellung hängen sie einander gegenüber wie zum Zeichen, dass da zwei dieselbe Leidenschaft teilen, aber konträre Perspektiven einnehmen. Gelegentlich teilten sich die beiden Frauen eine Dunkelkammer und gerieten sich darin freundschaftlich in die Haare. In der Ausstellung gibt es eine begehbare Nachbildung dieser Kammer, mit vier statt der üblichen drei Entwicklerschalen, über denen Diaprojektoren hängen.
Rasch wechselnde Dias zeigen wichtige Menschen der westdeutschen Theatergeschichte der Siebziger- und Achtzigerjahre: Peter Stein natürlich, der die Berliner Schaubühne von 1970 an leitete, Luc Bondy und Klaus Michael Grüber, Schauspieler und Schauspielerinnen wie Edith Clever, Therese Giehse oder Bruno Ganz, mit dem Walz jahrzehntelang liiert war. Die Dias zeigen vorwiegend Hinterbühnen- und Proben-Situationen - weil die "Theaterfotoregisseurin" (Gerhard Stadelmaier) Ruth Walz jedes Theaterereignis stets von Beginn an begleitete.
Jenseits der Dunkelkammer gibt es viele Beweise dafür, dass Theaterfotografen die Deutungshoheit darüber haben, was von der Flüchtigkeit der Bühne im kollektiven Gedächtnis überdauert. Besonders viel Platz gibt es da für Robert Wilsons Inszenierung von Virginia Woolfs "Orlando", die der US-Regisseur 1989 mit Jutta Lampe erarbeitet und 1993 eins zu eins mit Isabelle Huppert nachgestellt hat. Die frühere Arbeit hat Walz in architektonisch strenge Bilder gebannt, die die Zartheit des menschlichen Körpers betonen. Die spätere Aufführung erscheint bei Abisag Tüllmann in weicherem Licht.
Über die besonderen Herausforderungen der Theaterfotografie wie über einzelne Inszenierungen geben kurze Texte Auskunft - oft mit anschaulichen Zitaten von Regisseuren oder Kritikern. So findet jeder seinen Zugang zu den vielgestaltigen Exponaten. Hier ein schwarzhumoriger Brief von Tüllmann, dort hauchzart aquarellierte Zeichnungen von Moidele Bickel, unweit davon eine Wand mit Fotos von Karl-Ernst Herrmann in nahezu allen Lebensaltern. Und auch die im Zentrum der Ausstellung stehende Schaubühnen-Zeit stellt sich alles andere als homogen dar. Steins "Orestie" kann man auf einigen ihrer Reisen begleiten; die Entwicklung seines detailverliebten magischen Realismus teilweise nachvollziehen. Toll ist, wie Corinna Kirchhoff in einem Audio über die Funktion eines Brummkreisels in Steins ikonischer "Drei Schwestern"-Inszenierung Auskunft gibt.
Nah an die Gegenwart rückt der letzte Raum voller Fotos von den unterschiedlichsten "Macbeth"-Inszenierungen von der bombastischen Massenszene in der Pariser Oper bis hin zu Johan Simons aktueller, auf drei Schauspieler komprimierter Bochumer Version. Hier wird noch einmal klar, welche ästhetische und historische Spanne hier zur Begutachtung und zur Debatte steht. Ein gutes Stück Theatergeschichte.
"Doppelbelichtung", bis 4. Februar 2024 im Deutschen Theatermuseum München, Galeriestraße