München:Die zwei Enden einer Leine

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"Mensch und Hund in der Messestadt - Es ist nicht alles Hund, was bellt" heißt ein Workshop des Kulturvereins Echo. Die Tiere, ihre Halter und ängstliche Spaziergänger lernen von Profis den friedfertigen Umgang miteinander

Von Elisa Holz

So sieht also der Naturzustand aus. Weiße Schäfchenwolken ziehen über den knallblauen Himmel, der Wind dreht das frische Grün der Blätter und lässt die wilden Wiesen im Messepark wogen wie ein Meer. Das klingt jetzt ganz schön. Aber der Naturzustand, wie ihn sich beispielsweise der englische Philosoph Thomas Hobbes vorgestellt hatte, war alles andere als das. Im Naturzustand gibt es keine Regeln. Es gilt das Recht des Stärkeren. In diesem theoretischen Gedankengebilde tritt die menschliche Natur in Reinform zu Tage: selbstbezogen und immer auf den eigenen Vorteil bedacht. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Oder doch eher ein Hund - ein im Grunde liebenswertes Geschöpf, das seinen Instinkten folgt und dabei naturgemäß Rücksicht auf sein Umfeld nimmt?

Sechs Damen mit ihren Hunden haben sich an diesem Frühsommersamstag versammelt, um an sich und mit ihren Tieren zu arbeiten. Sie wollen sich nicht mit den Zuständen im Messepark abfinden, der manchmal mehr Kampfarena denn Grünfläche ist. Hundebesitzer schimpfen auf Rambo-Radler, Radler gehen unachtsamen Hundebesitzern an die Gurgel, Hunde rennen auf Kinder zu, Mütter laufen Amok. In den vergangenen Monaten wurden wieder ein paar Giftköder gefunden oder von Hunden gefressen. Es macht keinen Spaß, wenn der Spaziergang ein Spießrutenlauf ist.

Es geht doch: Es dauerte nicht lange, da hatte Mathilda ihre Angst besiegt und ging mit "Enrico" spazieren (Foto: Catherina Hess)

"Theoretisch herrscht hier Gleichberechtigung, es gilt das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme", sagt Stefan Tyroller. Aber eben nur theoretisch. Deshalb hat Tyroller für den Kulturverein Echo in der Messestadt eine Workshopreihe mit dem Titel "Mensch und Hund in der Messestadt - Es ist nicht alles Hund, was bellt" auf die Beine gestellt. Tyroller kennt sich aus mit Hunden. Er trainiert die Tiere für Rettungseinsätze mit der Feuerwehr. Eigentlich ist der Workshop nicht nur für Hundebesitzer gedacht, schließlich gehören immer zwei dazu.

Diesmal aber sind nur die sechsjährige Mathilda Birnkraut und ihre Mutter mit von der Partie. Mathilda hat große Angst vor Hunden. Bevor es hinaus geht in die Prärie des Messeparks, versammelt sich die kleine Gruppe vor der Grünwerkstatt. Die Hunde kläffen, wedeln, ziehen an den Leinen. Sie freuen sich über das Wiedersehen, die kleine Mathilda versteckt sich vor Angst zitternd hinter ihrer Mutter. Aber nach Hause will sie trotzdem nicht. Sie wird jetzt bald alleine zur Schule gehen und wird dabei dann sehr wahrscheinlich alle Naselang auf einen Hund treffen. Schließlich sind Vierbeiner voll im Trend - auch wenn einigen Hundebesitzern nicht klar zu sein scheint, dass ein Hund viel Arbeit bedeutet und keinesfalls ein Selbstläufer ist.

Stefan Tyroller ist ein erfahrener Hundeprofi. (Foto: Catherina Hess)

Apropos laufen. Die kleine Truppe wird an diesem Vormittag nicht weit kommen. Der Workshop mit vielen Übungen und noch mehr Theorie bewegt sich mehr oder weniger im Schatten eines Baumes. Dort kommt Tyroller dann auch gleich auf das Grundproblem zu sprechen: Bindung. Hunde, die sich ungebunden fühlen, leisten keinen Gehorsam. Der Hundebesitzer kann sich dann die Lunge aus dem Hals schreien, es nutzt nichts. Die grundlegende Frage des Workshops formuliert der Hundetrainer deshalb so: "Wie kann ich attraktiver für den Hund sein als ein Karnickel, das am Horizont vorbeihoppelt?" Da schauen alle in der Runde etwas betreten vom Trainer zum Hund und auf den Boden. Könnte schwierig werden. Aus Sicht eines Hundes ist die Attraktivität eines Karnickels nur schwer zu überbieten. Aber mit viel Geduld, Wiener Würstchen und lustigen Spielchen mit dem Gummiknochen lässt sich die eigene Anziehungskraft auf jeden Fall stärken, erklärt Tyroller. Dabei setzt er weniger auf Strafe als auf Belohnung in der "Unterordnungsarbeit".

Da kläfft ein ungeduldiger Struwwelhund namens Bobby plötzlich los und will sich von der Leine machen. So geht das nicht. Deshalb muss Bobby nun am Rande der Gruppe eine Strafrunde drehen. "Da passiert jetzt gerade ganz viel in Bobbys Birne", weiß Tyroller. Das hält das Tier aber nicht davon ab, gleich noch zweimal aus der Reihe zu tanzen. Hundeerziehung ist eben ein Langzeitprojekt. Die kleine Mathilda hingegen macht große Fortschritte. Sie nähert sich dem riesengroßen, aber kreuzbraven Enrico auf Nasenlänge. Man hält fast den Atem an, als sie sich endlich traut, den Hund über das warme Fell zu streicheln. Am Ende führt sie ihn dann an der Leine umher und sieht dabei überglücklich aus. Schon allein deswegen hat sich der Samstagvormittag unter Hunden schon gelohnt.

Während Hunde, Frauchen, Kind und Hundetrainer noch mit sich selbst beschäftigt sind, nähern sich zwei großgebaute Männer mit wiegenden Schritten der Gruppe. Plötzlich riecht es nicht mehr nach Sommertag, sondern irgendwie nach Ärger. Man fragt sich, wer zuerst bellt. Hund oder Mann? Zumindest für dieses Mal halten aber beide Seiten still - und jeder geht seines Weges. Das ist ja zumindest schon mal ein Anfang.

Infos und Anmeldung zum Workshop am Freitag, 30. Juni, von 16.30 bis 18.30 Uhr unter Telefon 94 304 845 oder per E-Mail an office@echo-ev.de.

© SZ vom 16.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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