Ermordung der Sinti und Roma:Wenn ein SA-Mann über die Wiedergutmachung befindet

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Ein ökumenisches Gebet zum Gedenken an die Deportation der Münchner Sinti und Roma wurde am Platz der Opfer des Nationalsozialismus gesprochen. (Foto: Sachelle Babbar/imago)

Am 13. März 1943 wurden 141 Sinti und Roma von München aus ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Eine Schlüsselrolle dabei spielte die Polizei - die auch nach der NS-Zeit weiter zur Stigmatisierung beitrug.

Von René Hofmann

Zum Beispiel Rosa Mettbach. Sie wurde 1944 von München ins KZ Auschwitz deportiert. Auf dem Transport wurde sie von einem Mann bewacht, der der Sturmabteilung (SA) der Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) angehörte, Beamter war und seinen Dienst in der sogenannten "Zigeunerleitstelle" im Polizeirevier in der Ettstraße verrichtete: August Wutz.

Rosa Mettbach erlebte in mehreren Nazi-Lagern anschließend grausame Qualen, doch sie überlebte die Verschleppung - als einzige ihrer großen Familie. 1947 stellte sie in München einen Antrag auf Wiedergutmachung. Dieser wurde 1954 abgelehnt. Als sie dagegen klagte, erschien vor Gericht ein vom bayerischen Landesentschädigungsamt bestellter Gutachter, der aussagte, Mettbach sei nicht aus rassistischen Gründen ins Lager gebracht worden, sondern "wegen Wahrsagens und asozialen Verhaltens": So stand es dann auch im Urteil des Gerichts, mit dem dieses eine Entschädigung "für Schaden an Körper und Gesundheit und Schaden an wirtschaftlichen Fortkommen" ablehnte, sogar eine Haftentschädigung wurde verweigert. Der Name des Gutachters: August Wutz, damals wieder Beamter beim Landeskriminalamt.

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Eine Geschichte, die viel Geschichte erzählt. Romani Rose hat diese vorgetragen, am Montagabend, im Festsaal des Alten Rathauses, beim Festakt, mit dem der Verschleppung von 141 Menschen vor genau 80 Jahren gedacht wurde. Am 13. März 1943 waren von München aus 141 Angehörige der Sinti und Roma ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau gebracht worden: Frauen, Männer und viele Kinder. Die jüngste der Münchner Deportierten war sechs Monate alt. "Wir können nicht ansatzweise das maßlose Leid von Müttern und Vätern erahnen, die ja selbst dem Tod nahe waren und trotzdem hilflos mit anschauen mussten, wie die eigenen Kinder verhungert sind", sagte Kulturbürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) bei dem Festakt. Weil ihre Unterarme zu dünn waren, bekamen die Babys die Häftlingsnummer im KZ auf den Oberschenkel tätowiert. Sie begannen mit einem Z. Z für "Zigeuner". Mit diesem Stigma wurden die Angehörigen der Minderheit ausgegrenzt.

Wie viele von ihnen in den Tötungsfabriken umkamen, lässt sich bis heute nur näherungsweise bestimmen: der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma geht von bis zu 500 000 in ganz Europa aus. Der Vernichtungswahn der Nazis war bürokratisch durchorganisiert - die Abfahrts- und Ankunftszeiten der KZ-Züge, in denen die Menschen über Tage ohne Essen und Trinken in überfüllten Güterwaggons zusammengepfercht waren, wurden auf die Minute genau festgelegt: "Ankunft Auschwitz 15:01." Und die Qualen waren zügellos, wie Zeitzeugendokumente erlebbar machten, die Kulturreferent Anton Biebl, FC-Bayern-Präsident Herbert Hainer, Schriftstellerin Lena Gorelik, Regisseurin Caroline Link und die Opfer-Angehörigen Hugo und Marco Höllenreiner unter Moderation von Mirjam Zadoff, der Leiterin des NS-Dokumentationszentrums, vortrugen.

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Es war nicht nur Massenmord. Es war Völkermord. Und auch die Überlebenden blieben gezeichnet. Von Misshandlungen, von Experimenten, von Sterilisationen, die selbst an Kindern vollzogen wurden. Und mit Kriegsende löste sich das Stigma keineswegs auf.

Was an der Verfolgung der Sinti und Roma besonders war: Die Polizei war in besonderem Maße involviert. Auch in München. Schon 1899 war hier eine sogenannte "Zigeunerzentrale" eingerichtet worden, die landesweit bald als wegweisend galt. Am 8. März 1943 marschierten die Beamten nach einem Erlass von Innenminister Heinrich Himmler dann wie anderswo im Land auch los, um die Häuser der Sinti und Roma zu umstellen und die Angehörigen dieser Bevölkerungsgruppen in Gefängnisse zu bringen. In München war dies das Gefängnis der Polizei in der Ettstraße. Fünf Tage später rollten die Deportationszüge vom Güterbahnhof los.

Nach dem Krieg gab es dann schnell wieder "Landfahrerzentralen" und selbst nach deren Auflösung in den 1960er-Jahren noch einige Zeit "Sondererfassungen". Dass Sinti und Roma aus rassischen Gründen, wie es im Nazi-Jargon hieß, getötet worden waren, rückte so in den Hintergrund, das Motiv der angeblichen "Kriminalprävention" setzte sich fest. "Die Täter - die Mörder und Helfershelfer - haben mit dem Narrativ die Sicht auf Sinti und Roma bis zum heutigen Tag bestimmt", sagte Mehmet Daimagüler, der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antiziganismus, am Montag dazu im Alten Rathaus - und er klang dabei so wütend, wie es dem Anlass angemessen war. Dass Münchens Polizeipräsident Thomas Hampel anwesend war, fand allerdings mehr als einmal lobend Erwähnung.

Am Platz der Opfer des Nationalsozialismus waren zuvor die Namen und Lebensdaten der 141 Verschleppten verlesen worden, anschließend wurden diese drei Stunden lang an die Fassade des NS-Dokumentationszentrums projiziert. Sichtbare Mahnung, dass Gedenken mit Erinnern beginnt, aber nicht endet.

Rosa Mettbach stritt trotz der Erniedrigung damals weiter für eine Entschädigung für ihre schicksalhafte Lagerzeit. 1967 wurden ihr für diese 1500 DM zugesprochen, rund 750 Euro. Sie zog vor den Bundesgerichtshof. Aber erst 1987 wurde ihr eine Nachzahlung von 3500 DM zuteil und eine monatliche Überweisung von 515 DM. Das war seinerzeit die Mindestentschädigungsrente.

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