München:Davongehüpft

Lesezeit: 1 min

Die weißen Federn sind ihr Erkennungszeichen: die entlaufene Krähe. (Foto: Privat)

Eine Familie päppelt eine Krähe auf, die nur eingeschränkt flugtüchtig ist. Jetzt wird sie vermisst

Von Hans Holzhaider, München

Eltern, die ihre Kinder schlecht behandeln, nennt man Rabeneltern, und ganz allgemein gesprochen ist das eine gemeine Verunglimpfung aller Raben und Krähen. Denn diese hochintelligenten Vögel sind in der Regel liebevolle und besorgte Eltern, die ihren Jungen geduldig alles beibringen, was ein kleiner Rabe oder eine kleine Krähe können muss, um mit allen Gefahren eines Rabenlebens fertig zu werden. Aber es gibt Ausnahmen.

Eine kleine Krähe hüpfte eines Tages im April 2019 im Westpark herum und wurde von einer Bande großer Krähen attackiert. Vielleicht, weil sie ein bisschen anders aussah als die anderen Krähen: Sie hatte mitten in ihrem rabenschwarzen Gefieder zwei leuchtend weiße Federn. Sie hätte wahrscheinlich nicht mehr lange überlebt, wenn sich nicht eine Menschenmutter, die mit ihren Kindern in der Nähe auf einem Spielplatz war, ihrer erbarmt hätte.

Aber wohin mit einer kleinen Krähe, die noch nicht einmal fliegen konnte? Die Frau versuchte es im Tierheim, aber da gab es nur einen Käfig mit ein paar großen Krähen, da wollte sie das Vögelchen nicht lassen. Also nahm sie es mit in ihre Etagenwohnung, spannte ein Netz über den Balkon, informierte sich im Internet, was so ein Rabe gerne frisst, und päppelte den Findling mit klein gehackten Hühnerherzen auf. Der wurde zwar größer und kräftiger, aber richtig fliegen lernte er nicht. "Ich glaube, er ist ein bisschen behindert", sagt sie.

Sie und die Kinder liebten das Krähenkind deshalb nicht weniger. "Mein Baby", sagt sie, wenn sie von dem kleinen Raben erzählt. Aber es gab Ärger. Nachbarn hörten das Geflatter auf dem Balkon und dachten, da würden Tauben gefüttert. Sie beschwerten sich beim Vermieter. Von da an nahm die Frau ihren kleinen Schützling tagsüber mit in die Arbeit, da gab es einen großen Garten, wo die kleine Krähe herumhüpfen konnte. Wegfliegen, dachte die Frau, konnte der Vogel ja nicht.

Aber vor gut einer Woche war das Rabenkind plötzlich verschwunden. Davongehüpft. Die Rabenmutter ist untröstlich. Viel Hoffnung hat sie nicht. Es gibt ja auch Katzen in der Gegend. Aber falls doch jemand die kleine Krähe mit den zwei weißen Federn entdeckt: "Bitte ganz langsam fangen." Und anrufen: 0172-764 03 98.

© SZ vom 25.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: