Stadtleben:Vorübergehend außer Betrieb

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Normalerweise geht es vor dem Rathaus zu wie auf einem Wimmelbild, derzeit nicht: Blick aus luftigen Höhen auf den Marienplatz in Vor-Corona-Zeiten (links) und aktuell. (Foto: Klaus Leidorf)

München ist voll, München boomt, in München steht ein Hofbräuhaus und in den weltbekannten Biergärten geht es hoch her. Von wegen! Osterspaziergang durch eine Stadt, in der vieles durcheinandergeraten ist.

Von Dominik Hutter

Aufs Fensterbrett des Augustiner-Stammhauses haben sie vier hölzerne Osterhasen gestellt. Mit grünen Schleifchen um den Hals. Tapfer ist das, denn die Gaststätte in der Neuhauser Straße hat schon seit fast drei Wochen geschlossen und wird erst lange nach Ostern wieder aufmachen. Durch die Fensterscheiben kann man ins düstere Innere sehen, die Stühle sind auf die Tische gestellt. Es ist der Versuch, zumindest ein bisschen Normalität an diesem denkwürdigen langen Wochenende zu schaffen.

Normalität in der Ausnahmesituation. Man muss es Situation nennen, denn nach Ausnahmezustand fühlt sich München an diesen sonnig-warmen Tagen trotz allem nicht an - zumindest abseits der Kliniken und Krankenbetten. Die Stadt ist ja noch da und völlig intakt, die Wohnungen sind warm, die Versorgung ist gesichert. Spaziergänger können gemütlich die Prachtfassaden in der Maximilian- oder Ludwigstraße bewundern. Im Englischen Garten wird es frühlingshaft grüner und grüner, der Himmel wölbt sich blau über der Silhouette der Altstadt.

Und trotzdem fehlt etwas. Eine Stadt ist eben mehr als nur eine Ansammlung von Häusern. Es gehört Leben auf der Straße dazu. Leute, die in Cafés herumfläzen. Ein Bummel durch kleine Läden, die man in den Gewerbewüsten der Vororte nicht findet. Kneipen und Clubs. Von Kultur ganz zu schweigen. Ein bisschen Durcheinander. Und auch wenn es mancher nicht hören will: Metropole bedeutet Dichte. Menschenmengen, überfüllte U-Bahnen, Gedrängel. Wenn derzeit die 18er-Tram durch die Landsberger Straße rattert, hat jeder Fahrgast ein Vierer-Abteil für sich. In der Fußgängerzone wäre Platz genug, dass jeder Passant seinen Hausstand um sich herum aufbaut.

Manchmal ist das angenehm entspannt. Urban ist es nicht. Auf den Stufen des Residenz-Königsbaus genießen ein paar Leute die Sonne. Aufgereiht im Fünf-Meter-Abstand, wie die Markierungen eines Lineals. Am Wiener Platz sitzen sie da wie Petersilie, die auf die Suppe gestreut wurde. Einer hier, einer da, immer viel Platz dazwischen. Es sieht unfreiwillig komisch aus.

Eigentlich wäre ja jetzt die Phase, in der die mit Südlage gesegneten Münchner zwischen den gewohnten Alternativen für den Osterurlaub wählen können: Entweder es geht noch zum Skifahren, in die Dolomiten, nach Tirol oder an den Spitzingsee. Oder man gönnt sich schon einmal einen Hauch Frühsommer in Italien. Mit Sprizz auf einer Piazza am Gardasee oder einer Wanderung über die Hügel der Toskana. Daraus wird nichts in diesem Jahr. Die Alpenkette wirkt wie eine Verheißung am Horizont. Man glaubt zu ahnen, wo sich der Brenner befindet. Der nur zwei Stunden entfernte Pass, der genauso unerreichbar ist wie die Plattform des Rathausturms, von der aus man zumindest einen Blick gen Süden erhaschen könnte. Geschlossen. Zum Glück gibt es noch andere Aussichtspunkte.

Die Eisbachwelle war nie so leer. (Foto: Florian Peljak)

Also München an diesen Feiertagen. Nicht Arabba oder Arezzo. Auch wenn die typischen lokalen Spezialitäten fehlen. Nicht nur kulinarisch, es sei denn, man holt sie sich im Styroporbehälter oder brutzelt sie selbst. Im Grunde ist das meiste, wofür Bayerns Landeshauptstadt bekannt und auch bei Besuchern beliebt ist, aktuell nicht verfügbar. Jetzt ist München wirklich nicht mehr München, um mit einem Wahlslogan zu sprechen. Das, was typisch und einmalig ist, ist weg - von den Häuserfassaden einmal abgesehen. Die Stadt der Theater und Museen? Am Haus der Kunst verkünden Plakate, was im Inneren, hinter den verschlossenen Portalen, zu sehen wäre: Franz Eckhard Walther, Kapsel 11/12 und Teile der Sammlung Goetz. "Geöffnet 363 Tage" steht auf einer Tafel. Gelogen.

Vor dem versperrten Portal sitzt jemand in der Sonne. Auch die Tageskasse der Bayerischen Staatstheater an der Maximilianstraße ist auf unbestimmte Zeit geschlossen. Immerhin kann man Richard Wagners Parsifal per Video On Demand genießen. Die Aufführung ist von 2018. Opernstadt München. Gut möglich, dass nach Ende der Corona-Krise selbst überzeugte Couch-Potatoes einsehen, dass ein Leben im Internet mit der analogen Wirklichkeit nicht mithalten kann. Immerhin das Innere historischer Kirchen kann man bestaunen, wenn schon die Residenz dicht ist. In der Neuhauser Straße steht das größte Renaissance-Tonnengewölbe nördlich der Alpen, St. Michael. Besichtigen und beten ist möglich. Beichten nicht, dazu muss man den Pater anrufen.

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Auch München-Klassiker wie die Surfwelle am Eisbach sind perdu. Damit niemand ins Wasser geht oder sich Zuschauermengen ansammeln, wurde ein Zaun aufgestellt. Das war's dann mit dem legendären Treff der weltweiten Flusssurfer-Szene. Wer die Stadt der Biergärten sucht: Am Chinesischen Turm gähnt eine öde Kiesfläche. Nicht einmal mehr die Bierbänke sind da. Der Hofbräukeller in Haidhausen sieht aus, als würden Ausgrabungen stattfinden. Klar, wenn man nicht unter Kastanien Bier ausschenken darf, ist das die Gelegenheit für Bauarbeiten. An den Holzbuden gibt es Essen zum Abholen. Biergarten To Go sozusagen. So ist das nun: Da steht in allen Reiseführern, dass man in diesen typischen Münchner Institutionen sein Essen selbst mitbringen darf. Jetzt muss man es dort abholen, ohne gemütlich unter Kastanien zu verweilen.

Die vielleicht rauschhafteste aller Sehenswürdigkeiten, das Hofbräuhaus, ist zugesperrt - am Platzl fehlt das sonst übliche Tollhaus von Trachtenträgern, die es nicht gewohnt sind, tagsüber so viel Bier in sich hineinzuschütten. Es geht nun gesitteter zu in den alten Gassen. Auch Bayern- und Löwen-Fans sind verschwunden, aus den Stadien wie aus den Devotionalien-Shops. Nur noch ein Kiosk, eine Bäckerei und die Gelateria Garda sind geöffnet. In der Orlandostraße, Münchens einziger klassischer Souveniermeile, wird das Pflaster aufgerissen. Wie praktisch, dass die Touristenmassen gerade nicht da sind. Was tut man auch in einem München ohne Hofbräuhaus?

Es ist vieles anderes an diesem Osterwochenende. Vielleicht ist das das Rezept für gelungene Feiertage: Akzeptieren, dass nicht alles wie immer läuft. Und das Ganze in seiner Einmaligkeit mit Interesse beobachten. Denn eines kann man nahezu sicher sagen: Es wird irgendwann wieder möglich sein, Ostern genau so zu feiern wie all die Jahre zuvor. Mit Familienbesuchen, Skifahren und Bella Italia. In der Zwischenzeit kann man genießen, wie lebhaft es auf den Balkonen zugeht. Wie viele Fenster plötzlich abends hell erleuchtet sind. Und wie es überhaupt so ist, wenn alle daheim sind und frei haben.

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Es ist ja nicht so, dass Ausnahmesituationen für die Münchner völlig neu wären. Knapp vier Jahre ist es her, da waren die Straßen schon einmal einen Abend lang wie leergefegt. Damals herrschte die Sorge vor, der Attentäter vom Olympia-Einkaufszentrum könne Komplizen haben, die Polizei bat die Münchner, in den Wohnungen zu bleiben. Der Spuk dauerte nur kurz, das ist der Unterschied. Zur Zeit der Ölkrise 1973 waren die Straßen noch deutlich leerer als jetzt - zumindest, was Autos angeht. Es gibt ein lustiges Foto von Rollschuhfahrern mit Regenschirm auf einer autofreien Ludwigstraße. Und es gibt schreckliche Erinnerungen an andere Ausnahmetage. Im September 1980 etwa, als ein kollektiv geschocktes München Bekannte abtelefonierte, ob sie am Vorabend auf dem Oktoberfest gewesen waren. Die Zeitungen erschienen mehrmals neu am Tag und berichteten über das Bombenattentat am Haupteingang.

Max-Weber-Platz. Es ist wohl Zufall, dass hier auch im Corona-Shutdown so viele Läden offen haben, dass man sich fast in der Normalzeit wähnt. Apotheke, Kiosk, Imbiss, Konditorei - für sie alle gilt eine Ausnahme. Menschen stehen an der Tramhaltestelle, Radfahrer sind unterwegs. Benannt ist der Platz auch nach dem Soziologen und Ökonomen Max Weber, der 1920 in München an den Folgen der Spanischen Grippe starb. Diese Krankheit war die schlimmste Pandemie des 20. Jahrhunderts.

Das Virus kam 1918 mit den Truppen des Ersten Weltkriegs aus den USA nach Europa. Allein in München gab es rund 3000 Tote. Auch damals wurden die Schulen geschlossen, Betriebe stellten ihre Produktion ein. In den Krankenhäusern herrschte gravierender Mangel an Pflegerinnen, die oft selbst erkrankt waren. Und weil sich auch noch etliche Trambahnschaffnerinnen angesteckt hatten, lief der Betrieb auf der Schiene nur noch eingeschränkt. Im Bewusstsein der Münchner ist diese furchtbare Pandemie kaum vorhanden - nicht nur, weil sie so lange her ist, sondern weil der Erste Weltkrieg und seine Folgen alles überdeckten. Obwohl die Krankheit mit weltweit 50 bis 100 Millionen Toten deutlich mehr Menschenleben forderte.

Es ist also beileibe nicht die erste Pandemie, die München aktuell heimsucht - da muss man gar nicht in die Pestzeiten des Mittelalters zurückgehen. Auch 1968 waren die Münchner Kliniken mit Influenza-Kranken überfüllt. Damals ging die Hongkonggrippe um. Die Weihnachtsferien an den Schulen wurden um eine Woche verlängert. 2020 wurden hingegen die Osterferien vorgezogen. Wie es danach weitergeht, ist noch offen. Sicher ist nur: Ostern in München ist ungewöhnlich in diesem Jahr. Man wird es sich merken.

© SZ vom 11.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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