Wenn man mit Wolfgang Stefinger im Cafe am Wiener Platz sitzt und über den Wahlkampf im Münchner Osten spricht, landet man schnell in Bangladesch. Bei der Ausbeutung der Arbeitskräfte dort dürfe man nicht wegschauen, sondern man müsse genau hinschauen, und am besten solle man gleich bei sich selbst beginnen, sagt er. "Im Duschbad morgens ist vielleicht schon Palmöl, die Jeans kommt aus Bangladesch, der Kaffe auch nicht aus Oberfranken."
Wer glaubt, da spricht ein linker oder grüner Weltverbesserer, geht fehl. Es ist einer von der CSU. Stefingers Spezialgebiet sind nur keine Partei-Klassiker wie die innere Sicherheit oder die Wirtschaft, sondern die Entwicklungs- sowie die Bildungs- und Forschungspolitik. Und in dieser Eigenschaft freut er sich sehr, dass das Lieferkettengesetz verabschiedet wurde. Denn das verpflichtet die Wirtschaft, genau hinzusehen, woher ihre Rohstoffe kommen und wie diese verarbeitet werden.
Mit einer Hand- und Gedankenbewegung schafft Stefinger schnell wieder den Sprung von Bangladesch nach Haidhausen. Da drüben, sagt er, und deutet durch das Fenster zu den Marktbuden am Wiener Platz, werden regionale Rohstoffe angeboten. Das findet er politisch passend und kulinarisch gut, insbesondere wenn ihm diese in großer Lautstärke aus einem Stand heraus in Form eines Fleischpflanzerls angeboten werden. "Ein schönes Fleckerl München" sei das hier, sagt er. Doch leider auch ein sanierungsbedürftiges. Dass das mit dem nötigen Fingerspitzengefühl passiert, dafür setzt sich Stefinger ein. Für das gleiche Ziel am Viktualienmarkt hat er einen eigenen Verein gegründet, die "Freunde des Viktualienmarkts".
So versucht Stefinger die lokalen Anliegen und die großen Probleme der Welt unter den Hut eines Abgeordneten im Münchner Osten zu bringen. Damit liegt der 36 Jahre alte Abgeordnete nicht immer auf einer Linie mit seiner Partei, aber diese Freiheit nimmt er sich und kann er sich gönnen. Das CSU-Reich im Osten gilt immer noch als eines der sichersten bei der Bundestagswahl in München, weshalb Stefinger darauf verzichten kann, sich auf der Landesliste für den Fall einer Niederlage im Kampf ums Direktmandat abzusichern.
Ganz oder gar nicht, heißt es für ihn am 26. September. Wer sich nicht um einen guten Listenplatz bemühen und deshalb bei der Partei Schönwetter machen muss, der "kann schon mal anders agieren", sagt er. Etwa beim Gesetz über die Ehe für alle zustimmen oder bei einem Lieferkettengesetz die Wirtschaft verstimmen. Und öfter mal "unbequem" sein, wie es Stefinger für sich in Anspruch nimmt. Er verortet sich selbst im Flügel der liberalen Großstadt-CSU, was heißt, dass er sich mit konservativeren Kreisen manchmal anlegen muss.
Aber das ist Stefinger von Jugend an gewöhnt. Er kommt aus Waldperlach, wuchs dort auf und engagierte sich in der kirchlichen Jugendarbeit, war selbst Oberministrant. Auch dort habe er das Diskutieren gelernt und wie wichtig es sei, dass man verschiedene Meinungen austauscht. Denn nur wer eine eigene besitze, habe sich mit einem Thema beschäftigt, sagt Stefinger. Wenn am Ende ein Kompromiss stehe, sei das kein Zeichen von Schwäche, sondern von der Fähigkeit, Menschen zusammenzubringen. So sieht er die Aufgabe der CSU als Volkspartei, "als eine Klammer für ein Miteinander".
Dabei gilt für ihn im Verhältnis zu Politik und Partei, was ihm sein Vorgänger als Abgeordneter im Münchner Osten, Berti Frankenhauser, mitgegeben hat: sich niemals abhängig machen. Stefinger hat heute noch ein kleines Mandat als Lehrbeauftragter an der Hochschule München, drei Block-Seminare im Semester. Dort hat er Betriebswirtschaft studiert und später promoviert. Bevor er mit 28 Jahren sehr früh als Abgeordneter erstmals in den Bundestag einzog, hat er bei einer Krankenkasse in Hamburg gearbeitet. Nun lebt er wieder in Waldperlach, Berlin findet er gut, München aber lebenswerter. In der Freizeit zieht es den ledigen Politiker hinaus in die Berge, im Winter mit Skiern, im Sommer zu Fuß. "Einfach mal gehen und nur ans Gehen denken, das macht den Kopf frei", sagt er. Im Wahlkampf wird dafür nur wenig Zeit sein, auch wenn sich dieser wegen Corona für ihn noch komisch anfühlt.
Sonst sei er gerne unterwegs gewesen, sagt er, bei Festen und Vereinen, denn "erst wenn man mit am Tisch sitzt, hört man was". Doch vieles fällt aus, und wenn er mit Leuten zusammenkomme, kann er sich die Frage anhören, warum er sich die letzten eineinhalb Jahre nicht blicken lassen habe. "Corona", sagt er dazu nur, und hebt die Hände in einer ratlosen Geste. Ging halt nichts. 2013 und 2017 hat er als liberaler CSU-Kandidat das bis dahin tiefrote Haidhausen gewonnen. Das will er wiederholen, auch wenn dort mittlerweile die Grünen den Ton angeben. Die will er mit den Themen packen, Klimawende ja, aber mit Innovation statt mit Verboten. "Ich bin mir sicher, das können wir so schaffen."
Wer mit dem Porsche rumfahre und Windräder überall fordere, nur nicht vor der eigenen Haustüre, dem will er "den Spiegel vorhalten". Das wird Stefinger in den kommenden Wochen den Menschen im Münchner Osten zu erklären versuchen, auf Infoständen, aber auch mit Besuchen an der Haustüre. Bei der Energie, da springt Stefinger gleich auch wieder los, zu einem Wasserstoffprojekt nach Marokko, gefördert von deutscher Entwicklungshilfe. Deutschland und Europa würden die Probleme der Zukunft nicht alleine lösen, sagt Stefinger, aber wie Deutschland dabei mithilft, dafür würde er sich weiter gerne im Bundestag engagieren.
Der Kandidat im Video-Selbstporträt:
Die SZ hat die Münchner Direktkandidaten für die Bundestagswahl gebeten, sich für ein Porträt selbst zu filmen. Alle Videos und weitere Porträts der Kandidaten finden sie hier.