Münchner Bundestagskandidaten im Porträt:"Ich habe den Drang, etwas zu ändern"

Bundestagswahl 2021

SPD-Politikerin Claudia Tausend möchte wieder in den Bundestag einziehen.

(Foto: Friedrich Bungert)

Claudia Tausend hat exzellente Chancen, erneut für die SPD in den Bundestag einzuziehen. Dort setzt sie sich vor allem in der Wohnungspolitik ein - und hat bei einem Durchbruch einen überraschenden Verbündeten gefunden.

Von Sebastian Krass

Claudia Tausend betritt den Vorplatz des Pep. Ganz schönes Treiben, die einen kommen mit Tüten bepackt aus dem Einkaufszentrum in Neuperlach, die anderen sind auf dem Weg hinein. Aber Tausend hat in diesem Moment keine Augen dafür, sie ist auf etwas anderes konzentriert: die Wahlplakatständer. Den Platz, den sie sonst immer hat, haben diesmal die Grünen ergattert, auch die CSU ist schon da, sogar die Corona-Leugner-Splitterpartei Die Basis. Und wo ist sie, seit acht Jahren SPD-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis hier, und Münchner Parteichefin noch dazu? Ihre Helferinnen und Helfer werden doch nicht zu spät gewesen sein? Aber dann Entwarnung, SPD-Plakate gesichtet, auf der anderen Seite, passt schon.

Es ist ein Nachmittag Ende Juli, Stadtbaurätin Elisabeth Merk hat zu einem Stadtteilspaziergang geladen, ein paar Mitglieder des Stadtrats sind dabei, der Vorsitzende des Bezirksausschusses, und aus der Bundespolitik: Claudia Tausend. Sie hält sich im Hintergrund bei diesem Termin, lauscht, als es darum geht, wie grün Neuperlach trotz seiner mehr als 50 000 Einwohnerinnen und Einwohnern ist, dass es einiges Potenzial für Nachverdichtung gebe und dass man die vielen kleinen Brücken besser in Szene setzen könne. "Man wohnt schön in Neuperlach", sagt Tausend, "die Zeit, in der es als Trabantenstadt galt, ist vorbei." Die "Entlastungsstadt" Neuperlach, wie sie in der Planung offiziell hieß, entstand von 1967 an unter Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel, sie ist ein Monument der SPD-Wohnungspolitik.

Die Abgeordnete Tausend versucht, die Ideen Vogels in heutige Bundespolitik zu übersetzen. Das lässt sich an der wichtigsten Funktion der 57-Jährigen im Bundestag ablesen: stellvertretende Sprecherin der Arbeitsgruppe Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen der SPD-Bundestagsfraktion. Als solche hatte sie in dieser Legislaturperiode ein Hauptprojekt: eine Novellierung des Baugesetzbuches. "Drei Jahre haben wir daran gearbeitet. Ich sehe es als großen Erfolg der SPD, dass das noch gekommen ist", erzählt Tausend ein paar Tage nach dem Spaziergang durch Neuperlach, nun im Stadtcafé am St.-Jakobs-Platz. Sie hat den Treffpunkt für ein Gespräch vorgeschlagen. Er ist nah an der Parteizentrale - zudem gehört der Stadtbezirk Altstadt-Lehel auch zu ihrem Wahlkreis München-Ost, wie auch Au-Haidhausen, Berg am Laim, Bogenhausen, Ramersdorf-Perlach und Trudering-Riem.

Im Frühjahr, auf der Zielgeraden dieser Großen Koalition, hat der Bundestag das "Baulandmobilisierungsgesetz" beschlossen, seit Ende Juni ist es in Kraft. Hinter dem Wortungetüm stecken Regelungen, die einer Kommune mit angespanntem Wohnungsmarkt wie München deutlich mehr Einfluss geben. So kann die Stadt - wenn der Freistaat die nötigen Verordnungen erlässt - stadtweit die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen verhindern. Sie muss bei einem Vorkaufsrecht für Wohngebäude in Erhaltungssatzungsgebieten nicht mehr den oft spekulativ überhöhten Preis zahlen, sondern kann den Kaufpreis limitieren. Und sie kann auch in Gebieten, für die es keine Bebauungspläne gibt - dazu zählen viele innerstädtische Quartiere -, die Schaffung geförderten Wohnraums vorschreiben. "Ich nenne es immer Wohnraumsicherungs- und Kommunenstärkungsgesetz", sagt Tausend. Dieser Name ist zwar noch viel länger, aber er verdeutlicht aus Tausends Sicht, worum es bei dem Gesetz geht.

Die SPD hat es gegen erheblichen Widerstand in der CDU/CSU-Fraktion durchgedrückt. Das sei, sagt Tausend, auch nur möglich gewesen, weil Innen- und Bauminister Horst Seehofer (CSU) sich für das Gesetz ausgesprochen habe. Das, so hört man bei ihr durch, rechnet sie ihm hoch an, "er kennt aus seiner Zeit als Ministerpräsident die Verwerfungen in München". Mit dem Gesetz habe man im Bund "einen klaren Arbeitsauftrag der Münchner SPD" umgesetzt, sagt Tausend - auch wenn sie gern noch etwas mehr hineinverhandelt hätte.

Nach der vergangenen Bundestagswahl hat die SPD wochenlang darüber gestritten, ob sie erneut in eine Koalition mit der Union gehen soll, auch in München. Claudia Tausend gehörte zum Pro-Lager. "Ich habe den Drang, etwas zu ändern. Und das mache ich lieber in einer Regierungskoalition, als aus der Opposition heraus Sonntagsreden zu halten", erklärt sie. Und sie betont, dass die SPD-Minister Olaf Scholz und Hubertus Heil großen Anteil daran hätten, dass Deutschland bisher ohne allzu große soziale Härten durch die Corona-Krise gekommen sei, sie nennt die Stichworte Kurzarbeitergeld und Aussetzung der Pflicht, Insolvenz anzumelden. Zwar hat die SPD in zwei in dieser Woche veröffentlichten Umfragen auf 19 Prozent zugelegt. Aber dass die Wählerinnen und Wähler die Partei in alte Höhen hinaufheben, das zeichnet sich nicht ab. Hat es der Partei also genutzt oder vielleicht geschadet, in die Koalition gegangen zu sein? "Ich weiß nicht, ob es der Partei damit gut gegangen ist. Aber ich weiß, dass das dem Land gut getan hat." Und die jüngsten Umfragen machen sie optimistisch: "Das Kanzleramt ist für Olaf Scholz zum Greifen nah."

Nicht nur Tausends politisches Hauptthema, das Wohnen, ist klassisch für die SPD. Auch ihre Biografie passt bestens zur Partei-DNA: Als "Arbeiterkind", wie sie selbst sagt, in Vilsbiburg geboren, für das Geografie-Studium aus Niederbayern nach München gezogen. Nach dem Diplom arbeitete Tausend für die Handelsberatung BBE. 1990 trat sie in die Partei ein. Von 1996 an war sie 17 Jahre lang Stadträtin in München, die letzten sieben Jahre als stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Planungssprecherin. Schon zur Bundestagswahl 2005 trug der SPD-Abgeordnete Fritz Schösser ihr seine Nachfolge im Münchner Osten an. Damals und auch 2009 verpasste Tausend den Einzug in den Bundestag, 2013 klappte es erstmals über die Landesliste. Auch diesmal hat sie mit Platz zehn auf der Liste eine weitere Legislaturperiode in Berlin nahezu sicher. Dass sie ihrem Konkurrenten Wolfgang Stefinger den Wahlkreis, der seit 1976 in CSU-Hand ist, abnehmen könnte, daran glaubt Tausend eher nicht: "Ich erkenne da keinen Swing." Zumal die Grünen, die im Osten Vaniessa Rashid ins Rennen schicken, in München zur stärksten Partei geworden sind. Bei der Wahl 2017 erreichte Tausend 21,2 Prozent der Erststimmen, bei den Zweitstimmen kam die SPD in ihrem Wahlbezirk auf 16 Prozent.

Was hat Tausend in der nächsten Legislatur vor? Sie geht davon aus, dass sie sich weiter um Bau- und Wohnungspolitik kümmern wird, "ich glaube nicht, dass es da viel Konkurrenz gibt". Als Großthema sieht sie die energetische Gebäudesanierung, die klimapolitisch von enormer Bedeutung ist und viele Milliarden Euro verschlingen wird. Politisch brisant wird die Frage, was von den Kosten an Vermieterinnen und Mietern hängen bleibt. Ein zweites Thema, das die SPD im Wahlprogramm hat, ist das "Mietenmoratorium". Ihr Ziel beziffert Tausend so: "Wir wollen die Kappungsgrenze so ändern, dass die Mieten nur noch um maximal zehn Prozent in fünf Jahren erhöht werden können." Bisher sind es 15 Prozent in drei Jahren. "Wenn wir wieder in der Regierung sind, halte ich für realistisch, dass das kommt."

Die SZ hat die Münchner Direktkandidaten für die Bundestagswahl gebeten, sich für ein Porträt selbst zu filmen. Alle Videos und weitere Porträts der Kandidaten finden sie hier.

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