Ukraine-Flüchtlinge in Messehallen:Spannungen im Ankunftszentrum

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Das Ankunftszentrum in der Messe ist für 4000 Geflüchtete aus der Ukraine ausgelegt. Für die Stadt liegt die Schmerzgrenze aber bei 2000 Menschen. (Foto: Michael Nagy/Presseamt)

Etwa 2300 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine leben derzeit in zwei Messehallen. Die Stadt will die Versorgung der Menschen verbessern und steckt 84 Millionen Euro in Tausende Plätze in kleineren Unterkünften sowie in mehr Beratung und Betreuung.

Von Thomas Anlauf und Sven Loerzer

Die Stadt baut ihr Unterstützungsangebot für Geflüchtete aus der Ukraine erheblich aus: Der Sozialausschuss des Stadtrats hat einstimmig beschlossen, 84 Millionen Euro in bis zu 8500 zusätzliche Bettplätze und den Ausbau der Beratungs- und Betreuungsangebote zu stecken. Rund 68 Millionen Euro davon sind laut Sozialreferentin Dorothee Schiwy (SPD) durch Kostenzusagen der Regierung von Oberbayern für die Unterbringung gedeckt, auf bis zu 16 Millionen Euro Kosten aber könnte die Stadt sitzenbleiben.

"Da steckt der menschliche Aspekt drin", sagte SPD-/Volt-Fraktionschefin Anne Hübner, "es muss jetzt geholfen werden". Denn dabei geht es um Asylsozialbetreuung, Ausweitung der Migrationssozialdienste und der Unterstützungsangebote für Kinder, Jugendliche und Familien, Dolmetscherdienste und einiges mehr.

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Mit Blick auf das am 1. April in den Riemer Messehallen eröffnete Ankunftszentrum war die Einigkeit groß, dass die Kämmerei - entgegen dem erklärten Willen - diesen Betrag dem Sozialreferat zusätzlich finanzieren muss, wenn die Regierung nicht dafür aufkommt. Im Ankunftszentrum, in dem derzeit etwa 2300 Geflüchtete leben, sei die Situation "nicht ganz spannungsfrei wegen ethnischen Unterschieden", erklärte der Leiter des Krisenstabs, Wolfgang Schäuble.

Die Großfamilien seien schon in ihrer Heimat diskriminiert worden, sagt die Jugendamtschefin

Insgesamt habe sich die Lage aber stabilisiert, die Zahl der Ankünfte am Hauptbahnhof sei von 1700 pro Tag auf 500 zurückgegangen. Erste dauerhafte Unterkünfte seien akquiriert. "Wir haben einige ehemalige Beherbergungsbetriebe, die wir hochfahren können", sagte Dritte Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD). "Außerdem brauchen wir dringend eine gute Betreuung der Kinder im Ankunftszentrum."

Jugendamtschefin Esther Maffei erklärte, dass sich dort viele Großfamilien aufhielten, die auch in ihrer Heimat diskriminiert worden seien. Sie seien sehr arm und bildungsfern, viele Kinder hätten noch nie eine Schule gesehen. Man habe gegenüber dem Betreiber und dem Security-Unternehmen deutlich gemacht, "dass wir diskriminierende Äußerungen nicht akzeptieren", erklärte Sebastian Groth, Vizechef im Sozialreferat, und habe nun ein Schulungsprogramm dazu aufgelegt. Diakonie-Vorständin Andrea Betz meinte, es sei höchste Zeit, das soziale Beratungsangebot auszubauen. Eine Unterbringung in einer Unterkunft mit mehr als 500 Plätzen für mehr als einige Tage "sehen wir als schwierig an".

Verena Dietl erklärte, das Jugendamt sei mit einem eigenen Büro in der Messe vertreten, gehe in die Hallen und kümmere sich um Konfliktsituationen, die Kinder, Jugendliche und Familien betreffen. Zudem biete nun der Kreisjugendring eine Spiel- und Freizeitbetreuung an. Bis spätestens Mitte Juli müsse das Ankunftszentrum die Messe verlassen, sagte die Bürgermeisterin.

Ein Ankunftszentrum werde zwar weiter gebraucht, aber die Hoffnung sei groß, dass bis dahin die Übernachtung dezentral in kleinerem Umfang organisiert werden könne: "Wir haben schon 50 Flächen und Objekte bewertet." So werden in diesen Tagen Leichtbauhallen aufgestellt, die schon im Flüchtlingsherbst 2015 zum Einsatz gekommen waren. Am Michaeli-Gymnasium entsteht so Platz für 300 bis 400 Menschen, außerdem an der Kronstadter Straße in Zamdorf mit einhundert Betten, an der Hansastraße mit 170 Plätzen und am Westpark mit 200 Betten.

Eigentlich sollen die Menschen in der provisorischen Ankunftshalle nur wenige Stunden oder Tage verbringen, aber die Suche nach Wohnraum ist schwierig. Deshalb baut die Stadt nun Leichtbauhallen wie am Michaeli-Gymnasium in Berg am Laim. (Foto: Florian Peljak)

Probleme bereite aber immer wieder die Verlegung von Geflüchteten in andere Gemeinden. Zum einen müsse man die Menschen überzeugen, dass sie dort besser untergebracht sind, zum anderen würden "je nach Landkreis und Ethnie Leute zurückgeschickt oder kommen zurück, weil sie sich nicht gut behandelt fühlen", erklärte die Sozialreferentin.

In den vergangenen Tagen gab es aber auch immer wieder Vorfälle, die bislang nicht restlos aufgeklärt werden konnten. Im Ankunftszentrum in der Messe hatten etwa 20 Menschen Hausverbot erhalten, weshalb, ist unklar. Am gleichen Tag kamen etwa 150 Menschen am Hauptbahnhof an, die sagten, sie kämen vom Ankunftszentrum und wollten nun nach Ungarn reisen. Laut Bundespolizei hatten alle ukrainische oder ungarische Pässe. Da der Zug nach Budapest überfüllt war, wurden etwa zwei Dutzend Menschen von der Bundespolizei wieder aus der Bahn geholt und der Caritas übergeben.

"Wir müssen Druck aus dem Kessel nehmen", sagt ein Stadtrat

Über alle Fraktionen hinweg waren sich die Rathaus-Politiker einig, dass das "schnell geschaffene quantitative Angebot" zur Unterbringung "qualitativ verbessert werden soll", wie Grünen-Stadträtin Clara Nitsche forderte. Die Messe dürfe keine dauerhafte Unterbringung sein, es gebe keine Spielmöglichkeiten für die vielen Kinder und Jugendlichen dort und keine Privatsphäre. "Wir müssen Druck aus dem Kessel nehmen", sagte Thomas Lechner (Linke/Die Partei) und warnte: "Die schwer Vermittelbaren stranden dort, wir müssen sie so schnell wie möglich unterbringen."

CSU-Stadträtin Alexandra Gaßmann bekräftigte, dass man die "humanitäre Hilfe gemeinsam schultern" müsse im Rathaus. Sie hatte sich selbst ein Bild von der Situation in der Messe gemacht und beklagt, dass dort "bis tief in die Nacht" Kinder unbeaufsichtigt durch die Messehallen liefen. Heftige Kritik gibt es auch von Helfern und Sozialverbänden: Sie beklagen unklare Zustände und Angebote zur Registrierung der Geflüchteten. Auch für die Trauma-Aufarbeitung der Geflüchteten gebe es viel zu wenig Fachpersonal.

"Wir haben alle Ressourcen mobilisiert", sagte Sozialreferentin Schiwy. Man habe 163 Mitarbeitende aus anderen Bereichen des Sozialreferats eingesetzt, um den 24-Stunden-Betrieb zu gewährleisten. Anne Hübner warnte, es berge sozialpolitischen Sprengstoff, wenn es deswegen beispielsweise länger dauere, bis man im Sozialbürgerhaus Grundsicherung bekomme. Nun sollen, so kündigte Schwiy an, auch Dienstkräfte aus anderen Referaten zeitweise mithelfen. Und im Mai will die Sozialreferentin dann zusätzliche Stellen beantragen.

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