Mitten in München:Mogelpackung

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Nie würden sich die Münchner die Wahrheit zurechtbiegen, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Lieber granteln sie, und zwar nach allen Regeln der Kunst.

Von Stephan Handel

Pop-Tarts sind eine amerikanische Süßigkeit, Teigtaschen mit süßem Zeug drin, die vor dem Verzehr im Toaster erwärmt werden. "Unglaubwürdige Pop-Tarts" - das ist ein Phänomen, das dringend gebraucht wird, um im Internet schnell und billig Content in Form von Listen zu erstellen. Seinen Ursprung hat der Begriff in einem Foto, mit dem ein User zu beweisen suchte, was für ein Glückskind er doch sei: Statt der üblichen zwei habe er drei Pop-Tarts in einer Packung gefunden. Das war offensichtlich gelogen, und seitdem bezeichnet das unglaubwürdige Pop-Törtchen Menschen, die sich die Wahrheit zurechtbiegen, um Aufmerksamkeit zu erlangen.

Da gibt es dreijährige Kinder, die auf die Aufforderung ihrer Eltern, irgend etwas zu tun, mit einem fünfminütigen moralphilosophischen Stegreif-Referat antworten. Da gibt es Leute, die behaupten, sie seien eben die 5000 Meter in zehn Minuten gejoggt - wo doch der Weltrekord bei zwölfeinhalb Minuten liegt. Und immer wieder findet sich ein Politiker oder eine Politikerin, die gerade jetzt ein großartiges Zeichen der Unterstützung erhalten haben, ein in den Schnee getrampeltes Herz vor dem Büro, ein überschwänglicher Brief, eine Geldspende von einem Menschen, der's selber nicht so dicke hat.

Den Münchnerinnen und Münchnern in ihrer sprichwörtlichen, quasi angeborenen Bescheidenheit würde so etwas natürlich im Traum nicht einfallen. Nie würde jemand sagen "Ich war gestern im P1 und hab' Oliver Kahn gesehen", wo doch jeder weiß, dass die Schuhe des Aufschneiders schon seit Jahren zu uncool fürs Oanser sind. Nie würde eine Influencerin behaupten, dass das Essen in jener neuen Location großartig sei, auch wenn es in Wirklichkeit geschmeckt hat wie Styropor mit Soße. Und nie würde jemand ernsthaft verkünden, dass doch das Schönste am ganzen Advent ein schöner Glühwein auf einem der zahlreichen Christkindlmärkte sei, ein kulinarischer Genuss, für den man jeden Bordeaux in der Ecke lassen könne.

Nein, so ist er nicht, der Münchner. Er würde eher granteln, dass man ins P1 ja eh nicht mehr gehen kann, nur noch Bauern und Angeber. Das Essen im neuen In-Lokal mag ja ganz gut sein, aber er gehe ja nur noch zu Alexander Herrmann nach Nürnberg, da ist das Preis-Leistungs-Verhältnis noch in Ordnung. Und Christkindlmarkt? Ist doch eh verboten heuer, wird auch nicht vermisst. So macht sich der Münchner sein drittes Pop-Tart selber glaubwürdig. Die kauft er jetzt übrigens sowieso nicht mehr im Supermarkt, sondern bei diesem super geheimen Bio-Bäcker. Bei dem sind außerdem von Haus aus drei in der Packung.

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